Quelle: HBS
Böckler ImpulsLieferkettengesetz: Betriebsräte schauen über den Tellerrand
Menschen- und umweltgerechte Arbeitsbedingungen, nicht nur in der eigenen Firma, sondern auch bei Zulieferern: Das Thema ist in den Betrieben angekommen, zeigt eine WSI-Studie.
Für Unternehmen mit mindestens 1000 Beschäftigten gilt das Lieferkettengesetz. Sie sind verpflichtet, die Produktionsbedingungen bei ihren Zulieferern im Auge zu behalten und dafür zu sorgen, dass dort „menschenrechtliche oder umweltbezogenen Risiken“ vermieden werden. Was hat das vor knapp zwei Jahren in Kraft getretene Gesetz bislang bewirkt? Spielt die Überwachung der Lieferkette mit dem Ziel, Missstände zu beseitigen, im betrieblichen Alltag eine Rolle? Die WSI-Forscher Florian Blank und Wolfram Brehmer haben gut 2700 Betriebsräte in Betrieben mit mindestens 20 Beschäftigten befragen lassen und die Antworten ausgewertet. Mit dem Ergebnis, „dass das Thema insgesamt in Gesellschaft und Wirtschaft angekommen ist“. Dennoch gebe es Lücken in der Umsetzung.
Betriebsräte befassen sich mit der Lieferkette etwa im Wirtschaftsausschuss, in dem sie mit der Geschäftsleitung über die wirtschaftliche Situation und die künftige Entwicklung des Unternehmens beraten. Knapp 36 Prozent der Befragten gaben an, dass ihr Unternehmen vom Lieferkettengesetz betroffen sei. Das ist logischerweise häufiger bei großen Firmen der Fall. Allerdings gibt es auch Unternehmen mit weniger als 1000 Beschäftigten, die sich mit ihren Zulieferern auseinandersetzen – und Großbetriebe, für die das Thema nicht relevant ist, weil sie keine Zulieferer haben. Die betroffenen Unternehmen sind vor allem in der Produktion sowie in Handel, Verkehr und Gastgewerbe tätig.
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Von den Betriebsräten in Unternehmen, die entweder unter das Lieferkettengesetz fallen oder sich aus freien Stücken mit der Lieferkette beschäftigt haben, sagen 43 Prozent, dass es in ihrer Firma in den vergangenen zwei Jahren zu Änderungen der Lieferketten gekommen sei, um Menschen- und Arbeitnehmerrechten oder Umweltstandards gerecht zu werden. Besonders häufig ist dies bei großen Unternehmen und solchen mit einer Zentrale im Ausland geschehen. Änderung bedeutet dabei meistens nicht, dass Zulieferer ausgetauscht wurden, sondern vor allem dass die Unternehmen sich einen Überblick über die Lieferkette verschafft und Kontroll- oder Zertifizierungsmechanismen eingeführt haben. Rund ein Fünftel der Arbeitnehmervertretungen in Unternehmen, die Änderungen vorgenommen haben, gibt jedoch auch an, es werde auf Zulieferung verzichtet oder zuvor zugekaufte Komponenten oder Dienstleistungen würden jetzt selbst hergestellt.
„Erstaunlicherweise“, so Blank und Brehmer, gehen die Änderungen in 40 Prozent der Fälle gar nicht direkt auf das Lieferkettengesetz zurück – offenbar strahlt das Gesetz auch auf Unternehmen aus, die formell gar nicht an seine Bestimmungen gebunden sind. Dazu passt, dass sich nach Einschätzung der Betriebsräte nicht nur die offiziell Zuständigen mit der Lieferkettenproblematik befassen. So meldeten fast zehn Prozent der Befragten in nicht betroffenen Unternehmen, dass sich die Belegschaft dort mit dem Thema auseinandersetzt.
Es gibt jedoch auch den entgegengesetzten Fall: Unternehmen, in denen sich nicht einmal das Management mit der Lieferkette auseinandersetzt, obwohl sie unter das Gesetz fallen. Der Anteil beträgt knapp ein Drittel. Zudem wird eine Reihe von Unternehmen in der relevanten Größenklasse von den Befragten als „nicht betroffen“ eingestuft, „was zumindest auf Informationsdefizite, vermutlich aber auch auf Umsetzungsdefizite hinweist“, so die Forscher.
Gefragt wurden die Betriebsräte auch, ob sie sich über das Thema „Arbeitsbedingungen und Menschenrechte bei Zulieferern“ ausreichend informiert fühlen. Insgesamt zwei Drittel beantworten diese Frage mit Nein. Auch wo das Lieferkettengesetz gilt, sind über 60 Prozent mit der Information unzufrieden. Wenn Betriebsräte gut ausgestattet sind und freigestellte Mitglieder haben, ist die Zufriedenheit ein wenig höher. Außerdem gibt es Unterschiede je nach Branche und gewerkschaftlichem Organisationsbereich.
WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch hebt die von den Autoren abgeleitete Forderung nach weiteren Informations- und Bildungsinitiativen hervor: „Mitbestimmungsgremien und auch die Beschäftigten müssen bei neuen Themen und Anforderungen immer in die Lage versetzt werden, wirkungsvoll mitzugestalten.“ Das sei „eine notwendige Voraussetzung für das Gelingen betrieblicher Demokratie“.
Florian Blank, Wolfram Brehmer: Das Lieferkettengesetz in der Praxis: Einschätzungen durch Betriebsräte, Wirtschaftsdienst 12/2024