Quelle: HBS
Magazin MitbestimmungBetriebsverfassung: Weiterentwicklung: Leiharbeit
Europäische Betriebsräte haben in mehr als 40 Prozent der untersuchten Metallunternehmen transnationale Vereinbarungen und/oder Absprachen getroffen. Von Ingrid Artus
Leiharbeit ist zweifellos eine besonders prekäre Beschäftigungsform. Dies gilt für die unterdurchschnittliche Entlohnung, die geringere Beschäftigungssicherheit, die schlechteren Arbeitsbedingungen und auch für die reduzierten Mitbestimmungschancen. Rein formal besitzen Leiharbeiter freilich das gleiche Recht auf die Wahl eines Betriebsrats wie alle anderen Beschäftigten: Theoretisch dürften sie erstens in „ihrem“ Leiharbeitsbetrieb einen Betriebsrat wählen; zweitens haben sie ab einer Einsatzdauer von drei Monaten auch das aktive (aber nicht das passive) Wahlrecht in „ihrem“ Entleihbetrieb.
In der Praxis erweist sich dieses „doppelte Recht auf Mitbestimmung“ jedoch als halbierte Mitbestimmungsoption. Nur in sehr wenigen Leiharbeitsfirmen – etwa bei Branchenführern wie Randstad, Adecco, Manpower – existiert ein Betriebsrat. Angesichts der hohen Fluktuation der Beschäftigten, der verstreuten Einsatzorte und häufig auch prekären individuellen Situationen ist es wenig erstaunlich, dass die Belegschaften von Leiharbeitsfirmen ihre rechtlich garantierte „Option“ zur Wahl eines Betriebsrats nur selten ergreifen (können).
Aber auch in Entleihbetrieben, wo intensiv Leiharbeit genutzt wird, ist die Betriebsratsdichte unterdurchschnittlich, laut einer Studie der Soziologen Bellmann/Kühl. Selbst wenn ein Betriebsrat existiert, sind die Kontakte zwischen Betriebsräten und Leiharbeitern häufig nicht sehr intensiv, fühlen sich die Betriebsräte nicht wirklich zuständig. Umgekehrt sehen auch die Leiharbeiterinnen und Leiharbeiter manchmal wenig Sinn darin, ihre Stimme zu erheben oder abzugeben in einem Betrieb, den sie absebar in wenigen Monaten wieder verlassen. Zudem spielt die Angst, negativ aufzufallen, in einer Situation reduzierter Beschäftigungssicherheit eine große Rolle. Trotzdem: Der Versuch, die Mitbestimmungschancen von Leiharbeitern zu erhöhen, ist realistischerweise eher in den Entleihbetrieben umzusetzen, in denen zuweilen solide Mitbestimmungsstrukturen und auch eine gewisse Vertretungsmacht der Betriebsräte existieren. Offensive gewerkschaftliche Kampagnen – etwa der IG Metall – haben in den letzten Jahren gezeigt, dass hier Spielräume existieren, die von den Betriebsräten für den Abschluss von Betriebsvereinbarungen genutzt werden können, wie die Wissenschaftler Claudia Weinkopf und Achim Vanselow vom Duisburger IAQ 2008 gezeigt haben.
Aber: Dies verlangt den Betriebsrätinnen und Betriebsräten einen hohen Mehraufwand ab, auf den weder ihre personellen Ressourcen noch ihre rechtlichen Mitbestimmungsmöglichkeiten zugeschnitten sind. Denn bei der Bestimmung der Zahl der Betriebsratsmandate „zählen“ Leiharbeiter bislang nicht. Zugleich erfordert die komplizierte rechtliche und zum Teil auch persönliche Situation der Leiharbeiter einen besonderen Mehraufwand bei ihrer Interessenvertretung. Das Betriebsverfassungsgesetz bietet jedoch bislang nur eine reduzierte rechtliche Grundlage.
Wenn es dem Gesetzgeber ernst ist damit, für „flexicurity“ zu sorgen im Sinne der sozialen Absicherung einer besonders flexiblen Beschäftigungsform, wären hier Reformen des Betriebsverfassungsgesetzes dringend geboten: Bei der Berechnung der Betriebsratsmandate müssten mindestens die längerfristig im Unternehmen beschäftigten Leiharbeiter berücksichtigt werden; sinnvoller noch – auch im Hinblick auf die zunehmende Anzahl von Werkverträgen – wäre die Bemessung der Arbeitsressourcen der Betriebsräte an der Zahl der in einem bestimmten Zeitraum im Betrieb eingesetzten Personen – unabhängig von ihrem rechtlichen Status.
Den realen Anforderungen adäquat wäre auch ein „Leiharbeiterbonus“ für Betriebsräte in Betrieben mit erhöhtem Leiharbeitnehmeranteil, wie das Wassermann und Rudolph vorschlagen. Erweiterte Mitbestimmungsmöglichkeiten der Betriebsräte (z.B. in Bezug auf eine betriebliche Leiharbeitsquote sowie Übernahmeregelungen) könnten die deregulierende Wirkung von Leiharbeit zumindest beschränken. Diese und andere Fortschritte beim „equal pay“ sind eher auf tariflicher Ebene durchsetzbar – wie jetzt in der Elektro- und Metallindustrie. Letztlich aber sollte der Gesetzgeber die Liberalisierung der Leiharbeit von 2003 überdenken, um wirksam gegen die Prekarisierung der Arbeitswelt vorzugehen.
Text: Ingrid Artus, Professorin für Soziologie an der Universität Erlangen
Mehr Informationen
Lutz Bellmann/Alexander Kühl: Weitere Expansion der Leiharbeit? Eine Bestandsaufnahme auf der Basis des IAB-Betriebspanels. Abschlussbericht für die Hans-Böckler-Stiftung. Düsseldorf 2007
Wolfram Wassermann/Wolfgang Rudolph: Leiharbeit als Gegenstand betrieblicher Mitbestimmung. Arbeitspapier 148 der Hans-Böckler-Stiftung. Düsseldorf 2007 Download (PDF)
Claudia Weinkopf/Achim Vanselow: (Fehl-)Entwicklungen in der Zeitarbeit? Expertise im Auftrag der FES. Bonn 2008 Download (PDF)