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Magazin Mitbestimmung

Crowdsourcing: Ich bin Teil der Crowd

Ausgabe 12/2013

Die Befürworter zeichnen eine schöne neue Welt: In der Zukunft arbeiten wir dank weltweiter Vernetzung, wann und wo es uns gefällt. Zu Besuch am digitalen Fließband. Von Andreas Kraft

Ich bin jetzt Teil der Crowd. Es war ganz einfach. Ich musste nur ein paar Daten von mir preisgeben – E-Mail, Anschrift, Bankverbindung, Interessen – und anklicken, dass ich die allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB) akzeptiere. 15 Minuten hat das gedauert, bis ich meinen Arbeitsvertrag quasi unterzeichnet hatte. Doch bevor ich Geld verdienen kann, muss ich noch zum Vorstellungsgespräch. Und erst danach werde ich erfahren, was ich hier überhaupt verdienen kann. Eine ungewohnte Reihenfolge zwar. Aber wer wird schon kleinlich sein, wenn es darum geht, den Duft der neuen Welt zu schnuppern?

Seit zwei Jahren höre ich jetzt immer wieder von Crowdsourcing als neuem Modell, Arbeit zu organisieren. Ein bisschen ist das wie Wikipedia: Die große Gemeinde der Internetnutzer löst als Gemeinschaft große Aufgaben in kurzer Zeit. Und bei dem Onlinelexikon klappt das erstaunlich gut. Tausende von Autoren pflegen die Einträge, aktualisieren sie quasi in Echtzeit und vermessen so präzise die Welt, die uns umgibt. Sicher, es steht dort auch mal etwas, das nicht stimmt. Doch Studien zum Thema sind sich nicht einig, wer jetzt nun genauer ist: die Encyclopaedia Britannica oder Wikipedia. Nur eins steht fest: Fehler machen beide, weit liegen sie nicht auseinander. Klar, dass findige Manager da eine Chance wittern. Warum soll ein Unternehmen dieses Wissen, dieses Know-how nicht auch nutzen? Und so lassen zahlreiche Unternehmen von ihren Kunden inzwischen Verpackungen designen, Werbespots drehen oder gleich ganz das Produkt entwickeln. Andere setzen auf die Finanzkraft der Crowd: Zahlreiche Start-ups holen sich ihr Startkapital für die Unternehmensgründung via Crowdfunding bei ihren zukünftigen Kunden.

ZAHLLOSE KLEINE, UNERLEDIGTE AUFGABEN

Auf Plattformen werden dann Aufträge ausgeschrieben, die man jederzeit und von überall aus annehmen kann. Und wenn man keine Lust auf diesen oder jenen Auftrag hat, dann lässt man ihn einfach liegen. Irgendwer anders wird sich schon drum kümmern. Klingt paradiesisch, oder? Auf „Spiegel-Online“ erscheinen auch noch in regelmäßigen Abständen Artikel, die das neue Arbeitsmodell abfeiern: Wer in der Cloud arbeitet, müsse jetzt im Winter nicht im nasskalten Deutschland sitzen. Nein. Ein Crowdworker könne seine Arbeit auch von einem thailändischen Strand aus machen. Und schon rückt das Paradies noch ein Stück näher.

War da noch was? Ach ja, bevor ich meinen ersten Auftrag annehmen kann, muss ich mich vorstellen. Natürlich spricht hier keiner mit mir. Ein Computer testet mich. Im Internet soll ich Adressen recherchieren und nach genau festgelegten Regeln in ein Formular eintragen. Nachdem ich das erfolgreich gemeistert habe, muss ich in einem weiteren Text zeigen, dass ich nicht nur im Internet surfen kann, sondern auch die deutsche Sprache einigermaßen beherrsche. Bei dem Lückentest fehlt einem Satz jeweils ein Wort, ich soll aus vier Alternativen die richtige Antwort wählen. Für jeden Satz habe ich nur wenige Sekunden Zeit. Anschließend soll ich noch ein selbst gewähltes Computerspiel rezensieren. Zum Abschluss wird mir aus all dem mein Wert ermittelt. Mein Level liegt jetzt bei 95 Prozent.

Jetzt endlich – nach gut drei Stunden – warten die ersten Aufträge­ auf mich. Und ich sehe, was ich verdienen kann. Über den Daumen gepeilt liegt die Entlohnung zwischen einem und zwei Cent pro Wort. Puh. Das könnte hart werden, hier auf einen angemessenen Stundenlohn zu kommen. Aber ich will ja ins Paradies, und es gibt da ja diesen Spruch: Nur die Harten … Also stürze ich mich voller Enthusiasmus auf meine erste Aufgabe: Für einen Onlineshop soll ich einen kurzen Produkttext über eine Winterjacke verfassen. Keine große Schwierigkeit. 56 Worte sind da schnell zusammen. Doch es müssen genau 50 sein. An sich wäre es ja kein Problem, das entsprechend zu kürzen. Dumm nur, dass die Software das nicht anzeigt und ich lange hin und her probieren muss, bis ich herausfinde, dass ich genau die 50 Worte treffen muss. Nun gut, denke ich mir, einarbeiten muss man sich überall, und betrachte stolz mein Werk: „Der Arctic Parka in Midnight Blue von Woolrich ist das Richtige für kalte Wintertage. Der Pelz an der Kapuze paart den sportlichen Look mit einem Hauch Luxus. Zudem schützt die gerade geschnittene Jacke aus einem Baumwoll-Nylon-Gemisch zuverlässig vor Schmuddelwetter – mit wind- und wasserabweisendem Stoff, winddichten Bündchen und verdecktem Reißverschluss.“

Mein Lohn: 60 Cent. Arbeitszeit: 18 Minuten. Viel ist das nicht. Aber zum Glück wartet ja schon der nächste Auftrag auf mich. Die Jacke ist fast die gleiche, nur andere Farbe und anderer Stoff. Wieder gibt es 60 Cent. Diesmal brauche ich nur zwei Minuten. Zum Weiterarbeiten fehlt mir jetzt erst mal die Puste. Stattdessen rechne ich: Um auf zehn Euro Stundenlohn zu kommen, muss ich 17 Produkttexte in der Stunde verfassen. Für jeden habe ich dann drei Minuten und 31 Sekunden Zeit. Diese Taktzahl klingt nicht nach Paradies, sondern nach Fließband.

Und tatsächlich: Die Organisation von Crowdworking ist mit dem Taylorismus vergleichbar, wie Jan Marco Leimeister, Professor für Wirtschaftsinformatik an der Universität Kassel, in einer von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie feststellt. Wie bei der Entwicklung des Fließbandes sei auch beim Crowdworking das Ziel, „die Produktivität durch Standardisierung und Teilung der Arbeit in kleinste Einheiten zu steigern“. Die Aufgaben werden so klein, dass sie quasi jeder erledigen kann.

EINFACH, ABER ZU KOMPLEX FÜR DIE MASCHINE

Besonders anschaulich wird das auf einer vom Onlineversandhändler Amazon betriebenen Plattform: Mechanical Turk. Die Arbeit dort ist gerade so komplex, dass sie eine Maschine nicht mehr fehlerfrei erledigen kann. Dort soll man zum Beispiel einen abfotografierten Kassenbon abtippen. Auch hier würde ich gerne arbeiten. Doch die Plattform nimmt meine Anmeldung nicht an. Warum? Das verrät Amazon nicht. „Geschäftsgeheimnis“, heißt es in der E-Mail. Wenn sich an den Zulassungsbedingungen etwas ändere, werde ich informiert, heißt es nur lapidar.

Für Gunter Haake, Geschäftsführer der ver.di-Selbstständigenberatung mediafon, sind solche Plattformen an sich erst mal keine Bedrohung. „Da geht es ja mehr um einen Nebenverdienst“, sagt er. „Genauso wie bei deiner Katalogbeschreibung. Für ein stimmiges Produkt müssen die Texte ja zueinanderpassen.“ Entsprechende Qualität erziele auch nach wie vor ihren Preis. Aber natürlich müsse das auch verteidigt werden. Wirtschaftsinformatiker Leimeister beschreibt in seiner Studie auch ein anderes Beispiel: Ein großer Text wird mithilfe einer Software in viele kleine Abschnitte zerlegt und dann maschinell übersetzt. Per Crowdsourcing werden dann Menschen gesucht, die den übersetzten Text gegenlesen und die Fehler der Maschine verbessern. Das Erschütternde daran: Das Ganze gehe so deutlich schneller, als den Gesamttext einem professionellen Übersetzer zu geben.

GEWERKSCHAFTEN MÜSSEN FREIE ORGANISIEREN

ver.di hat auch viel Erfahrung damit, freie Journalisten zu organisieren. Heute seien zwei von drei DJU-Mitgliedern Selbstständige. „Wenn Qualität keine Rolle spielt, kann man mit Flexibilisierungsstrategien den Preis immer weiter nach unten treiben“, sagt Haake. „Das haben wir im Journalismus erlebt.“ Mittlerweile komme der Großteil der Texte in Zeitungen und Zeitschriften von freien Mitarbeitern. Redakteure­ verwalten die Artikel nur noch. Das erhöhe die Gefahr, dass der Flächentarif immer mehr erodiert.

Umso wichtiger ist es, Selbstständige in allen Branchen zu organisieren. Die Kollegen von ver.di setzen dabei vor allem auf Transparenz. „Das ist leichter, als manche gemeinhin glauben“, sagt Haake. „Denn der eigentliche Gegner ist ja der Arbeitgeber. Die Selbstständigen sind durchaus bereit, sich etwa über Honorare auszutauschen.“ Einen ähnlichen Ansatz verfolgt die IG Metall für die ITK-Branche. Für manche Programmierer ist es schließlich durchaus reizvoll, als Selbstständige zu arbeiten und dabei auch Aufträge über Crowdsourcing-Plattformen zu akquirieren. „Das muss nicht per se schlechte Arbeit sein“, sagt Juan-Carlos Rio Antas, ITK-Branchenkoordinator beim IG-Metall-Vorstand. „Aber diese neue Arbeitsform wollen wir gestalten. Zentral dabei ist es, ein besseres Gleichgewicht zwischen Auftraggeber und Auftragnehmer zu schaffen.“ Das könne vor allem durch mehr Überblick und abgesicherte Standards erreicht werden: Ist der angebotene Vertrag fair oder enthält er Fallstricke? Welche Anbieter zahlen eigentlich pünktlich? Was sind angemessene Honorare? „Wir brauchen Leitplanken für die digitale Arbeit“, fordert Rio Antas.

Ein anderer Weg, den die Gewerkschaften gehen, ist es, beim outsourcenden Unternehmen anzusetzen. Nach zahlreichen Berichten über mutmaßlich radikale Crowdsourcing-Pläne von IBM (siehe Mitbestimmung 6/2012) initiierte ver.di einen gemeinsamen Aufruf etlicher IT-Betriebsräte, unter anderem von IBM, SAP und T-Systems. Bert Stach, ver.di-Konzernbetreuer für IBM und dort auch Mitglied im Aufsichtsrat, sieht dabei nicht nur Gefahren für die Stammbeschäftigten, die ihre Jobs an die Crowd verlieren könnten. „Wenn exzessiv ausgelagert wird, gehen dem Staat auch Steuern und Sozialabgaben verloren“, sagt er. Gerade im IT-Bereich haben viele Plattformen ihren Sitz im Ausland, der Weg in die Steueroase ist da nicht weit. Zudem brauche es eine soziale Absicherung der Crowdworker. Alternative Sozialversicherungsmodelle müssten für die Beschäftigungsformen geprüft werden. Das Modell der Künstlersozialkasse könne dabei als Vorbild dienen.

CROWDWORKING GLEICH OUTSOURCING?

Die IG Metall setzt bei der Politik auf eine Regulierung von Werkverträgen. Das käme letztlich auch den Crowdworkern zugute, denn im Kern sei das ja auch nichts anderes als Outsourcing. ver.di-Mann Haake sieht zudem noch Potenzial in einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts von Ende November, das im Streit um Übersetzungshonorare klargemacht hat, dass der Bundestag durchaus die Vertragsfreiheit einschränken darf, um Solo-Selbstständige vor übermächtigen Auftraggebern zu schützen.

Nach diesen ersten Erfahrungen ist meine Motivation, in der Crowd zu arbeiten, arg zurückgegangen. Das Paradies hatte ich mir schließlich anders vorgestellt. Über meinen Preis kann ich nicht verhandeln. Ich kann die schlechte Bezahlung schlucken oder gar nichts verdienen. Außerdem bin ich in ein enges Kontrollschema eingebunden. Meine Texte werden beurteilt. Sind sie zu schlecht, werde ich in meinem Level heruntergestuft. Manche Aufträge bekomme ich dann gar nicht mehr angezeigt. Doch meinen Kontrolleur kenne ich gar nicht. Und ich finde auch keine Möglichkeit, mit ihm Kontakt aufzunehmen.

Doch dann bekomme ich eine E-Mail: Mein Honorar von 1,20 Euro wurde überwiesen. Außerdem: Man suche gerade Wirtschaftsexperten zum Verfassen von Lexikonartikeln. Die Neugier siegt. Ich logge mich ein und stelle erfreut fest, dass mein Level auf 96 Prozent gestiegen ist. Und wo ich schon mal da bin, schreibe ich noch einen Lexikonbeitrag. Diesmal brauche ich 26 Minuten und bekomme 4,80 Euro. Immerhin über dem Mindestlohn. Doch meinen Tag könnte ich damit nicht füllen. Dafür gibt es hier nicht genug Aufträge. Aber vielleicht auf einer anderen Plattform?

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