Quelle: Kay Meiners
Service aktuellTagungsbericht Verteilungskonferenz 2023: Immer eine Frage der Macht
In Berlin lud die Hans-Böckler-Stiftung gemeinsam mit dem DGB zur Konferenz über Verteilungsfragen in Krisenzeiten.
[17.11.2023]
Von Kay Meiners
„Mit dem Reichtum ist es wie mit dem Mist“, erklärt DGB-Vorstand Stefan Körzell. „Auf dem Haufen stinkt er – gut über das Land verteilt ist er ein Segen.“ Ein anschauliches Bild, das die Zeichnerin, die fürs Graphic Recording zuständig ist, gleich aufgreift und als digitalen Misthaufen über die Bildschirme laufen lässt. Die richtige – oder gerechte – Verteilung von Einkommen und Reichtum steht im Mittelpunkt der Konferenz „Verteilungsfragen in Krisenzeiten“, die die Hans-Böckler-Stiftung in Kooperation mit dem DGB organisiert hat. Bei der Veranstaltung im Berliner Spreespeicher wurde nicht nur der aktuelle Verteilungsbericht des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts (WSI) vorgestellt – bei den Diskussionen ging es immer auch um Ohnmacht oder Verhandlungsmacht in politischen Prozessen.
Branko Milanović, einer der weltweit führenden Experten für Verteilungsfragen, brachte die internationale Perspektive mit. Er stellte gleich klar, was nicht das Ziel von Verteilungspolitik ist: „Es geht nicht darum, dass am Ende alle das gleiche Einkommen haben.“ Mit Blick auf Deutschland und andere Länder Europas erklärte er: „Wenn China und Indien ihre relative Position im Ranking verbessern, müssen andere absteigen.” Global gesehen, also zwischen Kontinenten und Ländern, sei die Ungleichheit durch das starke Wachstum in Ostasien seit der Jahrtausendwende gesunken, innerhalb vieler Länder gleichzeitig gewachsen. Diese Veränderungen kann er belegen – auch wo in der Gesellschaft die Verlierer zu finden sind. In Südamerika sind es eher die Mittelschichten, in Europa oft diejenigen, die ohnehin schon arm sind oder bestenfalls in prekärem Wohlstand leben.
Gefahr für den Zusammenhalt
Ein aktuelles Bild der Lage in Deutschland zeichnete Dorothee Spannagel, die zusammen mit Jan Brülle den Verteilungsbericht verfasst hat. Während ein zentrales Maß der Einkommensverteilung, der Gini-Koeffizient, in den letzten Jahren stabil war, zeigen sich verhaltene Zuspitzungen etwa bei der Einkommensarmut. Vor allem sprach Spannagel über die Implikationen von Armut und Reichtum für die Lebensrealität: Wer reich ist, hat Reserven und Netzwerke, die ihn in der Krise schützen. Wer arm ist, hat diese nicht. Er verfügt nicht über die notwendige Resilienz und gerät unter Stress.
Das hat politische Folgen: Wer arm ist, hat auch weniger Vertrauen in die Institutionen des demokratischen Staates und die Regierenden. WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch nennt Einkommensungleichheit deswegen „eine Quelle für antidemokratische Einstellungen“. Dabei reicht die Verunsicherung weit in die Mittelschicht. Eigentlich müsste das die Vorteile eines Sozialstaates klar hervortreten lassen. Doch Sebastian Dullien, der Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung, sieht eine beängstigende, gegenläufige Tendenz: „Die Mittelschicht ist so verunsichert, dass sie weniger bereit ist, den Armen abzugeben.“
Dokumentation
Forderungen an die Politik
In drei Panels diskutierten die Konferenzteilnehmer Fragen der Lohn-, Mieten- und Klimaschutzpolitik. Im lohnpolitischen Panel schilderte Andrea Kocsis vom Verdi-Bundesvorstand, wie sich die Tarifpolitik verändert hat: Eine volatile Lage und eine zersplitterte Tariflandschaft mit sehr unterschiedlichen Ertragslagen verlangen viel Fingerspitzengefühl. Wo akuter Arbeitskräftemangel herrscht, konnte für die unteren Lohngruppen teilweise ein Lohnplus von 20 Prozent erzielt werden. Anderswo werde es deutlich länger dauern, den durch die Inflation verursachten Reallohnverlust wieder auszugleichen. Jens Ulbrich, Chefökonom der Bundesbank, wies darauf hin, dass das Arbeitskräfteangebot ab 2025 sinken wird – ein Fakt, der möglicherweise die Verhandlungsmacht der Beschäftigten stärken kann.
Die Verteilungswirkungen von Klimaschutzmaßnahmen standen im Zentrum einer weiteren Panel-Diskussion. Ein Großteil der bisherigen Fördermaßnahmen – etwa Zuschüsse zum Kauf von Elektroautos oder zur Errichtung von Solaranlagen auf dem Eigenheim-Dach – kommt Menschen mit mittlerem und höherem Einkommen zugute, eine soziale Schieflage. Die Belastungen aus Klimaschutzmaßnahmen wiederum, z.B. durch die CO2-Bepreisung oder das Heizungsgesetz, treffen Geringverdiener stärker. „Ärmere Haushalte geben einen weit größeren Anteil ihres Einkommens für Strom, Mobilität und Wärme aus als gutverdienende Haushalte”, erklärte die Energie- und Klimaexpertin Karen Pittel vom Ifo-Institut. „Wer die Akzeptanz von Klimaschutzmaßnahmen stärken will, sollte stärker als bisher darüber nachdenken, Entlastungspakete einkommensabhängig auszugestalten”, schlug sie vor.
In der Abschlussrunde der Verteilungs-Konferenz ging es darum, wie man für mehr Umverteilung sorgen könnte – die Vorschläge reichten von der Abschaffung des Ehegattensplittings, einer längeren Spekulationsfrist für Immobilien, einem Ende der Ausnahmen bei der Erbschafts- und Kapitalertragssteuer. Der vielleicht originellste Redner, Peter Reese, ist Millionär und Unternehmensberater, der sich im Verein Taxmenow engagiert – und höhere Steuern für Reiche fordert, womit er zu einer seltenen Minderheit in seiner Vermögensgruppe gehören dürfte. Seine Vorschläge lagen recht nah an denen von Stefan Körzell, der sich eine Politik wünscht, „die 95 Prozent der Bevölkerung ent- und 5 Prozent belastet.“