Quelle: Annette Hornischer
Service aktuellEngineering- und IT-Tagung 2021: Next Level Mitbestimmung
Rund 350 Ingenieurinnen und Ingenieure, Entwicklerinnen und Entwickler, Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter debattierten bei der Engineering- und IT-Tagung von Hans-Böckler-Stiftung und IG Metall vor Ort und am Computer, wie ökologische Transformation, sichere Arbeitsplätze und demokratische Mitbestimmung zusammengehen. Das Motto der Hybridveranstaltung, die beim Entwicklungsdienstleister IAV in Chemnitz sowie online offenstand: Next Level Mitbestimmung. Der rote Faden: Das Klima wartet nicht.
[07.10.2021]
Von Jeannette Goddar
Die Raute geht, das Dreieck kommt. Seit 13 Jahren denken Ingenieure und Entwickler auf Einladung von Hans-Böckler-Stiftung und IG Metall die Zukunft voraus. Die diesjährige Engineering- und IT-Tagung nach den Bundestagswahlen, am Ende der 16-jährigen Ära von Angela Merkel, und in einem Weltklima, das kein weiteres Zaudern erlaubt, war dann doch etwas Besonderes. Zwei Drittel (65 Prozent) seiner CO2-Emissionen muss Deutschland bis 2030 im Vergleich zu 1990 einsparen – eine immense Herausforderung für Industrie, Politik, für jede und jeden Einzelnen.
Die Zweite Vorsitzende der IG Metall, Christiane Benner, bekräftigte, dass auch die IG Metall „for future“ stehe. „Das Klima wartet nicht“, sagte Benner. Für einen gerechten Klimaschutz brauche es ein ausgeglichenes „Nachhaltigkeitsdreieck“ aus Ökologie, Ökonomie und Sozialem. „Das Soziale darf nicht vernachlässigt werden“, sagte Benner, „aktuell gibt es aber eine deutliche Schieflage.“ Sie lasse sich nur mit einem Dreiklang aus intelligenter Industriepolitik, unternehmerischen Investitionen – und „Mitbestimmung auf Augenhöhe“ beseitigen.
Deutschland als Leitmarkt
Ingenieure und Entwickler wüssten, wie die Energiewende anzugehen sei, verfügten über Know-how für grüne Technologien von Batterie- und Zellforschung über Elektromobilität bis zu Windrädern. „Deutschland kann hier Leitmarkt werden,“ sagte Benner. Dafür brauche es neue Prozesse für Beteiligung und Qualifizierung, mehr Demokratie in Unternehmen: „Auch die Mitbestimmung muss agiler werden“.
Mark Bäcker, Gesamtbetriebsratsvorsitzender des gastgebenden Entwicklungsdienstleisters IAV, stieß in dasselbe Horn: „Viele Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer wussten schon vor zehn Jahren, was ansteht. Die Kompetenz in den Betrieben ist da.“ Für die IAV stellte Bäcker einen Haustarifvertrag vor, der eine gute Antwort auf die anstehende Transformation geben soll: mit umfangreichen Qualifizierungsmaßnahmen, über die ein paritätisch besetzter Lenkungskreis entscheidet, und einem Innovationsfonds, mit dem Ideen aus der Belegschaft umgesetzt werden können.
Das Beispiel zeige, welche „hochmodernen Konzepte von Mitbestimmung es im 21. Jahrhundert“, gäbe, erklärte Dieter Janecek in der abschließenden Townhall-Debatte „Wie schaffen wir das Nachhaltigkeits-Dreieck aus Klimaschutz, Wertschöpfung und sicheren Arbeitsplätzen?“. Der Sprecher für Industriepolitik und Digitalisierung der Grünen im Bundestag sicherte zu, besagtes Dreieck in etwaige Koalitionsverhandlungen zu tragen. Auch die Beschäftigungssicherung „in der Autoindustrie und anderswo“ sei zentral. „Sonst drohen schwere Verwerfungen“.
Holger Lösch, stellvertretender Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Deutschen Industrie unterstrich, dass bei allem „klaren Bekenntnis zum Klimaschutz“ eine so „historisch einmalige“ Transformationsphase massive staatliche Investitionen erfordere. Dabei sei von einer dreistelligen Milliardensumme auszugehen.
Das Soziale darf nicht vernachlässigt werden, aktuell gibt es eine deutliche Schieflage.
„Ich freue mich insbesondere, dass so viele junge Leute dabei sind“ – mit diesen Sätzen hatte Claudia Bogedan, Geschäftsführerin der Hans-Böckler-Stiftung, die Tagung eröffnet. Mit ihren Prioritäten für Nachhaltigkeit, Ressourcenfreundlichkeit, Reparierbarkeit, Langlebigkeit bei Produkten zeigte die junge Generation, dass sie längst in der neuen Ära angekommen ist. Mehrere Teilnehmende erklärten allerdings, dass diese Begriffe im Betrieb immer noch vor allem im Rahmen von Marketing und Auftritten vor Aktionären fielen. Auch hier lautete das Fazit: „Für Transformation braucht es Demokratisierung.“
Einen weiteren Aspekt der sozialen Schieflage im Klimaschutz brachte das Öko-Institut in die Diskussion. Menschen mit höheren Einkommen produzieren mit ihren größeren Wohnungen, größeren Autos, und vor allem mit ihren weiten Flugreisen weit mehr Treibhausemissionen als sozial schlechter Gestellte. Zugleich richteten sich viele Maßnahmen des Klimapakets vor allem an einkommensstarke Haushalte: von einer Kaufprämie für Elektroautos über die Entfernungspauschale bis zur steuerlichen Begünstigung von E-Dienstwagen. Dazu bemerkte Katja Schumacher, stellvertretende Leiterin des Bereichs Energie & Klimaschutz im Öko-Institut. „Beim Mitdenken der sozialen Dimension in der Energiepolitik gibt es noch viel zu tun.“
Kontrovers debattiert wurde die Mobilität der Zukunft. Andreas Boes, Direktor des Bayerischen Forschungsinstituts für Digitale Transformation, hält den Umstieg vom Verbrenner- aufs Elektroauto indes ohnehin für unzureichend „Ich mache mich damit hier vielleicht nicht beliebt“, so Boes, „doch solange wir bei Mobilität vor allem ans Auto denken, kommen wir nicht weiter.“