Quelle: Michael Hughes
StipendienAltstipendiat: Der Postwachstums-Ökonom
Steffen Lange erforscht die Perspektiven für eine Wirtschaft, die ohne Wachstum auskommt. Von Andreas Molitor
Steffen Lange gehört zu jener überschaubaren Schar von Wirtschaftswissenschaftlern, die sich nicht um klare Aussagen herumdrücken. Wie man die Macht der großen Internetkonzerne beschneiden könnte? „Am besten, indem man sie zerschlägt“, lautet die Antwort mit ruhiger, fast leiser Stimme.
Genauso schnörkellos retourniert Lange, wenn es um die eigene Person geht. Welche Rolle Gewerkschaften in seinem Leben spielten, bevor er sich vor gut zehn Jahren für ein Promotionsstipendium bei der Hans-Böckler-Stiftung bewarb? „Ich fand starke Gewerkschaften immer unverzichtbar, aber ich wäre wohl nie auf die Idee gekommen, dort einzutreten“, sagt der 35-Jährige, der als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) in Berlin arbeitet.
Die Globalisierungskritik von Attac lag ihm damals näher als Tarifverträge und Streikrecht. Erst kurz vor der Bewerbung um das Stipendium trat er in die GEW ein. Schon sein Promotionsvorhaben war ein kühner Griff: Der Sohn eines Lehrers und einer Krankenschwester erkundete die Chancen für eine ökologisch nachhaltige Wirtschaft, die ohne Wachstum auskommt – wohl wissend, wie kritisch die „Postwachstumsökonomie“ in Gewerkschaftskreisen noch immer gesehen wird.
Wachstum um jeden Preis verficht dort zwar schon lange niemand mehr. Aber mit einer schrumpfenden Wirtschaft, und mag sie noch so nachhaltig sein, kann sich auch kaum jemand anfreunden. Umso größer war Langes Freude, „dass die Stiftung ein so umstrittenes Thema fördert“.
Langes Verhältnis zu den Gewerkschaften ist bis heute solidarisch, aber kontrovers geblieben. Zwar finde er auf Gewerkschaftsseite „immer wieder progressive und interessante Diskussionspartner“. Mit seiner Forderung nach einer Beschneidung der Macht großer Internetkonzerne beispielsweise trifft er bei vielen Gewerkschaftern einen Nerv. Doch auch Differenzen bleiben, spürbar vor allem bei der Debatte um den Kohleausstieg. Beim Widerstand gegen die Kohleverstromung gehörte Lange zu den Aktivisten der ersten Stunde. Er erinnert sich, leicht schmunzelnd, an „extrem spannende Diskussionen mit den Vertretern der IG BCE“.
Beim IÖW bestellt Lange weiter sein Lieblingsfeld: Alternativen zum Wachstum. Er debattiert auf Foren, veröffentlicht wissenschaftliche Aufsätze fast wie am Fließband. Die frühere BUND-Präsidentin Angelika Zahrnt, ebenfalls Kritikerin des Wachstums, wünscht ihm eine größere Öffentlichkeit. „Du solltest mit dem Thema mehr Einfluss auf die gesellschaftliche Debatte nehmen“, hat sie ihm einmal gesagt, „auch außerhalb akademischer Zirkel.“
Doch Steffen Lange kennt nicht nur den Elfenbeinturm der Theorie. Als er während seines Bachelorstudiums über ein Austauschprogramm Südamerika bereiste, sah er, wie Arbeiter in einer museumsreifen Bergbauanlage in Bolivien für Hungerlöhne malochten. Dieses Erlebnis habe „unsere abstrakten Diskussionen in studentischen Zirkeln zu globaler Gerechtigkeit auf einen Schlag sehr konkret gemacht“.
Lange teilt nicht die weit verbreitete Hoffnung, dass die Digitalisierung die ökologischen Probleme quasi wie von selbst löst. Die meisten Geschäftsmodelle, vom Onlinehandel bis zum autonomen Fahren, seien alles andere als nachhaltig, erzeugten noch mehr Verkehr und Verpackung – und vergrößerten die Kluft zwischen Arm und Reich. Hier die Digitalisierungsprofiteure in den Internetkonzernen und die Aktionäre, dort die Heloten des Algorithmen-Zeitalters, schlecht bezahlte Crowdworker etwa.
Genau zu diesen Themen hat Lange in jüngster Zeit spannende Diskussionspartner gefunden – bei den Gewerkschaften.