Quelle: Gerngross Glowinski
Service aktuellTagungsbericht LABOR.A® 2023: Die nächste Stufe der Transformation
Wie gestalten wir die Arbeit der Zukunft? Dieser Frage unserer Gesellschaft widmet sich alljährlich die LABOR.A®. Auf der Konferenz der Hans-Böckler-Stiftung ging es in diesem Jahr um neue Allianzen, die gute Arbeit und Klimaschutz zusammenbringen.
[02.10.2023]
Von Fabienne Melzer und Andreas Schulte
Die Bewältigung der Klimakrise kann zu gesellschaftlichen Spaltungen führen, wenn auf dem Weg dorthin viele Errungenschaften verloren gehen. Deshalb machte sich die Hans-Böckler-Stiftung auf ihrer diesjährigen LABOR.A® auf die Suche nach dem Verbindenden. Claudia Bogedan, Geschäftsführerin der Hans-Böckler-Stiftung, zeigte sich zur Eröffnung überzeugt: „Allein mit Einschränkungen und Härten lässt sich der Klimawandel nicht bekämpfen.“ Werde die Rettung des Klimas nicht mit dem Einsatz für ein gutes Leben und gute Arbeit verbunden, drohten die Menschen in Extreme abzurutschen. „Aber Extremismus wird den Klimawandel nicht aufhalten. Das können wir nur gemeinsam.“
Die Veranstaltung in Berlin mit einer Rekordzahl von 450 Teilnehmer*innen vor Ort und weiteren 1500 online sollte daher auch zeigen, dass es Allianzen gibt und der Dialog bereits geführt wird. Eines der Panels mit prominenter Besetzung trug diesen Gedanken schon im Titel: „Neue Allianzen für die Mobilitätswende“. Auf der Bühne trafen sich der ver.di-Vorsitzende Frank Werneke und Luisa Neubauer von der Klimabewegung Fridays For Future. Ganz unbekannt sind sich die beiden nicht. Der Schulterschluss zwischen ver.di und Fridays for Future hatte im Jahr 2020 für Aufsehen gesorgt. Seither stehen beide gemeinsam für eine sozialökologische Transformation ein. Im September dieses Jahres starteten sie zum Beispiel bundesweit ihre Tarifkampagne für den Nahverkehr. Werneke stellte eine Ausweitung der Kooperation beider Organisationen in Aussicht. „Vielleicht gibt es dafür mehr Felder als die Mobilitätswende”, sagte er. Gerade größere Ziele wie etwa die Abwehr eines „Kulturkampfs” von rechts, benötigten große gesellschaftliche Allianzen.
Beide machten auch ihrer Enttäuschung über die Bundesregierung Luft. Sie habe versprochene Klimaziele nicht umgesetzt. Nun bliebe nur noch ein Jahr Zeit, um Druck zu machen auf Berlin, sagte Neubauer. Binnen dieser Frist müssten Versprechungen wie das Klimageld zur Entlastung von Bürger*innen endgültig umgesetzt sein. Nach einem möglichen Regierungswechsel drohe ein „Rollback” bei der Klimapolitik, sagte Werneke.
Konsens: Deutschland soll Industrieland bleiben – in Grün
Die ungewöhnliche Allianz aus Gewerkschaft und Klimabündnis hat bereits Schule gemacht. „Transformation in der Zeitenwende” heißt ein gemeinsames Positionspapier von IGBCE, dem Deutschen Naturschutzring, WWF Deutschland und Germanwatch. Als Riesenschritt bewertete Christoph Bals von Germanwatch das neue Bündnis. Inhaltlich einen die Beteiligten zwei Erkenntnisse: Dass Deutschland Industrieland bleiben soll und dass ein tiefgreifender Umbau der energieintensiven Industrien nötig ist, um Nachhaltigkeits- und Klimaziele zu erreichen. Dabei müssen gute Arbeitsplätze erhalten bleiben. IGBCE-Vorstandsmitglied Alexander Bercht schaute mit Sorge auf China und die USA, wo staatliche Gelder schneller und in größerem Maße flössen. Heimische Standorte geraten dadurch in Gefahr. Bercht attestierte Europa ein „Geschwindigkeitsproblem.” Auch Viviane Raddatz vom WWF monierte ein fehlendes Bekenntnis der Politik zur konsequenten Gestaltung der Transformation, das sich in fehlenden Investitionen zeige.
Weiteres Thema auf der LABOR.A®: Die Einführung einer Vier-Tage-Woche. Man habe die Forderung einer 32-Stunden-Woche bei vollem Lohnausgleich dem Arbeitgeberverband übergeben, bestätigte Knut Giesler, Bezirksleiter der IG Metall NRW. Kritik an der kürzeren Wochenarbeitszeit ließ er nicht gelten. Mögliche Engpässe könnten unter anderem Menschen abfangen, die derzeit in Teilzeitjobs arbeiteten. Zudem hätten einige Metallbetriebe während der Krise vorschnell Beschäftigung reduziert. „Das Kapital schafft sich seine Probleme selbst”, sagte Giesler.
Lob erhielt die Politik im Panel: „Transformation Global”. Einig waren sich Thomas Fischer, Abteilungsleiter Grundsatz und Gute Arbeit des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB), Birgit Steinborn, Gesamtbetriebsratsvorsitzende bei Siemens, und Bärbel Kofler, Staatssekretärin im Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung, darin, dass neue Gesetze Unternehmen grundsätzlich zu mehr Nachhaltigkeit verpflichteten – allen voran das Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz. Freiwillige Verpflichtungen hätten zuvor nichts gebracht. Nun komme es darauf an, dass die im Gesetz vorgesehenen Sanktionen auch angewendet werden, sagte Kofler. Allzu große Hoffnungen auf die rasche Verbesserung von Arbeitsbedingungen in fernen Ländern aufgrund des Lieferkettengesetzes relativierte Birgit Steinborn. In Indien beispielsweise gelte es als Errungenschaft, wenn Beschäftigte endlich einen Ventilator erhielten, der ihnen bei Temperaturen von bis zu 40 Grad die Arbeit erleichtert. „Der Gedanke an Ökologie kommt bei solchen Arbeitsbedingungen erst später”, sagte Steinborn.
Lieferketten: Wichtige Netzwerke der Gewerkschaften
Die Auswirkungen der Klimakrise und der Umbau hin zu nachhaltigeren Wirtschaftsformen verändern Arbeits- und Lebensweisen überall auf der Welt. Deshalb vertiefte die LABOR.A® den Blick auf das Lieferkettengesetz noch auf einer zweiten, international besetzten, Session. Auch aus Mitbestimmungssicht spielt es eine wichtige Rolle. Kathrin Schäfers von der IG Metall in Frankfurt betonte die Besonderheit des Gesetzes: „Zum ersten Mal wurde internationales Recht in deutschem Recht installiert.“ Dabei sieht sie die Funktion des Gesetzes weniger darin, Verstöße zu verfolgen, sondern sie vielmehr präventiv zu verhindern. Rose Omamo von der kenianischen Metallgewerkschaft, die per Video zugeschaltet war, lenkte den Blick auf die Lage der Beschäftigten in ihrem Land. Dort werden immer wieder Arbeitnehmer*innenrechte verletzt, werde Arbeitsschutz nicht eingehalten. Das Lieferkettengesetz helfe ihnen sehr. Wichtig seien aber die Netzwerke zwischen deutschen und kenianischen Gewerkschaften.
Vera Trappmann von der Universität im englischen Leeds beschäftigt sich mit der Plattformökonomie, bei der Beschäftigte oft ohne soziale Absicherung arbeiten – etwa als Boten für digital organisierte Lieferdienste. Auf einer digitalen Weltkarte dokumentiert sie Proteste von Plattformarbeitern weltweit. Das Ergebnis: In Europa und Asien wird am häufigsten protestiert. Hauptmotivation ist die Bezahlung. Bei jedem dritten Protest, ob Demonstration, Klage oder Streik, sind Gewerkschaften beteiligt. Trappmann bot an, Auswertungen für einzelne Regionen und Firmen für Arbeitnehmervertreter*innen zur Verfügung zu stellen.
Von der globalen Ebene ging es am Ende ins Lokale. Im abschließenden Panel der LABOR.A® war Bremens Bürgermeister Andreas Bovenschulte zugeschaltet. Als eine Region mit viel Industrie trifft die Stadt der Wandel zu Klimaneutralität an vielen Stellen. Für Bovenschulte kommt es dabei vor allem darauf an, die bestehenden Strukturen zu transformieren: „Wir müssen an dem anknüpfen, was wir haben.“ Dafür brauche die Region unter anderem bezahlbare Energie, Investitionen in Offshore-Windanalagen und Fachkräfte. Die Stadt nimmt hierfür selbst eine Milliarde Euro in die Hand für einen Aus- und Weiterbildungscampus.
Mit Bremens Bürgermeister und Berthold Vogel vom Forschungsinstitut Göttingen (SOFI) diskutierte Böckler-Geschäftsführerin Claudia Bogedan die lokale Ebene. Sie verwies auf den Betrieb als sozialen Ort. Für Beschäftigte sei es eben nicht egal, ob dieser in Bremen oder Cuxhaven liege. Und gänzlich zum Scheitern verurteilt sei eine Politik, die einfach darauf setze, dass die Menschen schon dahin ziehen werden, wo neue Jobs entstehen. Die Diskussionen des Tages fasste sie am Ende zusammen mit den Worten: „Transformation lebt von der Hoffnung, dass sie gestaltbar ist.“