Quelle: HBS
Böckler ImpulsGesundheit: Betriebe tun zu wenig gegen Stress
Der psychische Druck ist in vielen Betrieben hoch. Arbeitnehmervertreter sind alarmiert. Doch konkrete Programme gegen Stress fehlen vielerorts.
Leistungsdruck, Arbeitsverdichtung, Angst vor Jobverlust: Psychische Strapazen lasten heute oft stärker auf den Beschäftigten als die körperlichen Anforderungen der Arbeitswelt. Das zeigt eine Untersuchung der WSI-Wissenschaftlerin Elke Ahlers, die Ergebnisse der jüngsten WSI-Betriebsrätebefragung ausgewertet hat. Rund 60 Prozent der Betriebsräte geben an, dass die von ihnen vertretenen Belegschaften unter Zeitdruck und hoher Arbeitsintensität leiden. Von hohem „Verantwortungsdruck“ berichten 44 Prozent, von regelmäßigen störenden Unterbrechungen der Arbeit 27 Prozent und von mangelnder Planbarkeit der Arbeitszeiten 23 Prozent. In einem Fünftel der Firmen grassiert die Angst, den Arbeitsplatz zu verlieren. Die Befunde sind repräsentativ für Betriebe mit wenigstens 20 Beschäftigten und Arbeitnehmervertretung.
In den meisten Betrieben, 77 Prozent, haben die gesundheitlichen Probleme nach Angabe der Betriebsräte in der jüngeren Vergangenheit zugenommen, in jedem zweiten ist die Zahl der Überstunden gestiegen. Bei vier von fünf Betrieben ist Stress Thema auf Betriebsversammlungen oder Gegenstand von Verhandlungen zwischen Arbeitnehmervertretung und Geschäftsführung. Dabei kommt die Zunahme des Arbeitsdrucks nicht von ungefähr: In jedem zweiten Betrieb gab es in den zwölf Monaten vor der Befragung Umstrukturierungen, über ein Viertel hat mit Personalabbau zu kämpfen. Hier ist der Stresspegel deutlich überdurchschnittlich. Mit dem Problem einer zu geringen Personalausstattung beschäftigen sich drei Viertel der Betriebsräte. Das gilt besonders für Erziehungs- und Gesundheitsberufe sowie andere öffentliche Dienstleistungen.
Es sei zu vermuten, so Ahlers, dass viele „Unternehmen die Personaldecke aus Kostengründen so dünn wie möglich halten“. Keineswegs liege die knappe Personalbemessung in erster Linie an zu wenigen geeigneten Bewerbern. Zwar hat laut Betriebsrätebefragung eine Reihe von Firmen Schwierigkeiten, die richtigen Leute zu finden, seien es Akademiker, Facharbeiter oder Ungelernte. Aber in solchen Betrieben spielt Überlastung durch Personalmangel kaum eine größere Rolle als in anderen.
Was den Druck auf Beschäftigte zusätzlich erhöht, sind die neuen Techniken der „Leistungssteuerung“: Zielvereinbarungen und Vertrauensarbeitszeit statt Stechuhr vergrößern zwar den Spielraum für Selbstbestimmung, aber sie gehen der Untersuchung zufolge auch mit höheren Anforderungen und mehr Stress einher.
Was Management und Betriebsräte tun können
Traditionelle Formen des Arbeitsschutzes – Verbot von Sonntagsarbeit, Sicherheits- und Pausenvorschriften oder Ähnliches – helfen nur bedingt weiter. Neuere Instrumente sind Programme zur betrieblichen Gesundheitsförderung, Eingliederungsmanagement nach längerer Krankheit oder Gefährdungsbeurteilungen, die sichtbar machen, welche Belastungen mit dem einzelnen Arbeitsplatz verbunden sind. Alle drei sind in der Mehrheit der untersuchten Betriebe inzwischen verbreitet, wobei kleinere Firmen deutlich hinter die Großbetriebe zurückfallen. In Unternehmen ohne Betriebsrat und mit weniger als 20 Beschäftigten dürfte die Quote noch geringer ausfallen, so Ahlers.
Aber selbst wenn Instrumente existieren, ist der Forscherin zufolge fraglich, ob sie passend ausgestaltet sind. So seien viele Hochglanzbroschüren, in denen Unternehmen ihre Fitness-, Ernährungs- oder Entspannungsprogramme preisen, irreführend. Hier würden individuelle Bewältigungsstrategien angeboten, aber nicht die eigentlichen Ursachen der Überlastung angegangen. Von den abgeschlossenen Gefährdungsbeurteilungen bezieht außerdem nur ein Viertel psychische Belastungen mit ein – obwohl der Gesetzgeber dies seit langem so fordert. Ganzheitliche Gefährdungsbeurteilungen sind Ahlers zufolge der wichtigste Ansatzpunkt für Arbeitnehmervertreter: In Betrieben mit einem umfassenden Gesundheitsmanagement, das Stress ernst nimmt, stand am Anfang oft eine Betriebsvereinbarung zur Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastungen.