Quelle: HBS
Böckler ImpulsLehrstellen: Betriebe bilden nicht genug aus
Demografisch bedingt müsste sich der Ausbildungsmarkt entspannen. Doch in jüngster Zeit gibt es offiziell wieder mehr erfolglose Bewerber. Das hat zum Teil statistische Gründe, liegt aber vor allem an der zuletzt rückläufigen Ausbildungsbereitschaft der Betriebe.
Das Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) zählte 2014 etwa 810.000 ausbildungsinteressierte Jugendliche. Gut 520.000 von ihnen hatten bis zum Stichtag am 30. September eine Lehrstelle gefunden. 290.000 dagegen nicht. Die offizielle Erfolgsrechnung weist allerdings nur rund 80.000 gescheiterte Bewerber aus. Darauf machen Stephanie Matthes und Joachim G. Ulrich vom BIBB aufmerksam. Als erfolgloser Bewerber gezählt wird nämlich nur, wer am Stichtag beim Jobcenter als Ausbildung suchend gemeldet und allenfalls im Rahmen einer Überbrückungsmaßname der Arbeitsverwaltung beschäftigt ist. Die über 200.000 anderen „ehemaligen Bewerber“ des Jahres bleiben unberücksichtigt. Aus Umfragen ist allerdings bekannt, dass ein großer Teil von ihnen keineswegs eine gute Alternative zur Berufsausbildung gefunden hat, so Matthes und Ulrich. Eben weil sie keinen Ausbildungsplatz haben, schlagen sich viele mit Gelegenheitsjobs oder auf andere Weise durch.
Daher ist „die fehlende Berücksichtigung erfolgloser Bewerber, die vor dem 30. September resignieren“, aus Sicht der Forscher nicht akzeptabel. Immerhin nehme sich die Politik des Problems mancherorts an. So habe Hamburg eine Jugendberufsagentur gegründet, die sich bemüht, den Kontakt zu den Bewerbern ohne abgeschlossenen Ausbildungsvertrag zu halten. Dabei zeige sich, dass viele der „unbekannt Verbliebenen“ letztlich der Rubrik „erfolglose Nachfrager“ zugeordnet werden müssen. Eine steigende Quote erfolgloser Nachfrager ist in diesem Fall allein der besseren Aufklärung geschuldet – „ein etwas misslicher Umstand, da eine bildungspolitisch sinnvolle Maßnahme mit schlechteren statistischen Kennzahlen bestraft wird“, so Matthes und Ulrich.
Ein anderer Grund dafür, dass heute mehr erfolglose Lehrstellenbewerber ausgewiesen werden müssen, besteht den Wissenschaftlern zufolge im schrumpfenden Angebot an Plätzen in berufsvorbereitenden Maßnahmen. Dieser Teil des sogenannten Übergangssektors ist in die Kritik geraten, weil damit auch solchen Jugendlichen zur „Ausbildungsreife“ verholfen werden sollte, die offiziell längst die nötigen Fähigkeiten besaßen. In den vergangenen Jahren wurden daher immer weniger Bewerber in solche Maßnahmen gelenkt. Von knapp 41.000 im Jahr 2009 sank die Teilnehmerzahl auf weniger als 20.000 im vergangenen Jahr.
Den Hauptgrund für die Probleme am Ausbildungsmarkt sehen Matthes und Ulrich allerdings im schrumpfenden Angebot an Ausbildungsplätzen: Das Vertrauen der Bildungspolitiker „auf die betriebliche Angebotsentwicklung erwies sich als Fehlkalkulation“. Eine umfangreiche statistische Analyse, die vergleicht, wie sich die Quoten erfolgloser Bewerber in den Bundesländern von 2009 bis 2014 entwickelt haben, bestätigt: Je weniger betriebliche Lehrstellen angeboten wurden und je weniger außerbetriebliche Angebote es noch gab, desto höher fiel die Quote der erfolglosen Bewerber aus.
Das Argument der Wirtschaftsverbände, jungen Menschen, die keine Lehrstelle finden, fehle einfach die nötige Qualifikation, lasse sich vor dem Hintergrund ihrer Ergebnisse nicht aufrechterhalten, so die Forscher. Immerhin handele es sich bei der offiziell wieder gestiegenen und statistisch erfassbaren Zahl erfolgloser Ausbildungsstellenbewerber ausnahmslos um sogenannte „ausbildungsreife“ Bewerber, deren Eignung zur Aufnahme einer Berufsausbildung von den Beratungs- und Vermittlungsdiensten geklärt worden sei.
Die Forscher weisen zudem darauf hin, dass diejenigen Jugendlichen, die ihre Lehrstellensuche abgebrochen haben, ohne Beratungs- und Vermittlungsdienste der Arbeitsagentur in Anspruch zu nehmen, in ihren Berechnungen noch nicht enthalten sind. Nach älteren Schätzungen dürfte es sich dabei um weitere „mehrere Zehntausend Personen“ pro Jahr handeln.
Stephanie Matthes, Joachim G. Ulrich: Warum gibt es wieder mehr erfolglose Ausbildungsplatznachfrager?, in: WSI-Mitteilungen 2/2015