Ausbildung: Berufliche Bildung hat Zukunft
Die Arbeitsmarktchancen Ungelernter verschlechtern sich. Das heißt aber nicht, dass nun alle studieren müssen: Das Rückgrat der deutschen Wettbewerbsfähigkeit bilden weiterhin die im dualen System erworbenen Berufsabschlüsse.
Zwei Drittel der Beschäftigten in Deutschland haben eine Berufsausbildung. Dies war schon Mitte der 1990er-Jahre so. Verändert hat sich nur die Zusammensetzung am oberen und unteren Ende der Qualifikationsskala: Es gibt heute mehr Akademiker und weniger Ungelernte in den Unternehmen. Das zeigt eine Untersuchung des Arbeitsmarktforschers Gerhard Bosch, Direktor des Instituts Arbeit und Qualifikation (IAQ). Angehörige der Stammbelegschaften haben nach seinen Berechnungen sogar zu fast 70 Prozent eine Berufsausbildung, weitere 21 Prozent haben studiert. An- und Ungelernte arbeiten am häufigsten im „unstrukturierten Arbeitsmarkt“ – einfache Tätigkeiten und Betriebszugehörigkeit unter zehn Jahren. Häufig finden sich solche Stellen in Branchen wie dem Einzelhandel, Gastgewerbe oder der Leiharbeit. Allerdings verdrängen ausgebildete Arbeitskräfte auch in diesem Segment zusehends die Unqualifizierten, hat der Wissenschaftler beobachtet.
Die offenkundige Dominanz „beruflicher Arbeitsmärkte“ stellt Bosch zufolge die unter Bildungsforschern verbreitete These infrage, das duale Ausbildungssystem sei nicht mehr zeitgemäß. Zumal es sich als durchaus anpassungsfähig erwiesen habe: Allein zwischen 1996 und 2008 sind 82 neue Berufe entstanden und 219 „grundlegend modernisiert worden“, schreibt der IAQ-Direktor. Deutsche Unternehmen hätten die großen organisatorischen Umstellungen der vergangenen beiden Jahrzehnte mithilfe ihrer Facharbeiter erfolgreich bewältigt, während sich anderswo „polarisierte Qualifikationsstrukturen“ herausgebildet hätten. So gebe es nun in vielen Ländern hohe Akademikeranteile und gleichzeitig viele Ungelernte.
Anstatt die Stärke des deutschen Modells, die Kombination aus gut ausgebildeten Hochschulabsolventen und einem breiten qualifikatorischen Mittelbau, wahrzunehmen, schielten Bildungspolitiker hierzulande häufig nur auf die Akademikerquote, fürchtet der Forscher. Diese liege mit 30 Prozent eines Jahrgangs zwar neun Prozentpunkte unter dem OECD-Durchschnitt. Die daraus abgeleitete „einseitige Orientierung auf die Hochschulausbildung“ müsse jedoch hinterfragt werden. Vielerorts haben hohe Akademikeranteile „nicht zu Kompetenzvorsprüngen geführt, sondern sind Folge eines Reputationsverlusts der beruflichen Bildung in diesen Ländern“. Das Niveau von Bachelor-Abschlüssen sei zudem nicht zwangsläufig höher als das der deutschen Betriebs- und Berufsschulausbildung. Außerdem nütze Hochschulwissen der Wirtschaft nur, wenn es auch eingesetzt werde, so Bosch. Tatsächlich hatten 2007 44 Prozent der jüngeren Akademiker in Spanien und 33 Prozent der US-amerikanischen eine Stelle, für die sie überqualifiziert waren. In Deutschland waren es lediglich 20 Prozent.
Eine zentrale bildungspolitische Herausforderung sieht Bosch darin, eine „schleichende Erosion des Berufbildungssystems durch eine einseitige Akademisierung zu vermeiden“. Ein wichtiger Stützpfeiler des dualen Systems, den es zu stärken gelte, sei das Flächentarifsystem. Denn wo keine Tarifbindung mehr gelte, würden beruflich Qualifizierte häufig in den Niedriglohnsektor abgedrängt und die Ausbildungsbereitschaft gehe zurück.
Gerhard Bosch: Facharbeit, Berufe und berufliche Arbeitsmärkte, in: WSI-Mitteilungen 1/2014