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13 von 15 Zielen verfehlt Böckler Impuls

Transformation: 13 von 15 Zielen verfehlt

Ausgabe 14/2024

Im Hinblick auf wirtschaftliche, soziale und ökologische Nachhaltigkeit hat Deutschland sich zuletzt schwach entwickelt. Das kann sich nur durch mehr Investitionen ändern.

Mehr als vier Jahre internationaler Krisen – Corona-Pandemie, russischer Überfall auf die Ukraine, Inflationswelle, wachsende geopolitische Spannungen – haben deutlich negative Spuren bei zentralen Kenngrößen wirtschaftlicher, staatlicher, sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit in Deutschland hinterlassen. Die Bundesregierung hat zwar mit Hilfe von Kurzarbeit, Unterstützungszahlungen und Energiepreisbremsen verhindert, dass die Misere voll auf die Einkommen der Bevölkerung und den Arbeitsmarkt durchschlägt. Dieser Erfolg ändert allerdings wenig daran, dass Deutschland beim jüngsten Nachhaltigkeits-Check im Auftrag des IMK für den Zeitraum von 2019 bis 2023 eher schlecht abschneidet. Lediglich bei einem von 15 Indikatoren attestieren Fabian Lindner von der Hochschule für Technik und Wirtschaft und Anita Tiefensee von der Hochschule des Bundes in Berlin uneingeschränkten Fortschritt, nämlich bei der Arbeitsmarktentwicklung. Mit Abstrichen sehen der Verfasser und die Verfasserin der Studie auch die Senkung der Treibhausgasemissionen auf einem guten Weg. Was die übrigen 13 Politikziele angeht, steht die Ampel eher auf Rot oder Gelb als auf Grün. 

Das reale Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf lag 2023 etwas niedriger als 2019, wozu die Wirtschaftseinbrüche 2020 und 2023, aber auch die wachsende Bevölkerung beigetragen haben. Der Konsum schwächelte. Das staatliche Krisenmanagement hat die Folgen der Coronakrise und der Energiepreisexplosion deutlich abgemildert, konnte reale Verluste jedoch nicht ganz verhindern. Der Leistungsbilanz­überschuss betrug im vergangenen Jahr 6,1 Prozent und überschritt im Gesamtzeitraum klar die akzeptable Grenze. Infolge des Energiepreisschocks konnte von einer stabilen Preisentwicklung keine Rede sein. Bei der öffentlichen Verschuldung hat sich die Lage verschlechtert, wenn auch nicht dramatisch: „Eine Verschlechterung der langfristigen Schuldentragfähigkeit ist nicht zu befürchten.“ Viel problematischer sind aus Sicht von Lindner und Tiefensee die spärlichen Investitionen. Die Nettoinvestitionen gemessen am BIP sind in den Jahren 2022 und 2023 eingebrochen. „Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom November 2023 zum Klima- und Transformationsfonds und die Reaktion der Bundesregierung darauf haben die Aussichten auf eine angemessene Investitionstätigkeit weiter verdüstert“, warnen Lindner und Tiefensee. Das starre Festhalten an der Schuldenbremse „schwächt sowohl die öffentlichen Investitionen als auch die Transformation der deutschen Wirtschaft hin zur Klimaneutralität“. Wie auch das IMK, der Sachverständigenrat und viele weitere Fachleute empfehlen die Forschenden dringend eine Reform, etwa durch eine „Goldene Regel“, mit der der Staat in Höhe der Nettoinvestitionen Kredite aufnehmen könnte. 

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Bei der sozialen Nachhaltigkeit kommen die Forschenden ebenfalls zu ernüchternden Ergebnissen. Der Anteil der Armutsgefährdeten an der Gesamtbevölkerung lag 2022 bei 16,7 Prozent. Damit war er rund fünf Prozentpunkte höher als Ende der 1990er-Jahre. Allerdings: Neben dem Krisenmanagement, das noch Schlimmeres verhindert habe, werten Lindner und Tiefensee Verbesserungen bei der gesetzlichen Rente als Lichtblick, die einen weiteren Anstieg der Altersarmut unwahrscheinlich machen.

Die Ungleichheit der Haushaltseinkommen ist zuletzt etwas gestiegen. Zugenommen hat die Quote der Jugendlichen, die sich in keiner Ausbildung oder Qualifizierung befinden. Der Gender Pay Gap stagniert auf hohem Niveau und ist mit 18 Prozent weit von der Zehn-Prozent-Marke entfernt, die die Bundesregierung laut ihrer Nachhaltigkeitsstrategie anstrebt. 

Im Bereich der ökologischen Nachhaltigkeit hat Deutschland inzwischen ein wichtiges Ziel erreicht: Die Treibhausgasemissionen sind zwischen 1990 und 2023 um 46,2 Prozent gesunken und hielten so den Pfad zum Klimazwischenziel 2030 ein. Allerdings war das im Wesentlichen „nicht auf erfolgreiche klimapolitische Maßnahmen zurückzuführen“, sondern auf Sonderfaktoren wie die Energiekrise, so Lindner und Tiefensee.

Der Anteil der erneuerbaren Energien am gesamten Energieverbrauch wächst: im Untersuchungszeitraum von knapp 15 auf knapp 20 Prozent des Primärenergieverbrauchs. Der Pfad, der sich aus den europäischen Zielen zum Ausbau der erneuerbaren Energien ergibt, wurde allerdings bisher verfehlt. Auch die Reduzierung des Primärenergieverbrauchs blieb hinter den Zielen der Bundesregierung zurück.

Die Forschenden resümieren: „Für die mittelfristige Zukunft von Wohlstand und Nachhaltigkeit in Deutschland besteht die Gefahr, dass die Bundesregierung in den nächsten Jahren zu einseitig die Einhaltung der Schuldenbremse priorisiert.“ Die Folgen: Die Sparpolitik verlangsamt das BIP-Wachstum und gefährdet damit die wirtschaftliche Stabilität. Die Investitionen bleiben zu niedrig. Fehlende Investitionen, zum Beispiel in die Bildung, erhöhen den Anteil junger Menschen ohne Abschluss. Armut und Ungleichheit nehmen zu. Auch die ökologische Nachhaltigkeit verschlechtert sich, da viele Investitionen und Gelder für den Umbau der Wirtschaft in Richtung Klimaneutralität bereits gestrichen wurden. Eine sichere, klimaverträgliche und bezahlbare Energieversorgung sei eine zentrale Anforderung, schreiben Lindner und Tiefensee. Sie sei einerseits wichtig, um die Legitimität der Klimapolitik nicht zu gefährden und einem weiteren Erstarken des Populismus keinen Vorschub zu leisten. Zum anderen sei sie notwendig angesichts wachsender geopolitischer Risiken für die stark exportabhängige deutsche Wirtschaft, etwa wenn Donald Trump US-Präsident wird oder die Spannungen zwischen den USA und China weiter eskalieren.

Fabian Lindner, Anita Tiefensee: Nachhaltigkeit der Wirtschaftspolitik in Zeiten der Polykrise, IMK-Study Nr. 94, Juli 2024

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