Quelle: Oliver Bellendir
Service aktuellHochschulen: Kooperation statt Wettbewerbsdruck
Zum 50. Mal organisierte die Hans-Böckler-Stiftung die Jahreskonferenz ihrer Vertrauensdozentinnen und Vertrauensdozenten. Drei Tage lang wurde in Bremen engagiert über die Rolle von Hochschulen und Wissenschaft in der sozial-ökologischen Transformation diskutiert.
31.10.2022
Von Joachim F. Tornau
Als Ingenieur wählte Johannes Weinig eine Metapher aus der Sprache seines Fachs. „Das Schöne an so einer Tagung“, sagte der Sprecher der Vertrauensdozentinnen und -dozenten der Hans-Böckler-Stiftung, „ist, dass man sich einfach mal wieder kalibriert.“ Also: dass man sich durch den Austausch besinnt auf die gemeinsamen Werte, die auch die Werte der Stiftung sind. „Das Soziale, die Gerechtigkeit, der faire Umgang miteinander.“ Wie der Professor an der Fachhochschule Bielefeld kamen rund 150 Vertrauensdozentinnen und -dozenten Ende Oktober nach Bremen, um über drängende Fragen zu diskutieren. Im Mittelpunkt standen der Klimawandel und die Rolle, die die Wissenschaft bei der Gestaltung der notwendigen sozial-ökologischen Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft spielen kann.
Es war die 50. Konferenz der Vertrauensdozentinnen und Vertrauensdozenten der Hans-Böckler-Stiftung und zugleich die erste, die an einer Universität stattfinden konnte. „Wir freuen uns, dass wir hier sein dürfen“, sagte Stiftungsgeschäftsführerin Claudia Bogedan. Für sie war die Veranstaltung, zu der auch Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte erschien, ein besonderes Heimspiel: Die Sozialwissenschaftlerin hat in Bremen nicht nur ihren Doktortitel erworben, sondern bis 2021 auch als Bildungssenatorin amtiert. In ihrer Begrüßung betonte Bogedan, dass der Einsatz der Stiftung für Bildungsgerechtigkeit ohne die Vertrauensdozentinnen und -dozenten nicht möglich wäre. „Sie sind die Menschen vor Ort, die die Studierenden mit Rat und Tat unterstützen“, erklärte sie. „Das ist ein großes Netzwerk, darauf sind wir stolz.“
Für den Einstieg in die inhaltlichen Debatten sorgte mit Mojib Latif einer der bekanntesten Klimaforscher des Landes. In einem eindrücklichen Keynote-Vortrag machte der Professor am Kieler Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung deutlich, wie lange die Gefahr der Erderwärmung schon bekannt ist – erste Erkenntnisse stammen sogar aus dem 19. Jahrhundert – und wie wenig trotzdem bislang dagegen getan wurde. „Ich dachte lange Zeit, man müsste nur wissenschaftliche Ergebnisse präsentieren, dann würde schon passieren, was passieren muss“, sagte der Wissenschaftler. „Das war ein Trugschluss.“ Mittlerweile sei auch das vielbeschworene 1,5-Grad-Ziel realistischerweise nicht mehr zu erreichen.
Doch Latif weiß auch: Ohne gesellschaftliche Akzeptanz kann kein Kampf gegen die Klimakatastrophe erfolgreich sein. Er hat deshalb schon früh angefangen, populärwissenschaftliche Bücher zu veröffentlichen und medial präsent zu sein. „Aber das ist eine persönliche Entscheidung“, unterstrich er. „Ich kann nicht von anderen erwarten, dass sie diesen Aufwand betreiben.“ Und, auch das verschwieg er nicht, sich damit wie er dem Hass von Klimawandelleugnern aussetzen.
Dass dem Transfer von Wissen in die Gesellschaft vor dem Hintergrund der sozial-ökologischen Transformation eine kaum zu unterschätzende Bedeutung beikommt, darüber herrschte auch in einer anschließenden Podiumsdiskussion Einigkeit. Über das „Wie“ wurde diskutiert. Um die Transformation zu gestalten, müssten Betroffene zu Beteiligten gemacht werden, sagte Karin Luckey, Rektorin der Hochschule Bremen. „Das ist, was wir organisieren müssen.“ Und zwar lokal im Wohnquartier ebenso wie global auf Klimakonferenzen. Peer Rosenthal, Hauptgeschäftsführer der Arbeitnehmerkammer Bremen, lenkte das Augenmerk auf die Wichtigkeit von Weiterbildung in der Transformation und sah hier auch die (Fach-)Hochschulen in der Pflicht, schränkte ihre Möglichkeiten aber gleichzeitig ein: „Dafür mangelt es an Ressourcen.“
Nicht nur deshalb warb Andreas Keller, stellvertretender Vorsitzender der Bildungsgewerkschaft GEW, für eine „Erneuerung der Hochschulen an Haupt und Gliedern“: mehr Grundfinanzierung statt Rangeln um Drittmittel, weg vom „Hire-and-Fire-Prinzip“ der akademischen Zeitverträge. „Wenn man die großen Probleme der Menschheit lösen will, muss man hochschulübergreifend zusammenarbeiten“, sagte Keller. Mit dem derzeit herrschenden Wettbewerbsprinzip sei das nicht möglich. Das sah auch Jutta Günther, seit wenigen Wochen neue Rektorin der Universität Bremen, ganz ähnlich.
„Die Karrierewege sind so eng, dass kein Platz für Transfer ist“, erklärte die Ökonomin mit Blick auf den Publikationsdruck, unter dem der wissenschaftliche Nachwuchs steht. Zugleich behindere das Wetteifern um möglichst viele Artikel in angesehenen Fachjournalen die Suche nach Antworten auf die großen Fragen der Gegenwart: „Ein Entwurf für eine andere Gesellschaftstheorie passt eben nicht in 8000 bis 10.000 Wörter“, sagte Günther und plädierte angesichts der umfassenden wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und kulturellen Herausforderungen der Transformation für ein grundlegendes Umdenken: „Wir brauchen viel mehr Mut, die scientific communities übergreifend arbeiten zu lassen.“
An der Debatte beteiligten sich auch die Zuhörenden so engagiert, dass am Ende zumindest in einem Punkt Optimismus erlaubt war: Der Wunsch der Uni-Rektorin, dass die gerade drinnen im Hörsaal geführten Diskussionen später nach draußen zu den Studierenden im Land getragen werden mögen, dürfte ganz sicher in Erfüllung gehen.