Quelle: HBS
Böckler ImpulsZuwanderung: Besser integriert dank Mitbestimmung
Migrantische Beschäftigte treten eher einer Gewerkschaft bei, wenn sie im Sozialleben und am Arbeitsplatz gut integriert sind. Mit Betriebsräten gelingt das besser.
Ein funktionierendes Tarifsystem setzt mitgliederstarke Gewerkschaften voraus. Dabei gibt es ein Problem: Dass die Ergebnisse von Tarifverhandlungen in der Regel allen Beschäftigten zugutekommen, auch wenn sie nicht gewerkschaftlich organisiert sind, macht es möglich, sich als „Trittbrettfahrer“ zu betätigen, also vom Tarifvertrag zu profitieren und sich zugleich die Beitragszahlungen zu sparen. Dass viele Menschen trotzdem Gewerkschaften beitreten, könnte zum einen daran liegen, dass es bestimmte Leistungen wie zum Beispiel Rechtsberatung nur für Mitglieder gibt. Zum anderen dürften soziale Normen solidarisches Verhalten bewirken.
Fenet Jima Bedaso und Uwe Jirjahn von der Universität Trier haben in einer Studie untersucht, wie sich die Situation im Hinblick auf migrantische Beschäftigte darstellt. Ihre Vermutung: Die Mechanismen zur Überwindung des Trittbrettfahrer-Dilemmas dürften umso schlechter greifen, je unvollständiger diese Menschen in der Gesellschaft und am Arbeitsplatz integriert sind. Denn um sich von den konkreten Vorteilen einer Gewerkschaftsmitgliedschaft zu überzeugen, brauche es entsprechende soziale Kontakte. Und nur wer sich einer Gruppe zugehörig fühlt, sei empfänglich für soziale Reaktionen wie Anerkennung oder Missbilligung.
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Tatsächlich können Bedaso und Jirjahn anhand von Daten des Sozio-oekonomischen Panels (SOEP) zu westdeutschen Beschäftigten aus den Jahren 2001, 2011 und 2019 zeigen, dass Zugewanderte der ersten Generation deutlich seltener einer Gewerkschaft beitreten als Personen ohne Migrationshintergrund: Wenn man anderen Einflussfaktoren wie dem Beruf, der Branche, der Ausbildung, dem Alter oder dem Geschlecht Rechnung trägt, sind sie mit einer um 11 Prozentpunkte geringeren Wahrscheinlichkeit Gewerkschaftsmitglied. Wichtig ist: Der Unterschied nimmt im Laufe der Jahre nach der Immigration ab und ist in der zweiten Generation nicht mehr nachweisbar. Er fällt zudem signifikant geringer aus, wenn migrantische Beschäftigte regelmäßig privaten Kontakt zu Deutschen haben – und wenn sie von einem Betriebsrat vertreten werden.
Wie stark die Effekte sind, veranschaulichen die Forschenden anhand einer Beispielrechnung: Bei Zugewanderten ohne Kontakt zur eingesessenen Bevölkerung und ohne betriebliche Mitbestimmung ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie gewerkschaftlich organisiert sind, auch noch 25 Jahre nach ihrer Ankunft in Deutschland 30 Prozentpunkte geringer als bei Beschäftigten ohne Migrationshintergrund. Wenn sie Umgang mit Deutschen pflegen, beträgt die Differenz dagegen weniger als 15 Prozentpunkte, mit Betriebsrat weniger als 12 Prozentpunkte. Wenn sie sowohl Kontakt zu Einheimischen als auch einen Betriebsrat haben, ist die Wahrscheinlichkeit sogar etwas höher als bei den nicht Zugewanderten.
Dass Mitbestimmung zu einer besseren Integration von Migrantinnen und Migranten beiträgt, erklären Bedaso und Jirjahn mit den gesetzlichen Aufgaben von Betriebsräten: Gemeinsam mit dem Arbeitgeber sollen sie laut Betriebsverfassungsgesetz darauf achten, dass Benachteiligungen von Beschäftigten unter anderem aus Gründen der ethnischen Herkunft, Nationalität oder Religion unterbleiben. Zudem hätten die Arbeitnehmervertretungen ein eigenes Interesse daran, für Zusammenhalt in der Belegschaft zu sorgen – schon allein, um die Verhandlungsposition gegenüber dem Management zu stärken.
Als Fazit halten die Ökonomin und der Ökonom fest, dass erfolgreiche Integration die Stabilität des Tarifsystems zu erhöhen vermag. Auch in dieser Hinsicht seien eine Zuwanderungspolitik, die auf Integration Wert legt, sowie der Kampf gegen Vorurteile und Diskriminierung also wichtig. Eine Stärkung der betrieblichen Mitbestimmung könnte ebenfalls die Kluft zwischen Zugewanderten und der Mehrheitsgesellschaft verringern.
Fenet Jima Bedaso, Uwe Jirjahn: Immigrants and trade union membership: Does integration into society and workplace play a moderating role? British Journal of Industrial Relations, November 2023