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Yasmin Fahimi hält eine Rede auf dem IMK Forum 2024 Service aktuell

Tagungsbericht IMK-Forum 2024: Reform der Schuldenbremse: „Nicht Ob, sondern Wie!“

„Wie weiter mit der Schuldenbremse?“ Unter diesem Motto lotete das 18. IMK-Forum mit 200 Teilnehmenden im Französischen Dom in Berlin finanzpolitische Reform- und Handlungsoptionen nach dem Bundesverfassungsgerichtsurteil von Ende 2023 aus.

[04.06.2024]

Von Jeannette Goddar

Den Ton für das IMK-Forum hatte Direktor Sebastian Dullien in diesem Jahr schon zwei Tagen zuvor angegeben. In seltener Allianz mit dem arbeitgebernahen IW Köln stellte das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung in der Bundespressekonferenz eine Studie zum Investitionsbedarf in Deutschland vor. 600 Milliarden Euro – so viel Geld müsste von Bund, Ländern und Kommunen zusätzlich aufgebracht werden, um Deutschland zukunftsfest zu machen. Die größten Posten machen 200 Milliarden Euro für nötige öffentliche Investitionen in Klimaschutz aus; 177 Milliarden braucht es, um den Sanierungsstau bei Städten und Gemeinden aufzuholen.

Grund genug also für Sebastian Dullien, bei seiner Begrüßung erst einmal einen Punkt zu setzen: Die Ob-Frage stelle sich zum Reformbedarf der Schuldenbremse nicht mehr. Das sehe nicht nur das IMK so, sondern beispielsweise auch der Sachverständigenrat für Wirtschaft und der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium. „Uns geht es heute um das ‚Wie‘ einer überfälligen Reform“, konstatierte Dullien. Gelingen könne diese indes nur in einem parteiübergreifenden Kompromiss; weswegen der IMK-Direktor von Überheblichkeit abriet: „Statt ideologischer Debatten und Fundamentalkritik braucht es akzeptable Vorschläge.“ 

  • SPD-Finanzminister Jakob von Weizsäcker

Wie eine Annäherung zwischen den politischen Lagern aussehen könnte, machte wenig später der saarländische SPD-Finanzminister Jakob von Weizsäcker vor: Mitten in einer Finanzkrise hätte die 2009 eingeführte Schuldenbremse schon Sinn ergeben: „Es war nicht falsch, sich als Gesellschaft an den Mast zu binden“; das lohne sich durchaus zuzugeben. Heute seien die Zeiten andere; vor allem weil der Klimawandel eine so ernste wie schleichende Herausforderung darstelle, die man anders als die Pandemie nicht als „exogenen Schock“ definieren könne. Von Weizsäcker: „Uns fehlen die Instrumente, um die Schuldenbremse auszusetzen. Sie muss geändert werden.“ Sehen das auch seine Kollegen in den CDU-regierten Ländern so? Jedenfalls, so viel gab von Weizsäcker preis, werde im Kreise der Landesminister gut und vertrauensvoll miteinander geredet. Und: „Gespräche über eine Zwei-Drittel-Mehrheit für eine Reform lassen sich nicht nur einer einzelnen Partei zuordnen.“

Vorbild schwäbische Hausfrau

Allerdings machte sich niemand Illusionen, mit der Bundesregierung schnell zu einer Lösung zu kommen. DGB-Vorsitzende Yasmin Fahimi warf Finanzminister Christian Lindner vor, die Schuldenbremse zum Fetisch zu machen: „Trotz realpolitischer Tatsachen stellt sich die FDP völlig quer.“ Der CDU attestierte sie eine Art Schweigegelübde. Und nun? „Wir müssen den Druck aufrechterhalten“ appellierte die DGB-Vorsitzende, „wir müssen den gordischen Knoten durchschlagen.“ Die Liste der Gründe, die sie dafür nannte, reichte von der fundamentalsten Transformation unserer industriellen und Wirtschaftsbasis seit 150 Jahren bis zu einem maroden Bildungssystem, unbezahlbaren Mieten und unzureichender Daseinsvorsorge. All das schade nicht nur den Menschen, sondern entwerte den Standort Deutschland. Im Grunde wäre ein Anfang schon gemacht, wenn der Staat sich eine schwäbische Hausfrau zum Vorbild nähme: „Die wartet mit der Sanierung des Dachs auch nicht, bis es ihr auf den Kopf fällt,“ sagte Fahimi.

Das Bild griff Jeromin Zettelmeyer, Direktor des Forschungsinstituts Bruegel (Brüssel) sogleich auf, um seinen zentralen Punkt zu erläutern. Denn laut Zettelmeyer sind notwendige Investitionen in die Transformation komplexer, als herkömmliche ökonomische Regeln erlauben: „Nicht alle grünen Investitionen finanzieren sich von selbst“, erklärte er. Die traditionelle Goldene Regel, laut der Investitionen dann erlaubt seien, wenn sie sich durch spätere Einnahmen refinanzierten, gelte in der Transformation nicht unbeschränkt: Um ihr Dach zu reparieren, müsse die schwäbische Hausfrau sich Geld leihen, das sie nicht zurückbekommt; anders, als wenn sie vor ihrer Haustür einen Stand für Apfelsaft aufbaut. Dennoch seien in Deutschland wie auch in der EU massive, öffentliche Investitionen etwa in die Energiewende unumgänglich. Zettelmeyer schlug vor, ausgehend von existierenden Fiskalregeln ein mittelfristiges öffentliches Investitionsprogramm zu schaffen, das Zinsen zu Wachstum in ein Verhältnis setzt und zugleich Sparmaßnahmen zu identifizieren, deren Einhaltung jährlich geprüft werden. 

  • Podium auf dem IMK Forum 2024

Goldene Regel

IMK-Wissenschaftlerin Katja Rietzler hingegen setzte im Lichte der jüngsten Berechnungen von IMK und IW Köln auf eine neue Goldene Regel. Diese solle für zehn Jahre eine zusätzliche Neuverschuldung von jährlich 60 Milliarden Euro für Investitionen zulassen, welche die Produktivität erhöhen; also in Zeiten des demografischen Wandels und zunehmenden Standortwettbewerbs für Bildung und Kinderbetreuung ebenso wie für die bislang unzureichende Digitalisierung. Welche Investitionen in welchem Umfang von den Schuldenregeln ausgenommen werden können, sollte gesetzlich klar geregelt werden. Nach der Schuldenbremse solle auch der Europäische Stabilitäts- und Wachstumspakt mit solch einer Goldenen Regel versehen werden. 

Und dann gab es doch noch Fundamentalkritik an der Schuldenbremse von Achim Truger, Mitglied im Sachverständigenrat für Wirtschaft: „Richtig war sie nie“, sagte Truger und nannte ihr vermeintliches Gelingen einen Schönwettererfolg: „Es ist ja kein Wunder, dass es super läuft, wenn die Wirtschaft brummt und gar keine Schulden aufgenommen werden müssen.“ Der Wirtschaftsweise forderte nicht ein bestimmtes Reformmodell – aber großzügige Spielräume für investive Aufgaben ebenso wie zur Stabilisierung der Konjunktur. Und eine Gesamtlösung müsse den Fokus auf Bund, Länder wie Kommunen richten. Zu schlechter Letzt bemängelte Truger eine „Engführung“ der Debatte, die nicht darauf schaue, wie der Staat mehr Einnahmen generieren könne. Truger: „Erbschafts- und Vermögenssteuer, ein Energie-Soli – Vorschläge liegen auf dem Tisch.“

Umdenken zeichnet sich ab

Viel Zustimmung dafür bekam er beim abschließenden Podium, für das das IMK auch Nordrhein-Westfalens CDU-Ministerpräsidenten Hendrik Wüst zu einem Statement eingeladen hatte. Der hatte die Zusendung einer Videoaufzeichnung auch zugesagt, sagte dann aber – aus Termingründen – kurzfristig ab. Statt der geplanten konstruktiv-kontroversen Debatte, bereichert durch einen Input aus Düsseldorf, gab es zwischen der Abteilungsleiterin Wirtschaftspolitik im Bundeswirtschaftsministerium Elga Bartsch, der finanzpolitischen Sprecherin der Grünen Katharina Beck, Dullien und Truger viel Einigkeit. Katharina Beck prognostizierte, es werde eher möglich sein, an die Erbschafts- als an die Vermögenssteuer heranzugehen – durchaus auch mit Blick auf die FDP. Gelänge eine Erbschaftssteuerreform, hätten die Bundesländer bis zu elf Milliarden Euro zusätzlich, die sie unter anderem in die vernachlässigte Bildungsinfrastruktur stecken könnten. 

IMK-Direktor Dullien erklärte, der errechnete Investitionsbedarf von 600 Milliarden Euro umfasse noch gar nicht den gesamten staatlichen Mittelbedarf. Die von der Bundesregierung zugesicherte Einhaltung des Nato-Ziels, zwei Prozent des Bruttoninlandsprodukts für Verteidigung auszugeben, sei etwa in der Berechnung nicht enthalten. „Wir brauchen eine andere Einnahmensituation,“ schloss sich Dullien dem Wirtschaftsweisen Truger an. Der Politik warf er in den Debatten über die Schuldenbremse Unehrlichkeit vor: „Die Probleme mit der Schuldenbremse waren vor der Wahl absehbar. Doch auch die SPD hat sich nicht getraut, das laut zu sagen, weil sie dachte sie kann das nicht verkaufen.“ Umso besser, dass sich, wie Elga Bartsch berichtete, ein Umdenken abzeichnet: „Vom Sachverständigenrat über den Wissenschaftlichen Beirat, der das Wirtschaftsministerium berät, zeichnen sich Vorschläge ab, wie sich eine Reform formen könnte.“ 

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