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HBS Böckler Impuls

Kinderbetreuung: Deutschland abgehängt

Ausgabe 02/2013

Zehntausende Betreuungsplätze müssen noch entstehen, damit bis August knapp 40 Prozent aller Kinder unter drei Jahren versorgt sind. Und der internationale Vergleich legt nahe, dass der Bedarf längerfristig noch deutlich steigen dürfte.

Es ist ein Wettlauf mit der Zeit: Ab August 2013 werden alle Kleinkinder, die mindestens ein Jahr alt sind, einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz in einer Kindertagesstätte oder bei einer Tagesmutter haben. Wird er nicht erfüllt, drohen den Kommunen Klagen. Zwar wurde die Betreuung für Kinder unter drei Jahren zuletzt ausgebaut. Doch nach wie vor liegen die Kapazitäten weit unter den von der Bundesregierung angepeilten 780.000 Betreuungsplätzen.

Im November 2012 meldete das Statistische Bundesamt noch eine Lücke von 220.000 Plätzen. Die Statistiker kalkulieren damit, dass am Stichtag 1. März 2012 knapp 28 Prozent aller Kleinkinder außer Haus betreut wurden, grundsätzlich aber bei 39 Prozent Betreuungsbedarf besteht. Diese Quote hat das Bundesfamilienministerium ermittelt, unter anderem durch Eltern-Befragungen. Europäische Vergleichsdaten lassen allerdings vermuten, dass damit lediglich ein Anfang gemacht wäre: „Selbst wenn es gelingen sollte, die Betreuungsgarantie umzusetzen, dann wird das nur der Auftakt zu einem ständigen Wettrennen zwischen Angebot und Nachfrage sein“, schreibt Eric Seils. Der Sozialforscher am WSI hat die Zahlen aus einer Reihe europäischer Länder ausgewertet. Aus diesem Vergleich leitet Seils eine Daumenregel ab, wonach der Betreuungsbedarf langfristig auf bis zu 60 Prozent der Kinder unter drei Jahren ansteigen kann.

In Europa oft Betreuungsquoten zwischen 35 und 50 Prozent. Wie stark die Nachfrage steigen könnte, zeigt schon ein erster Blick auf die Betreuungsanteile in 18 europäischen Staaten. Im Jahr 2010, dem letzten, für das beim EU-Statistikamt Eurostat Daten auf vergleichbarer Basis vorliegen, rangierte die Bundesrepublik mit einer Quote von gut 20 Prozent auf einem der hinteren Plätze – nur Griechenland und Österreich wiesen niedrigere Werte auf. In den meisten Vergleichsländern gingen zwischen 35 und 50 Prozent der Unter-Dreijährigen in eine Kindertagesstätte oder zur Tagesmutter. Dabei schätzen nationale Experten in Ländern wie Großbritannien, Luxemburg und selbst Frankreich, die im unteren oder mittleren Bereich dieser Spanne liegen, das Betreuungsangebot als nicht ausreichend ein. An der Spitze lag Dänemark: Dort wurden 78 Prozent der Kleinkinder bis drei Jahren betreut, die meisten davon 30 Stunden und mehr in der Woche.

Der Bedarf wächst mit dem Angebot. Seils hat auch nachverfolgt, wie sich die Kleinkinderbetreuung in verschiedenen Nachbarstaaten entwickelt hat. Vor allem in den skandinavischen Ländern hat der Wissenschaftler dabei ein Muster beobachtet: Über Jahre hinweg wächst mit einem steigenden Angebot auch der Bedarf nach Betreuungsleistungen. Seils erklärt das so: Wenn immer mehr Eltern ganztags arbeiten und ihre Kinder betreuen lassen, verändern sich soziale Normen. Die Akzeptanz von Kitas und Tagesmüttern wächst weiter und es gilt zunehmend als normal, dass sowohl Väter als auch Mütter voll am Erwerbsleben teilnehmen. Hinzu kommen ganz praktische Faktoren. So berichten Wissenschaftler aus Dänemark, dass Kinder, die zu Hause betreut werden, immer weniger Spielkameraden finden, weil die meisten Gleichaltrigen in der Kita sind.

Betreuungsgelder, die den Bedarf nach externer Betreuung grundsätzlich dämpfen können, gibt es in Schweden und in Finnland. In Schweden, wo Eltern monatlich 340 Euro erhalten, habe diese Geldleistung faktisch wenig Einfluss auf die Betreuungsquote, schreibt Seils mit Verweis auf die Forschungsliteratur. In Finnland sei das Betreuungsgeld hingegen noch deutlich höher – und offensichtlich wirke es sich aus: Die Quote der externen Kinderbetreuung lag 2010 nach den Eurostat-Daten bei 28 Prozent. Vor allem Frauen mit niedrigen Verdienstaussichten betreuten ihre Kinder selber.

„Mehr qualitativ hochwertige externe Kinderbetreuung verbessert die beruflichen Perspektiven von Frauen, und sie kann sich nach Einschätzung vieler Forscher positiv auf Bildungschancen auswirken“, sagt WSI-Forscher Seils. Der notwendige Ausbau müsse als langfristiges Projekt angelegt sein, wie der internationale Vergleich zeige. „Die Länder, die heute deutlich weiter sind als wir, haben etwa zwei Jahrzehnte gebraucht, um eine leistungsfähige Betreuungsinfrastruktur aufzubauen“, so Seils. „Das holt man nicht innerhalb weniger Jahre auf.“

  • In den meisten west- und nordeuropäischen Staaten wurden 2010 zwischen 35 und 50 Prozent der Kleinkinder außer Haus betreut, in Deutschland lediglich 20 Prozent. Zur Grafik

 

Eric Seils: Die Betreuung von Kindern unter drei Jahren. Deutschland im Vergleich von 18 westeuropäischen Ländern, im Erscheinen.

mehr Infos auf der Themenseite "Beruf und Familie" 

 

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