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IMK Forum 2023: Risiko Gewinninflation

Der Inflationsschock 2022/2023: Vorübergehender Ausreißer oder Zeitenwende?“ Diese Frage diskutierten rund 230 Anwesende in Berlin und viele weitere online beim IMK-Forum. Dabei lernte man unter anderem: Die Gewinne der Unternehmen sind hoch und schieben aktuell die Preise an.

von Fabienne Melzer und Jeannette Goddar

Steigende Preise für Energie und Lebensmittel treiben nicht nur vielen Menschen in Deutschland die Tränen in die Augen, sie stellen auch Geld- und Wirtschaftspolitik vor enorme Herausforderungen. Während die Europäische Zentralbank (EZB) mit Zinserhöhungen den Konsum und damit die Preissteigerungen bremsen will, muss die Wirtschaftspolitik vor allem mit Blick auf die Energiewende Investitionen fördern, was die gesamtwirtschaftliche Nachfrage ankurbelt und zumindest kurzfristig die Preise treiben könnte. Beim diesjährigen IMK-Forum trafen beide Positionen aufeinander. 

So sieht Jens Ulbrich, Leiter des Zentralbereichs Volkswirtschaft der Deutschen Bundesbank, das größte Risiko zurzeit in einer sich verfestigenden Inflation. Er verteidigte die Politik der EZB, deren jüngste Zinserhöhung auf 3,5 Prozent just am Tag des IMK-Forums kam. Er machte keinen Hehl daraus, welchen Zweck die EZB-Leitzinserhöhungen haben:  Um die Inflation einzudämmen, brauche es eine Schwächung der Konjunktur. „Da muss man sich ehrlich machen“, sagte Ulbrich. Auch müsse man sich auf weitere Zinserhöhungen vorbereiten: „Die EZB wird weitere Schritte gehen, um möglichst schnell zu zwei Prozent Inflation zurückzukehren.“

Für Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck liegt die Priorität woanders. Die Wirtschaftspolitik müsse die Preise runterbringen, sehr wichtig sei aber auch, Investitionen in Güter und Produkte für die Energiewende auszulösen. Angesichts massiver Energiepreissprünge müsse der Staat Investitionssicherheit bieten; allerdings solle es Unterstützung von Unternehmen nur mit Gegenleistung geben. Hier nannte Habeck Standorttreue, vernünftige Bezahlung, Dekarbonisierung. 

Bundesbank-Volkswirt Ulbrich blieb dabei, der Staat komme nicht darum herum, das Wachstum abzubremsen, wenn die Preise nicht weiter mehr als zwei Prozent steigen sollen. Denn die Ursache der Inflation liegt in seinen Augen in einem Nachfrageüberschuss, ursprünglich ausgelöst durch die Corona-Pandemie. Ausgangsbeschränkungen hätten die Nachfrage von Dienstleistungen zu Industriewaren verschoben – Lieferengpässe, Verknappung und höhere Preise waren die Folge. In Zeiten der Öffnung kehrte die Nachfrage nach Dienstleistungen mit Macht zurück. Der russische Angriff auf die Ukraine habe auf eine globale Welle längst in Gang gesetzter Preissteigerungen „wie ein Brandbeschleuniger“ gewirkt.  Dass dabei eine nun zu hohe Nachfrage eine Rolle spiele, sei klar. „Unternehmen können Preise nur auf Verbraucher abwälzen, wenn diese sie auch bezahlen.“

Externer Preisschock statt Nachfrageüberschuss

IMK-Direktor Sebastian Dullien widersprach dieser Auffassung. Vieles spreche für einen vorübergehenden Schock und dieser sei eher ein Argument für Nachfragestützung als für ein Abbremsen der Wirtschaft durch hohe Zinsen. Der Volkswirt sieht die Ursachen der Inflation vor allem in schockartig gestiegenen Energie- und Nahrungsmittelpreisen, die sich nach und nach durch die Wirtschaft fressen. Eine Überschussnachfrage kann er nicht erkennen: „Der deutsche Privatkonsum liegt noch unter dem Niveau von vor der Covid-Pandemie“, so Dullien. 

Deshalb sei der Ansatz der Bundesregierung richtig, mit der konzertierten Aktion zum einen die Kaufkraft zu stützen, zum anderen den Kostenanstieg der Unternehmen zu begrenzen. Dies sei zum einen mit den Preisbremsen für Strom- und Gas gelungen, zum anderen mit dem Angebot an die Tarifparteien, Inflationsausgleichszahlungen von bis zu 3000 Euro steuer- und abgabenfrei zu stellen. Sinnvoll wäre deshalb laut Dullien, wenn nun auch die Geldpolitik zur Stabilität beitrage, indem sie von übermäßigen Zinserhöhungen absähe.

Am Beispiel des Tarifabschlusses Chemie zeigte Dullien, wie die konzertierte Aktion gewirkt habe. Eine moderate tabellenwirksame Tariferhöhung hat einen Kostenanstieg verhindert, während das Inflationsgeld die Kaufkraft gesichert habe. Das größere Risiko sieht der IMK-Direktor in den Gewinnen, die im vergangenen Jahr deutlich stärker gestiegen sind als die Lohnstückkosten. Die Gewinninflation nannte Sebastian Dullien eine offene Flanke der konzertierten Aktion. Sie könnte die Geduld der Beschäftigten auf Dauer überstrapazieren.

Davor warnte auch Isabella Weber, Professorin an der amerikanischen Universität Massachusetts Amherst. Nach ihren Daten aus den USA konnten eine Reihe von großen Konzernen ihre Profite allein aufgrund der Preissteigerungen erhöhen. „Wenn man sich das ansieht, sind Lohnerhöhungen durchaus angemessen“, sagte Weber. „Wir müssen allerdings verhindern, dass Unternehmen sie wieder auf die Preise umlegen.“

Weber plädierte für ein Frühwarnsystem, um Preisexplosionen in diesem Ausmaß zukünftig zu verhindern. „Wir brauchen dafür ein Verständnis, welche Branchen die Preisstabilität ins Wanken bringen“, sagte die Wissenschaftlerin. In ihrer Forschung machte sie drei Bereiche aus, von denen besonders große Gefahr ausgeht: Grundbedürfnisse wie Lebensmittel und Energie, wichtige Vorprodukte sowie Handel und Transport. „Wir brauchen einen Feuermelder in diesen Sektoren“, sagte Weber. „Denn wir konnten schon 2020 sehen, dass wir bei den Gaspreisen ein Problem bekommen.“

„Transformative Angebotspolitik“ und Industriestrompreis

Bundeswirtschaftsminister Habeck sprach sich zur weiteren Senkung der Inflation für eine „transformative Angebotspolitik“ aus. Als Beispiele dafür nannte er die jüngste Novelle des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen, die Lücken im Kartellrecht schließt, und der weitere folgen sollen: „Bei Preisabsprachen nach oben müssen wir einschreiten.“ Auch um die Arbeitsmarktbeteiligung von Frauen auszubauen, brauche es Angebote – als Teil einer Strategie, um Arbeitskräfteengpässe durch den demografischen Wandel zu mildern. Dort seien „Potenziale, die wir durch lauter gläserne Decken bisher nicht heben können.“ Es brauche einen Staat, der „handelt, sich nicht zurückzieht, jedoch nicht dominiert“; der pragmatisch „auch mal von Prinzipien abweicht, aber nicht ohne Prinzipien ist.“ 

Der Forderung von DGB-Chefin Yasmin Fahimi nach einer Strompreisbreme für energieintensive Unternehmen stimmte der Bundeswirtschaftsminister vor dem IMK-Forum unumwunden zu, was man im Nachhinein als eine Art Sneak Preview verstehen konnte, da sein Ministerium ein Arbeitspapier für eine solche nur einen Tag später offiziell vorstellte. „Unternehmen brauchen größere Standortsicherheit,“ sagte Habeck: „Ich widerspreche allen, die sagen: Dann gehen sie halt weg.“ Schlüsselindustrien bis hin zu medizinischen Produkten im Land zu halten, sei zentral. „Sonst brauchen wir von europäischer Souveränität gar nicht zu reden.“ Auch Fahimi warnte auf dem Forum davor, dass ohne bezahlbare Energie Deutschland auf Dauer nicht wettbewerbsfähig bleibe. „Die Inflation erschwert die soziale und wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und Europa und sie gefährdet den sozialen Zusammenhalt“, warnte die DGB-Vorsitzende. Beschäftigte, so Fahimi, treffen steigende Preis gleich doppelt.

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