Industrie: Die Digitalisierung mitbestimmen
Wie sich der digitale Fortschritt in Industriebetrieben auswirkt, lässt sich steuern. Entscheidend ist, dass Arbeitnehmervertreter rechtzeitig Einfluss nehmen können.
Dass digitale Technologien auch die Industrie fundamental verändern werden, gilt unter Experten als ausgemacht. Was diese Entwicklung für die Beschäftigten bedeutet und welche Rolle Mitbestimmung bei einer menschengerechten Gestaltung spielt, zeigt ein aktueller Report. Jonathan Falkenberg und Alfredo Virgillito von der TU Dortmund, Thomas Haipeter vom Institut Arbeit und Qualifikation, Martin Krzywdzinski vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und Martin Kuhlmann vom Soziologischen Forschungsinstitut Göttingen haben gemeinsam mit Marc Schietinger von der Hans-Böckler-Stiftung Erkenntnisse aus diversen geförderten Forschungsprojekten zusammengeführt. Jobverluste auf breiter Front sind nach Analyse der Forscher in absehbarer Zeit nicht zu erwarten, ebenso wenig eine Abwertung menschlicher Qualifikationen: Die Anforderungen an Beschäftigte in der Produktion dürften eher steigen. Betriebsräte sind eine wichtige Instanz, um sicherzustellen, dass daraus keine Überforderung wird.
Die Digitalisierung in der Industrie sei ein vielfältiges Phänomen, schreiben die Wissenschaftler. Zum einen verberge sich dahinter eine Vielzahl unterschiedlicher Technologien von digitalen Steuerungssystemen über Leichtbauroboter bis hin zum 3D-Druck. Zum anderen gebe es bei der Anwendung große Unterschiede zwischen den Betrieben.
Oft werde digitale Technik nur als Insellösung eingesetzt, zeigen die Soziologen. Eine weitgehende Vernetzung von Datenströmen, die es ermöglicht, dass Maschinen Wartungsbedarf signalisieren oder Bestellungen von Großkunden direkt in die Produktionsplanung einfließen, sei noch eher die Ausnahme. Wo es entsprechende Systeme gibt, müssten Beschäftigte oft Lücken füllen und beispielsweise von Hand Excel-Tabellen ausfüllen. Dass Jobs teilweise oder ganz durch Technik ersetzt werden, sei allenfalls punktuell zu beobachten: „Von einer durchgängigen Automatisierung der Produktion sowie weiterer Unternehmensprozesse kann bislang keine Rede sein.“
Grundsätzlich bestehe die Möglichkeit, dass Digitalisierung zu einer Abwertung qualifizierter Arbeit führt, so die Forscher. Denkbar sei beispielsweise, Facharbeitsplätze mit Angelernten zu besetzen, die von digitalen Assistenzsystemen angeleitet werden. In der Praxis scheint allerdings bislang das Gegenteil zu überwiegen: Betriebsräten zufolge sind die Tätigkeitsanforderungen in bis zu zwei Dritteln der Abteilungen gestiegen und in weniger als einem Zehntel gesunken. Die Anforderungen nähmen zu, weil Beschäftigte lernen müssen, neue Technologien zu bedienen und über Fachgrenzen hinweg zusammenzuarbeiten. Komplexe Fertigungsprozesse vollständig zu digitalisieren, werde auf absehbare Zeit kaum machbar sein. „Deswegen halten die Betriebe am Leitbild qualifizierter Facharbeit fest und werten in der Tendenz die Tätigkeiten qualifikatorisch und organisatorisch auf“, stellen die Autoren fest.
Diese Aufwertung führe aber nicht unbedingt zu geringeren Belastungen, heißt es weiter. Stattdessen drohe steigender Leistungsdruck, insbesondere wenn Beschäftigte nicht ausreichend qualifiziert sind und Arbeitgeber sich nicht um Weiterbildung kümmern. Hinzu komme die Gefahr zunehmender Überwachung und Fremdbestimmung.
Umso wichtiger ist es aus Sicht der Wissenschaftler, dass Betriebsräte die Interessen der Beschäftigten schon bei der Einführung digitaler Technologien energisch vertreten. Von sich aus machten Unternehmen wenig Anstalten, ihre Beschäftigten einzubinden: „Beispiele für eine aktive, maßgebliche Beteiligung von Praktikern bei der Systementwicklung sind die Ausnahme.“ Das Wissen der Belegschaft bleibe so ungenutzt, zudem seien geeignete Qualifizierungsmaßnahmen in vielen Betrieben Mangelware. Mit den Folgeproblemen wie Arbeitsverdichtung und Leistungsintensivierung lasse das Management die Belegschaft oft allein.
Um wirksam gegensteuern zu können, sollten Betriebsräte Wissen sammeln und sich vernetzen, empfehlen die Forscher. Neben dem Austausch mit anderen Betriebsräten gelte es, Gewerkschaften als Berater und die Beschäftigten als Experten einzubinden. Beim Beschäftigtendatenschutz sei neben den Arbeitnehmervertretern auch der Gesetzgeber gefragt: Es brauche klare rechtliche Regeln und betriebliche Vereinbarungen, in denen verbindlich festgelegt wird, wer welche Daten zu welchen Zwecken nutzen darf.
Jonathan Falkenberg u.a.: Digitalisierung in Industriebetrieben, Report der Forschungsförderung der HBS Nr. 6, Februar 2020