Gleichstellungsforum 2025: Weniger Förderung, mehr Eigeninitiative
Auf dem diesjährigen Gleichstellungsforum der Hans-Böckler-Stiftung ging es diesmal um die Lücke bei der Weiterbildung zwischen den Geschlechtern.
Von Jan Falk, Jeannette Goddar und Fabienne Melzer
[13.03.2025]
Auf den ersten Blick sieht es in Sachen Weiterbildung für Frauen gut aus. Seit 2020 nehmen sie häufiger als Männer an betrieblichen Schulungen teil. Doch Yvonne Lott, Eileen Peters und Magdalena Polloczek vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung begnügten sich nicht mit diesem oberflächlichen Blick. Sie bohrten tiefer und zeigten: Es gibt ihn, den gender training gap.
Um die Lücke in der Weiterbildung zwischen Männern und Frauen ging es beim diesjährigen Gleichstellungsforum in Berlin, das das WSI wieder gemeinsam mit dem Hugo Sinzheimer Institut (HSI) der Hans-Böckler-Stiftung veranstaltete. Mit Blick auf aktuelle politische Entwicklungen wies Ernesto Klengel, Direktor des HSI, auf die Gefahren für den Kampf um Gleichstellung hin. Selbst kleine Erfolge seien gerade in Zeiten wirtschaftlicher Krisen bedroht. „Wenn wir in die USA schauen, sehen wir, wie fragil dieser Fortschritt ist“, sagte Klengel. Dabei sei Gleichstellung noch lange nicht erreicht - auch nicht bei der Weiterbildung.
Yvonne Lott und ihre Mitautorinnen wiesen eine Reihe entscheidender Unterschiede in der Weiterbildung zwischen Männern und Frauen nach. So werden Frauen seltener von ihren Arbeitgebern zeitlich und finanziell bei der Weiterbildung unterstützt. Ihre Fortbildung geht häufiger auf Eigeninitiative zurück, sie werden seltener von Vorgesetzten für eine Schulung vorgeschlagen und besuchen auch seltener mehrtägige Veranstaltungen. Mütter geben deutlich häufiger als Väter familiäre Gründe an, warum sie nicht an Weiterbildungen teilnehmen können. Hier liegt das Verhältnis bei knapp 40 zu 22 Prozent.
Das verwundert kaum, da Frauen einen deutlich größeren Anteil der Sorgearbeit übernehmen. „Der gender care gap verschärft den gender training gap“, sagte Yvonne Lott. Damit verschärft er auch den gender pay gap. Kürzere Schulungen bringen beruflich seltener nach oben und damit auch seltener mehr Geld. „Es macht einen Unterschied, ob ich an einer zweistündigen Excel-Einführung teilnehme oder eine mehrtägige Schulung besuche“, sagte Yvonne Lott.
Mehr Schutz nach der Rückkehr aus der Elternzeit
Die Geburt eines Kindes und die Einstellung der Eltern zur geschlechterspezifischen Arbeitsteilung spielt eine wichtige Rolle für den beruflichen Werdegang. Unter anderem anhand von Deutschland und Schweden, wo die Kinderbetreuung besser ausgebaut ist, verglich Marie-Fleur Philipp von der Universität Tübingen politische Maßnahmen und die Entwicklung der Einstellungen. Ihr Resümee: Sind Familie und Beruf schwer zu vereinbaren, führt das zuerst zu einem Rückzug in tradierte Rollen, und in einem zweiten Schritt zu traditionelleren Rollenvorstellungen. Misun Lim vom Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung legte dar: In Deutschland, wo die Elternzeitregelungen deutlich großzügiger sind, nähmen weit weniger Frauen nach der Geburt des ersten Kindes an beruflicher Fortbildung teil als im Vereinigten Königreich. Die Juristin Katja Nebe von der Universität Halle-Wittenberg beschrieb die rechtliche Seite des Wiedereinstiegs nach Mutterschutz, Eltern- oder Pflegezeiten. Der Rechtsrahmen weise für eine familiengerechte Arbeitsorganisation in Deutschland deutliche Lücken auf. Nebe kritisierte das starke Weisungsrecht des Arbeitgebers: „Wenn dieser nach einer Elternzeit einen neuen Arbeitsort verfügt, wird es schwierig. Wir brauchen mehr Schutz und Grenzen für die Rückkehr an den Arbeitsplatz.“
Mit Blick auf die weltweite Studienlage stellte der Soziologe Marco Seegers vom Bundesinstitut für Berufsbildung fest: International nehmen Frauen seltener an betrieblichen Weiterbildungen teil – ein Hinweis darauf, dass sie von Arbeitgebern nicht nur in Deutschland weniger berücksichtigt werden.
Unübersichtliche Rechtslage
Auf den interdisziplinären Charakter der Veranstaltung hatte Ernesto Klengel vom HSI schon zu Beginn hingewiesen. Einen juristischen Blick auf Gleichstellung bei Weiterbildungen warf Daniel Ulber von der Universität Trier und stellte fest: „Es gibt keinen Mangel an Vorschriften im Recht, die Benachteiligungen bei Weiterbildung ausschließen. Aber die Rechtslage ist sehr zersplittert und es ist schwierig, eigene Rechtsansprüche zu finden.“
So bestehe ein allgemeines Diskriminierungsverbot und die Pflicht des Arbeitgebers, Teilzeitbeschäftigten Weiterbildung zu ermöglichen. Auch das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) umfasse die Weiterbildung. Allerdings sei der Nachweis der Diskriminierung oft schwierig. Betriebsräte können ihr Recht auf Mitbestimmung bei betrieblicher Weiterbildung nutzen und auch Tarifverträge können die Benachteiligung mildern. Die Zugangshürden sieht Ulber eher außerhalb des Rechts und die Politik in der Pflicht, für mehr Gleichstellung bei der Weiterbildung zu sorgen. „Sie müsste die Mitbestimmung stärken und einen individuellen Anspruch auf Weiterbildung schaffen“, sagte Ulber. Ein Fortschritt wäre es aus seiner Sicht schon, alle Rechte, die es gibt, einmal verständlich aufzuschreiben.
Tim Husemann hatte unter dem Titel „Weiterbildung und Diskriminierung“ auch Überraschendes parat. Er stellte die Gleichberechtigung der Männer beim Zugang zu Kursen ins Zentrum. „Mit Blick auf das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz müssen auch Weiterbildungen geschlechtsneutral ausgeschrieben werden“, erklärte der Professor für Sozialrecht an der Hochschule der Bundesagentur für Arbeit. Husemann warnte vor dem „Fluch der guten Tat“ – auch wenn bestimmte Gruppen unterstützt werden sollen, müsse das gründlich geprüft werden. Fortbildungen, die etwa das Thema sexuelle Belästigung ins Zentrum stellen und sich nur an Frauen richten, seien unproblematisch.
Weiterbildung schützt bei Automatisierung
Wie wichtig es ist, das gender training gap zu schließen, machte Bettina Kohlrausch, Direktorin des WSI, klar: „Unser Arbeitsmarkt wird in zehn, fünfzehn Jahren ein ganz anderer sein. Wenn Frauen dabei nicht unter die Räder kommen sollen, müssen sie sich weiterbilden.“ Ein Grund: Künstliche Intelligenz wird zukünftig mehr Aufgaben automatisierbar machen. Birgit Zeyer-Gliozzo von der Technischen Universität Dortmund unterschied dabei Routine- von Nicht-Routine-Aufgaben. Vor allem erstere hätten eine höhere Automatisierungswahrscheinlichkeit. Für sie sei Weiterbildung besonders wichtig. Doch gerade hier liege die Crux: „Frauen erledigen häufiger Routinearbeiten und Menschen mit Routinearbeiten nehmen seltener an Weiterbildung teil“, sagte Zeyer-Gliozzo. Dabei sei Weiterbildung gerade für sie wichtig, da sie Beschäftigung sichert.
Martin Ehlert von der FU Berlin hat die Potenziale der Digitalisierung untersucht und stellt fest: Sie baue durchaus Hürden ab. Frauen nutzen Online-Weiterbildungen häufiger als Männer, der Zugang ist flexibler, die Angebote sind besser vereinbar mit familiären Aufgaben. Bei der Qualität und Länge hingegen können die Online-Angebote mit der klassischen Vor-Ort-Schulung derzeit noch nicht mithalten, warnt Ehlert. Sie werden von den Befragten deutlich seltener als „Aufstiegs-Weiterbildungen“ wahrgenommen, mit denen sich danach auch ein besseres Gehalt verhandeln lassen könnte.
Weiterbildungen, die Beschäftigten und Arbeitgebern tatsächlich langfristig nutzen – das klingt nach einem sinnvollen Ziel. Doch selbst in großen Unternehmen sei eine strategische Personalplanung keine Selbstverständlichkeit, berichtet Jan-Paul Giertz aus seiner langjährigen Beratertätigkeit für Aufsichtsräte in mitbestimmten Unternehmen im I.M.U. der Hans-Böckler-Stiftung. Stattdessen sehe er noch immer Personalpolitik nach Kassenlage und Vorstände ohne Personalexperten.
Isabell Hensel von der Uni Kassel stellte eine ganze Reihe bereits bestehende Rechtsansprüche und Förderprogramme vor, darunter auch das neue Qualifizierungsgeld. Beschäftigte, denen durch den Strukturwandel der Verlust des Arbeitsplatzes droht, erhalten damit einen Teil ihres Lohns als Ersatzleistung von der Agentur für Arbeit. Doch die Zugangshürden für Unternehmen seien hoch, so Hensel. Mehr Verbindlichkeit und zugleich weniger Bürokratie könnten dem Programm zu mehr Popularität verhelfen.
Lösungsvorschläge hatte Antje Weusthoff vom DGB mitgebracht. Betriebsräte könnten die Rahmenbedingungen für Weiterbildung gestalten und Vereinbarkeit sowie Gleichstellung einfordern. Darüber hinaus brauche es einen Rechtsanspruch auf Weiterbildung, der auch das Recht auf Freistellung garantiert.
Auch eine Frage von Zeitwohlstand
Qualifizierung ist auch eine Frage von Zeit, wie die Volkswirtin Stefanie Gerold von der BTU Cottbus-Senftenberg zeigte. Der bisherige Wohlstandsbegriff bilde Lebensqualität nur bedingt ab. Rund 36 Prozent der Menschen in Deutschland litten gefühlt unter Zeitnot, unter Beschäftigten fast die Hälfte. Zudem wirke sich der BIP-orientierte Wohlstandsbegriffs negativ auf das Klima, die Biodiversität und den Ressourcenverbrauch aus. Die Erwerbsarbeitszeit zu verkürzen, sei also nicht nur gut für die Gleichstellung, sondern auch für die sozialökologische Transformation.
Wie Weiterbildung gelingen kann – mit Blick auf Gleichstellung, aber auch auf Fachkräftemangel und Digitalisierung – wurde abschließend in einer Diskussion mit der stellvertretenden DGB-Vorsitzenden Elke Hannack anhand von drei Beispielen diskutiert.
Das Förderprojekt Power M in München unterstützt Menschen nach einer Familienphase bei der Rückkehr in den Beruf. Bewerbungstrainings und die Erfassung von Kompetenzen gehören ebenso dazu wie Unterstützung bei der beruflichen Orientierung. Bei dieser gehe es nicht darum, nach einer oft sehr langen Erwerbsarbeitspause – im Schnitt sieben Jahre – irgendeinen Job zu ergattern. „Im ersten Schritt regen wir zum Nachdenken an: Welches Gehalt brauche ich, um zu leben, auch im Hinblick auf meine Altersvorsorge?“ erklärte Projektleiterin Monika Wegat. Ziel sei, mindestens 70 Prozent in Tätigkeiten zu bringen, die sie als ausbildungsadäquat empfinden.
In der Berliner Gebäudereinigung arbeiten 45.000 Beschäftigte, darunter viele Migrantinnen, die oft spätabends und nur wenige Stunden arbeiten. Wäre es nicht besser, wenn die Menschen tagsüber arbeiteten, wo sie mehr Stunden absolvieren, also mehr Geld verdienen können, und zudem mehr in Kontakt mit Menschen kommen, auch mit Kolleginnen, mit denen sie sich womöglich gewerkschaftlich organisieren? Das ist der Ausgangspunkt des von der Hans-Böckler-Stiftung in der Förderlinie Transformation unterstützten Projekts „Weiterbildungsbedarf von Reinigungskräften in der Tagesreinigung“. „Tagesreinigung stärkt gute Arbeit, aber es braucht für sie auch Kompetenzen“, erklärte Rickmer Roscher von der Trägerorganisation Arbeit Gestalten, die das Projekt in Kooperation mit dem DGB Berlin-Brandenburg durchführt. Gefördert werden deswegen Kommunikations- und Konfliktfähigkeit sowie der Umgang mit herablassendem Verhalten und das Abgrenzen von zusätzlichen Kundenwünschen.
Im jahrzehntelang von Abwanderung geprägten Thüringen drängt der Mangel an Fachkräften noch stärker als anderswo. Das Zentrum digitale Transformation Thüringen hilft Unternehmen dabei, Virtual-Reality-basierte Weiterbildungslösungen zu nutzen, erklärte Manfred Füchtenkötter vom Institut für Soziologie der Universität Jena. Sven Kiontke vom Optik-Unternehmen asphericon sieht einen großen Nutzen in VR-Schulungen: In einer sicheren, virtuellen Umgebung können Teilnehmende an hochspezialisierten Produktionsmaschinen üben, ohne den laufenden Betrieb zu stören.
Kein weiches, sondern ein hartes Thema
Elke Hannack lobte den gleichstellungs- und arbeitsmarktpolitischen Vorbildcharakter vor allem des Berliner und Münchner Projekts. Mit Blick auf den Thüringer Ansatz mahnte sie, technologische Innovationen müssten stets auch im Hinblick auf Geschlechtersensibilität betrachtet werden. Alle bräuchten einen gleichberechtigten Zugang zu Weiterbildung; benachteiligt seien vor allem Frauen, insbesondere Frauen mit Migrationshintergrund, Ältere und nicht gut ausgebildete Menschen.
Die neue Bundesregierung forderte die stellvertretende DGB-Vorsitzende auf, die Weichen für ein verbrieftes Recht auf Weiterbildung zu stellen. Allzu viel versprechen dürfe man sich indes von einem solchen nicht: „Mit Weiterbildung allein werden wir Gleichstellung nicht durchsetzen,“ mahnte Hannack. Es brauche einen „Umbau des Systems aus bezahlter Erwerbs- und unbezahlter Care-Arbeit“. So müssten Menschen, die Eltern werden, die Möglichkeit haben, flexibler als bisher weiterzuarbeiten. Ein wichtiger Schritt dorthin sei, im Teilzeit- und Befristungsgesetz zu verankern, dass die Arbeitszeit jederzeit auch wieder erhöht werden kann. Die noch zu bildende Regierung warnte sie: „Wir sind Gewerkschaften, wir sind kampferfahren und -erprobt. Gleichstellungspolitik ist für uns kein weiches, sondern ein hartes gesellschaftspolitisches Thema.“