Quelle: HBS
Auf einen Blick: Sozial-Ökologische Transformation - Analysen und Konzepte zur Klimapolitik
Der Kampf gegen den Klimawandel ist eines der wichtigsten gesellschaftlichen und politischen Projekte unserer Zeit. Wie sollte eine effektive und sozialverträgliche Klimapolitik aussehen? Unsere Analysen, Befunde und Artikel zur sozial-ökologischen Transformation im Überblick.
[Aktualisiert am 28.7.2023]
Warum sprechen wir von "sozial-ökologischer Transformation"?
In der Hans-Böckler-Stiftung beschäftigen wir uns seit Jahren intensiv mit der Frage, wie erfolgreicher Klimaschutz gelingen kann und legen dazu regelmäßig neue Studien und Vorschläge vor. Was uns von anderen unterscheidet: Für uns müssen soziale Aspekte integrale Bestandteile jeder Klimapolitik sein, und nicht erst im Nachhinein an zweiter Stelle kommen.
Guter Klimaschutz dient dem Erhalt des Industriestandorts Deutschland, unserer sozialen Sicherungssysteme und des Wohlstands und baut diese weiter aus. Wir sprechen daher von sozial-ökologischer Transformation. Es sei „ganz zentral, dass die sozial-ökologische Transformation so gestaltet wird, dass auf dem Weg nicht gute Arbeitsplätze mit guter Bezahlung, fairen Arbeitsbedingungen und Mitbestimmung auf der Strecke bleiben“, sagt IMK-Direktor Sebastian Dullien.
Auf dieser Seite finden Sie eine aktuelle Zusammenstellung unserer Studien und Konzepte, die diesen Zielen dienen. Die Seite wird regelmäßig aktualisiert.
Investitionen in eine nachhaltige Zukunft
Klimaschutz bedeutet für uns vor allem ein zügiger Umbau - eine Transformation - unserer großen CO2-intensiven Systeme und Branchen - also etwa der Energieerzeugung, der Mobilität, der Wäremeerzeugung oder der Industrie. Dies erfordert massive Investitionen und auch ein Umdenken staatlichen Handelns:
- Durch die Herausforderungen des Klimawandels, aber auch der Digitalisierung und neuer sicherheitspolitischer Konstellationen muss sich auch die europäische Einstellung zu einer robusten Industriepolitik wandeln, so Experten unseres IMK. Ein guter Mix aus industriepolitischer Förderung und stabilitätspolitischer Begleitung wird Voraussetzung für eine erfolgreiche Transformation sein. Wichtig dabei: Maßnahmen müssen gemeinsam auf EU-Ebene beschlossen werden.
- Doch bremst das EU-Recht die sozial-ökologische Transformation derzeit aus? Es stellt sich die Frage, inwieweit die EU umweltfreundliche Technik und Produktion subventionieren sollte und inwieweit sie das dürfe. Konkret: Lassen die strengen Beihilferegeln in den EU-Verträgen eine gezielte finanzielle Förderung einer ökologischen Produktionsweise zu? Eine aktuelle von uns geförderte Stellungnahme zeigt, dass die Spielräume größer sind als gedacht.
- Eine erhebliche Klimalücke besteht bei den Finanzen: Die Transformation erfordert erhebliche öffentliche Zusatzausgaben. Ohne Reform der Schuldenbremse und Steuererhöhungen wird es besonders für Länder und Kommunen eng.
Wenn Marktprozesse alleine nicht für nötige Veränderungen sorgen, ist eine engagierte Wirtschaftspolitik wichtiger denn je.
- Bereits 2019 bezifferte das IMK in einer gemeinsamen Studie mit dem Institut der deutschen Wirtschaft (IW) den hiesigen Investitionsbedarf bis 2030 auf 450 Mrd. Euro, damit es in Deutschland beim Klimaschutz und vielen anderen wichtigen gesellschaftlichen Projekten vorangeht.
- Die Regierung sollte sich vom Dogma ausgeglichener öffentlicher Haushalte (Politik der „Schwarzen Null“) verabschieden, die selbst im Sachverständigenrat zur Begutachtung der wirtschaftlichen Entwicklung (SVR), dem höchsten deutschen ökonomischen Expertengremium, als überwunden gilt. Massive Investitionen in technische, ökologische und Bildungs-Infrastruktur verbessern auch die kurz- und die langfristigen Wachstumsperspektiven der deutschen Wirtschaft.
- Auch aus der Bevölkerung kommt der Wunsch nach Investitionen: Die Mehrheit der Deutschen ist unzufrieden mit der öffentlichen Infrastruktur. Im Bundesdurchschnitt fordern gut zwei Drittel höhere staatliche Investitionen. Am geringsten ist die Zufriedenheit in den Bereichen Bildung, Gesundheit und Umweltschutz, mehr Investitionen in Klimaschutz wird vor allem in den Städten gefordert.
- Ein konkretes Beispiel: Die Nachfrage nach klimafreundlich erzeugtem Wasserstoff in Deutschland dürfte bis 2030 schneller wachsen als vielfach angenommen – auch, weil Erdgas infolge des Ukraine-Kriegs teilweise ausfällt. Daher sollten bereits in den kommenden Jahren deutlich größere Kapazitäten zur grünen Wasserstoffproduktion im Inland geschaffen werden als bislang beabsichtigt. Zu diesem Ergebnis kommt eine von uns geförderte Studie.
Der entscheidende Faktor Arbeit
Erfolgreiche Transformation ist längst nicht mehr nur eine Frage des Geldes, Fachkräfte fehlen an vielen Stellen für den Aus- und Umbau der Infrastruktur oder etwa bei der Wärmewende.
- So muss Deutschland etwa deutlich mehr erneuerbare Energie erzeugen. Der Ausbau der Windenergie stockt jedoch. Politische Entscheidungen wie die auf möglichst niedrige Preise ausgerichtete Ausschreibungspolitik für Windprojekte ab 2017 und strenge Abstandsregelungen in verschiedenen Bundesländern haben deutliche Spuren hinterlassen. In den Jahren 2017 bis 2019 hat die Branche zeitweise mehr als 40 000 Arbeitsplätze verloren – und damit auch viel Knowhow. Um die Windindustrie wieder zu stärken, sind auch bessere Arbeitsbedingungen nötig, zeigt eine von uns geförderte Studie.
- Werden die Belange des Klimaschutzes in Zukunft auch im Arbeitsrecht relevant? Ausgehend von grundsätzlichen Überlegungen und persönlichen Beobachtungen beschäftigt sich Wolfang Däubler in einer aktuellen Analyse mit dem Stellenwert des Klimaschutzes gegenüber der unternehmerischen Freiheit und kollektiven Handlungsmöglichkeiten zugunsten von mehr Klimaschutz.
Nachhaltigkeit messen - Nationaler Wohlfahrtsindex NWI
Dass wirtschaftliche, soziale und ökologische Faktoren unsere Lebensqualität bestimmen, ist Grundlage des „Nationalen Wohlfahrtsindex“ (NWI), der regelmäßig im Auftrag unseres IMK berechnet wird. Der NWI enthält 21 Einzelkomponenten. Sie alle zusammen ergeben eine Kennzahl, die – im Vergleich mit den Werten der Vorjahre – erkennen lässt, in welche Richtung sich Volkswirtschaft und Gesellschaft entwickelt haben. Zuletzt fiel er schlechter aus, auch aufgrund zunehmender Extremwetterereignisse.
Emissionshandel – ein Konzept mit Schwächen
Wie erreichen wir mehr Klimaschutz? Durch das Ordnungsrecht? Investitionen? Oder Marktmechanismen wie etwa ein Emissionshandel? Letztere werden oft als besonders „effizient“ bezeichnet. Doch das Konzept hat Schwachstellen.
- Ein Folgeproblem steigender CO2-Preise: Wettbewerbsnachteile energieintensiver Produktion gegenüber China z.B. Die EU will die Verlagerung von klimaschädlichen Emissionen in Länder mit geringeren Umweltstandards durch Zölle verhindern. Hinzukommen sollte aber eine direkte Förderung klimaschonender Technologien, zeigt eine IMK-Analyse.
- Auch für die privaten Haushalte ließ sich im vergangenen Winter beobachten, wie schnell steigende Energiepreise zu sozialen Verwerfungen führen können. Viele mussten beim Konsum an anderer Stelle sparen, sogar bei Lebensmitteln. Die zuerst von Isabella Weber und Sebastian Dullien ersonnene Gaspreisbremse und wieder sinkende Preise konnten für Entlastung sorgen. Es blieb jedoch die Erkenntnis, auch aus der Praxis, dass eine reine Steuerung von CO2-intensivem Konsum über Preise nicht zu sozialem Klimaschutz führen kann.
- Gegen die reine Lehre eines Emissionshandels spricht aber nicht nur dessen fehlende verteilungspolitische Flexibilität, sondern auch die fehlende Planungssicherheit für Unternehmen und Politik durch schwankende CO2-Preise sowie falsche Anreize durch ein System vorab definierter Emissionsgrenzen. IMK-Ökonom Sebastian Dullien wundert sich daher in einem Beitrag für den Makronom über die „etwas naive Faszination für Handelsplätze und Marktlösungen“ in der klimapolitischen Debatte in Deutschland und plädiert für mehr Offenheit gegenüber Modellen mit einer CO2-Steuer.
Hub: Transformation gestalten der Hans-Böckler-Stiftung
Unser neuer „Hub: Transformation gestalten“ bearbeitet die Frage gesellschaftlicher Mitbestimmung zur gerechten Gestaltung der Transformation praxisnah und im regionalen Maßstab. Als Austauschplattform vernetzt der Hub die vielschichtigen Aktivitäten der Hans-Böckler-Stiftung zu Transformationsthemen. Der Hub soll helfen, den Austausch über gute Lösungen und neue Erkenntnisse zu beschleunigen, nach außen, aber auch nach innen mit den Instituten und Projekten der Hans-Böckler-Stiftung. Regelmäßige Kooperationsveranstaltungen mit regionalen Transformationsakteuren aus Politik, Gewerkschaften, Wissenschaft und Betrieben sind geplant.
Für sozialen Ausgleich sorgen
- Inflation, Corona und Ukraine-Krieg haben zuletzt den gesellschaftlichen Zusammenhalt weiter beschädigt. Wenn die ärmeren Schichten wirtschaftlich zurückfallen, bekommen rechtsradikale Parteien bei Wahlen Aufwind. Das zeigt eine empirische Studie. Auch wenn ein großer Teil der Bevölkerung den Eindruck hat, dass die Klimapolitik nur auf ihrem Rücken ausgetragen wird, wenden sie sich davon ab. Soziale Fragen müssen daher zentral in der Klimapolitik verankert werden. Grundsätzliche Überlegungen erläutert IMK-Direktor Sebastian Dullien dazu in unserem Podcast Systemrelevant.
- Eine Idee: Ein Pro-Kopf-Klimabonus, bei dem Einnahmen aus steigenden CO2-Preisen sozial gerecht wieder ausgezahlt werden. Dieser brächte zudem konjunkturelle Vorteile, zeigen IMK-Direktor Sebastian Dullien und IMK-Experte Sebastian Gechert in einer Analyse.
- Auch bei der Wärmewende könnte der Staat die Haushalte noch mehr unterstützen: Unser IMK hat dazu ein neues zusätzliches Förderinstrument vorgeschlagen, um eine Überlastung von Eigentümerinnen und Eigentümern selbstgenutzter Immobilien zu verhindern. Diese müssten dann monatlich für das komplette Sanierungsprogramm nicht mehr bezahlen als für eine neue Gas- oder Ölheizung. Das Finanzierungsmodell würde es sogar für viele Haushalte noch attraktiver machen, früher als durch das neue Gebäudeenergiegesetz (GEG) vorgeschrieben auf klimaschonende Heizungen umzusteigen.
Nachhaltigkeit vorantreiben durch Mitbestimmung
- Soziale und ökologische Kriterien haben bei der Vorstandsvergütung erheblich an Bedeutung gewonnen. Im Geschäftsjahr 2021 hatten alle Unternehmen im Dax und 41 von 50 MDax-Unternehmen nichtfinanzielle beziehungsweise nachhaltige Kriterien in ihre Vergütungssysteme integriert oder die Einführung für das Geschäftsjahr 2022 angekündigt. Und: In fast allen befragten Unternehmen ging die Initiative zur Implementierung von der Arbeitnehmerseite aus – Mitbestimmung wirkt.
- Mitbestimmung im Aufsichtsrat erhöht zudem die Chance, dass sich Unternehmen glaubhaft zur Einhaltung sozialer oder ökologischer Ziele verpflichten. Das belegt eine Studie.
- Dass der ökologische Umbau von Unternehmen nur schnell genug möglich ist, wenn die Beschäftigten mitwirken, zeigt auch die Ortsbesichtigung bei den Berliner Verkehrsbetrieben unseres Magazin Mitbestimmung. „Die Transformation kann nur mit den Beschäftigten und den Mitbestimmungsakteuren gelingen“, ist Geschäftsführer Klaus-Stephan Otto überzeugt. „Wird nur top-down entschieden und stellt man die Beschäftigten vor vollendete Tatsachen“, sei das Risiko groß, „dass Projekte scheitern oder sich viel länger hinziehen.“
- Auch bei der konkreten Umsetzung des neuen Lieferkettengesetzes sind Mitbestimmungsakteure in den Unternehmen gefragt, um soziale und ökologische Standards auch in weit entfernten Ländern zu verbessern. Unser Magazin Mitbestimmung hat diesem Thema zuletzt einen Schwerpunkt gewidmet.
- Ein weiteres Beispiel: Die Automobilindustrie steht vor einem epochalen Wandel zur Elektromobilität, auch viele Arbeitsplätze sind in Gefahr. Unser Magazin Mitbestimmung hat diesen Prozess in einer Reportage beschrieben: Ein Betriebsrat bei Mercedes etwa sieht nicht nur auf die Belegschaft große Herausforderungen zukommen. Auch die Betriebsratsarbeit ändere sich. „Früher haben wir vor allem Konflikte gelöst, jetzt entwickeln wir mehr und mehr auch Beschäftigungskonzepte.“
Forschungsverbund Sozial-Ökologische Transformation
In unserem Forschungsverbund "Sozial-ökologische Transformation" bauen wir gemeinsam weiter Expertise zu diesem wichtigen Thema auf. Im Verbund werden Wissenschaftler*innen gemeinsam den Wandel erforschen und Orientierungswissen – etwa für Betriebsräte und Gewerkschaften – bereitstellen, damit der Wandel auch gelingen kann. Welche Stärken der Forschungsverbund hat und welche konkreten Themen bereits untersucht werden, erläutert Christina Schildmann in unserem Podcast.
Weitere Informationen
Unsere Themenseite "Nachhaltigkeit"