Quelle: HBS
Auf einen Blick: Wohnungsnot in Deutschland
Wie groß ist das Wohnproblem in Deutschland? Welche Instrumente helfen, es zu lösen, welche nicht? Was für Herausforderungen enstehen für den Wohnungsmarkt durch die multiplen Krisen seit 2020? Von uns geförderte Studien liefern eine umfassende empirische Bestandsaufnahme mit detaillierten Daten.
[Aktualisiert am 05.12.2023]
In den deutschen Großstädten fehlen rund 1,9 Millionen günstige Wohnungen, darunter etwa 1,4 Millionen günstige Apartments unter 45 Quadratmetern für Einpersonenhaushalte. Am stärksten Betroffen sind Singles mit geringen Einkommen, aber auch Familien mit fünf und mehr Personen haben zunehmend Probleme, eine bezahlbare Wohnung zu finden. Am größten ist die Lücke in Berlin, Hamburg und Köln. In den 77 deutschen Großstädten fehlen fast zwei Millionen günstige Wohnungen.
Insgesamt fehlen in Deutschland nach wie vor massiv Sozialwohnungen. Studien gingen in 2023 von 700.000 bis mehreren Millionen fehlenden Sozialwohnungen aus. Einen solchen Bedarf habe es zuletzt vor 20 Jahren gegeben, so eine Studie. Neue werden viel zu langsam gebaut. Experten warnen vor dramatischen Zuständen.
Diese soziale Problemlage besteht nicht erst seit kurzem. Passiert ist generell wenig – nun hat sich die Lage durch steigende Zinsen und Baukosten sogar noch verschlechtert, wie IMK-Direktor Sebastian Dullien Anfang 2023 in unserem Podcast erläutert. Von den jährlich 400.000 neuen Wohnungen, die sich die Ampel-Regierung vorgenommen hatte, ist Deutschland weit entfernt.
Die Risiken für die lahmende Baukonjunktur für die Zukunft haben die IMK-Fachleute Dr. Carolin Martin und Dr. Thomas Theobald zusammen mit Lukas Jonas mithilfe eines statistischen Modells abgeschätzt. Mt drastischen Ergebnissen: Beim Wohnungsbau in Deutschland drohen wegen der hohen Zinsen und Baukosten 2023 und insbesondere 2024 drastische Einbrüche. So könnte die Zahl der neu fertiggestellten Wohneinheiten in Mehr- und Einfamilienhäusern von 295.000 im Jahr 2022 auf im schlechtesten Fall schätzungsweise 223.000 in diesem und nur noch 177.000 im kommenden Jahr sinken. Damit könnte 2024 fast wieder der historische Tiefststand von 2009 erreicht werden.
Auch über den harten Kern der Wohnungsnot hinaus werden viele Menschen durch Wohnkosten schwer belastet. Vier von zehn Großstadthaushalten, in denen rund 8,6 Millionen Menschen leben, müssen eine problematisch hohe Mietbelastung tragen. Die Städte mit der höchsten mittleren Mietbelastungsquote zeigt die Infografik. Alle Werte im Datenblatt zur Studie (pdf).
Wie hohe Mieten in Großstädten die Armut und die soziale Ungleichheit verstärken, zeigt eine von uns geförderte Studie von Dr. Andrej Holm: Fast 13 Prozent der Mieterhaushalte in deutschen Großstädten haben nach Abzug der Miete weniger als das Existenzminimum zur Verfügung. Mieterhaushalte der höchsten Einkommensklasse haben vor Abzug von Warmmiete und Nebenkosten im Mittel 4,4-mal so viel monatliches Nettoeinkommen wie die Haushalte der niedrigsten Klasse. Nach Zahlung der Bruttowarmmiete steigt dieser Faktor auf das 6,7-fache. Grund dafür: Ärmere Haushalte müssen einen weit überdurchschnittlichen Anteil ihres Einkommens fürs Wohnen aufwenden, obwohl sie auf deutlich weniger Wohnraum in schlechter ausgestatteten Wohnungen leben.
Unsere Städteprofile zeigen die Wohnsituation detailliert für jede der 77 deutschen Großstädte. Von Kiel bis München, von Aachen bis Dresden informieren die Profile unter anderem über Wohnkosten, die lokale Lücke an günstigen Wohnungen gestaffelt nach Wohnungsflächen, über Wohnungsgrößen, die vor Ort je nach Einkommen erschwinglich sind, über Eigentumsquoten und Wohnungsausstattungen.
Mieten explodieren, Wohnungen werden luxussaniert, seit Jahren wird zu wenig gebaut. Für Arbeitnehmer ist in vielen Städten kein Platz mehr. Der Markt braucht deshalb dringend ein soziales Gegengewicht. Wie das aussehen kann, zeigt unser Dossier "Bauen für eine demokratische Stadt". Mit einem Interview mit dem Stadtsoziologen Andrej Holm: "Sozialer Wohnungsbau gehört ganz oben auf die Tagesordnung"
Durch die Corona-Pandemie ist die Situation von potenziellen Immobilienkäuferinnen und -käufern in Deutschland noch schwieriger geworden. Auch Mieterinnen und Mieter bleiben stark belastet. Anders als Anfang vergangenen Jahres durchaus für möglich gehalten, gab es 2020 keine Preiseinbrüche bei Wohnimmobilien, sondern im Gegenteil in vielen Regionen einen zusätzlichen Pandemie-Effekt, der den Preisauftrieb weiter verstärkt hat.
Wohngeld, sozialer Wohnungsbau und die Mietpreisbremse sind die drei wichtigsten Instrumente, mit denen Wohnen bezahlbar gehalten werden soll. Doch derzeit leisten sie „nur einen sehr eingeschränkten Beitrag für die Versorgung der Haushalte mit den größten sozialen Wohnversorgungsbedarfen“, konstatiert unsere neue Studie. Das liege wesentlich an einer problematischen Gewichtung, bei der das Instrument mit dem größten Potenzial – der Aufbau eines ausreichend großen, dauerhaft preisgedämpften Wohnungsbestands – mit vergleichsweise wenig Geld ausgestattet ist.
Wie lässt sich die Wohnungsnot lindern?
Es gibt Wege aus der Wohnungskrise: Wissenschaftler haben einen detaillierten Plan entworfen, mit dem sich der öffentliche Wohnungsbau ankurbeln ließe.
Der Wohnungsmarkt ist vielerorts hart umkämpft – oft zu Lasten der finanziell Schwächeren. IMK-Direktor Sebastian Dullien erklärt in unserem Podcast, wie es dazu kam und warum öffentliche Wohnungsbaugesellschaften die bessere Strategie sind als Enteignungen.
Durch die Corona-Krise entstehen neue Probleme auf dem Wohnungsmarkt: Die von der Bundesregierung in ihrem Hilfspaket vorgesehenen Schutzmaßnahmen für Mieterinnen und Mieter gehen dem DGB nicht weit genug. Mietkündigungen sollten mindestens bis Ende September ausgesetzt und weiterhin ein Sonderfonds eingerichtet werden, der in der Zeit nach Corona schnell und unbürokratisch Mietzuschüsse gewährt.
Mitte Februar gab es den Auftakt der Kampagne "Mietenstopp! Denn dein Zuhause steht auf dem Spiel". Diese fordert einen sofortigen bundesweiten Mietenstopp für die kommenden sechs Jahre. Vorgestellt wurde diese von sechs Kampagnenvertreter*innen (Deutscher Mieterbund, Deutscher Gewerkschaftsbund, Paritätischer Gesamtverband, 23 Häuser sagen NEIN (Berlin), #ausspekuliert (München) und Recht auf Stadt Köln). Anlass ist die Wohnraumoffensive der Bundesregierung, welche aus Sicht der Kampagnenpartner:innen für Mieter:innen eine schlechte Bilanz besitzt. Die auf dem Wohngipfel 2018 beschlossenen Maßnahmen haben keine Kehrtwende auf dem Wohnungsmarkt eingeleitet.
Nicht nur der soziale Wohnungsbau ist seit Ende der 1980er-Jahre in Deutschland immer mehr eingeschlafen, die damalige Regierung schaffte 1990 auch die sogenannte Wohngemeinnützigkeit ab. Seither ist es nicht mehr möglich, Unternehmen, die günstigen Wohnraum für Menschen mit kleinen oder mittleren Einkommen anbieten, durch Steuererleichterungen und Zulagen zu fördern. Dabei haben gemeinnützige Wohnungsunternehmen zwischen 1950 und 1985 mehr als 3,6 Millionen Wohnungen errichtet und damit erheblich zur Linderung des Wohnungsmangels in der alten Bundesrepublik beigetragen.
Heute steht der Mangel an – bezahlbaren – Wohnungen wieder oben auf der sozialpolitischen Tagesordnung. Denn besonders seit der Finanzkrise von 2008 steigen die Mieten rasant. So ist auch die Wiedereinführung der Gemeinnützigkeit seit einigen Jahren im Gespräch – und laut Koalitionsvertrag der Bundesregierung geplant, wobei noch kein Gesetzentwurf vorliegt. Eine offene Frage ist: Wäre eine entsprechende Subventionierung von Bauunternehmen mit dem Wettbewerbsrecht der EU in Einklang zu bringen?
Prof. Dr. Pia Lange, Professorin für Öffentliches Recht und Europarecht an der Universität Bremen, hat sich in einem Gutachten für uns mit dem Thema auseinandergesetzt. Das Ergebnis: Unter bestimmten Voraussetzungen wäre eine Gemeinnützigkeit für Wohnungsunternehmen mit EU-Recht kompatibel.
Drastischer Einbruch beim Wohnungsbau ab 2022
Die Ampelregierung hatte 2021 das Ziel geäußert, die Situation auf dem Wohnungsmarkt mit jährlich 400.000 fertiggestellten Wohneinheiten in Mehr- und Einfamilienhäusern zu verbessern. Nach einer Studie des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) von Juli 2023 drohen Deutschland allerdings wegen der hohen Zinsen und Baukosten 2023 und insbesondere 2024 drastische Einbrüche beim Wohnungbau. So könnte die Zahl der neu fertiggestellten Wohnungen von 295.000 im Jahr 2022 auf im schlechtesten Fall schätzungsweise 223.000 in diesem und nur noch 177.000 im kommenden Jahr sinken.
Damit könnte 2024 fast wieder der historische Tiefststand von 2009 erreicht werden – und das von der Bundesregierung angestrebte Ziel von jährlich 400.000 neuen Wohnungen läge in weiter Ferne. Der mögliche Einbruch bei den Fertigstellungen würde einem Rückgang der realen Wohnungsbauinvestitionen um knapp 21 Milliarden Euro in diesem bzw. gut 16 Milliarden Euro im kommenden Jahr entsprechen.
Angesichts solcher Aussichten sollten die Ausgaben für öffentlich geförderten Wohnungsbau erhöht und die Strukturen für eine schnellere Umsetzung gestärkt werden, empfehlen die Forschenden.