Quelle: HBS
Böckler ImpulsMitbestimmung: Betriebsräte stärken die Demokratie
Betriebliche Mitbestimmung erhöht das politische Interesse von Beschäftigten und wirkt sich so auch jenseits der Werkstore positiv aus.
Demokratie lebt bekanntlich vom Mitmachen: Das politische System ist darauf angewiesen, dass die Bevölkerung sich einbringt, informiert und an Wahlen beteiligt. Betriebsräte können dazu einen Beitrag leisten, indem sie das politische Interesse von Beschäftigten steigern. Das geht aus einer Studie hervor, die Uwe Jirjahn und Thi Xuan Thu Le von der Universität Trier veröffentlicht haben. Mitbestimmung zu stärken, wäre demnach nicht nur für den ökonomischen Erfolg von Unternehmen und das Wohlergehen von Beschäftigten wichtig, sondern könnte auch dabei helfen, politischer Apathie entgegenzuwirken und so demokratische Prozesse zu stabilisieren.
Der Ökonom und seine Kollegin haben für ihre Untersuchung Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) ausgewertet, die sich auf Beschäftigte bei privaten Betrieben mit wenigstens fünf Mitarbeitenden beziehen, ohne leitende Angestellte, geringfügig Beschäftigte und Leiharbeitende. Das politische Interesse, das im Rahmen der ausgewerteten SOEP-Wellen abgefragt wurde, geht empirischen Studien zufolge einher mit mehr Wissen über Politik sowie einer erhöhten Wahrscheinlichkeit für die Beteiligung an Wahlen und darüberhinausgehende Formen der politischen Partizipation.
Den Berechnungen zufolge hat betriebliche Mitbestimmung einen signifikant positiven Effekt auf dieses politische Interesse: Die Wahrscheinlichkeit, dass es stark oder sehr stark ausgeprägt ist, steigt um 5 Prozent, wenn Beschäftigte von einem Betriebsrat vertreten werden. Wenn sie sich selbst in einem Betriebsrat engagieren, sind es 23 Prozent. Persönliche und betriebliche Einflussfaktoren wie Einkommen, Alter oder Branche sind dabei statistisch berücksichtigt. Führt man die Analyse getrennt nach Geschlechtern durch, ergibt sich ein Effekt von 11 Prozent bei männlichen Beschäftigten und von 30 Prozent bei männlichen Betriebsratsmitgliedern. Bei Frauen sind hingegen keine Auswirkungen nachweisbar.
Mehr Hören
I.M.U.-Direktor Daniel Hay erläutert im Podcast, was die Regierung bisher für die Mitbestimmung getan hat und was noch dringend geschehen muss.
Die gemessenen positiven Effekte erklären die Forschenden mit der sogenannten Political-Spillover-Theorie. Mitbestimmung gleiche das Machtgefälle zwischen Management und Belegschaft aus und breche mit hierarchischen Formen der Betriebsführung, die auf Gehorsam gegenüber Autoritäten beruhen. Wenn Beschäftigte stattdessen mitbestimmen und eigene Ideen einbringen können, führe das zu einem Gefühl politischer Wirksamkeit. Zudem ließen sich im Rahmen betrieblicher Mitbestimmung politische Fähigkeiten wie das Sprechen in der Öffentlichkeit oder das Formulieren von Forderungen trainieren. Durch die Auseinandersetzung mit arbeitsrechtlichen Fragen nehme die Aufmerksamkeit für politische Themen zu. Darüber hinaus führe das gemeinsame Engagement im Betrieb zu mehr „generalisierter Solidarität“ unter den Beschäftigten und stärke den Sinn für kollektive Interessen. All das dürfte die politische Partizipation beflügeln.
Dass das bei Frauen offenbar weniger funktioniert, erscheine auf den ersten Blick überraschend, heißt es in der Studie. Schließlich schneiden Betriebe laut empirischen Untersuchungen in Sachen Gender Pay Gap, Gleichstellungsförderung und Vereinbarkeit besser ab, wenn sie mitbestimmt sind. Die Erklärung der Forschenden: Frauen seien nach wie vor deutlich stärker mit Haushalts- und Sorgearbeit belastet als Männer, daher hätten sie weniger Gelegenheit, sich politisch zu engagieren. Zudem verleiteten traditionelle Vorstellungen von Geschlechterrollen dazu, politische Aktivität eher für eine Männersache zu halten. Insofern dürften bestehende Geschlechterungleichheiten den positiven Einfluss der Mitbestimmung untergraben.
Uwe Jirjahn, Thi Xuan Thu Le: Political Spillovers of Workplace Democracy in Germany, IZA Discussion Paper Nr. 15444, Juli 2022