zurück
Kulisse der Henrichshütte mit Hans-Böckler-Fahne Service aktuell

Vollkonferenz Engere Mitarbeiter*innen Stahl: Im Herz der Stahlbranche

In Hattingen trafen sich die Engeren Mitarbeiter der Arbeitsdirektoren. Es gab einen runden Geburtstag zu feiern, und einen Ausblick in eine CO2-arme, aber auch ungewisse Zukunft.

[03.07.2024]

Hat Stahl aus Deutschland noch eine Zukunft? Unbedingt – wenn es nach dem Willen des Kreises geht, der sich in Hattingen in der geschichtsträchtigen Henrichshütte versammelte. Allerdings, das war einhellige Meinung hier, braucht es dazu die Hilfe der Politik. Das Netzwerk, gegründet als „Engere Mitarbeiter der Arbeitsdirektoren Eisen und Stahl“, im Boomjahr 1964, Ideenschmiede für ein besonders humanes, fortschrittliches Personalmanagement – verkörpert in der Person des Arbeitsdirektors, der mit dem Vertrauen der Arbeitnehmerschaft für die Belegschaft und das Unternehmen gleichermaßen da sein sollte.  In der Henrichshütte malochten damals Tausende Beschäftigte; ein paar Jahre davor hatte man eigens die Ruhr umgeleitet, um das Werksgelände zu vergrößern. 

Mittlerweile ist die Hütte ein Museum sowie Tagungsort, und das Netzwerk nennt sich genderkonform „Engere Mitarbeiter*innen der Arbeitsdirektor*innen Stahl“. Die Arbeitsgemeinschaft feiert hier ihr 60jähriges Bestehen zusammen mit Vertreter*innen der Arbeitgeberseite und der Politik. Die grüne Landeswirtschaftsministerin Mona Neubaur gratulierte per Videobotschaft: „Ihr Netzwerk steht für eine vorbildliche Zusammenarbeit zwischen Wirtschaft und Mitbestimmung und zeigt eindrucksvoll, wie wichtig diese Partnerschaft für den Erfolg und die Stabilität der deutschen Stahlindustrie ist.“ Zugleich forderte sie eine grüne Industrie: „Eine nachhaltige und klimaneutrale Industrie ist der einzige Weg, um langfristig Arbeitsplätze zu sichern und das bestehende Wertschöpfungsnetz in Nordrhein-Westfalen weiterzuentwickeln.“ 

Der Stiftungsvertreter in der Arbeitsgemeinschaft Jan-Paul Giertz, moderierte und erinnerte an frühere Zeiten, wo noch Anzüge und Zigaretten das Bild prägten, um dann zu erklären: „Heute geht es legerer und diverser zu, aber manches ändert sich auch nicht.” Dazu gehört das besondere Verständnis für eine arbeitnehmer*innenorientierte Personalarbeit mit hohem sozialen Anspruch, aber auch, dass die Branche stark zyklisch ist. Aktuell ist sie wieder im Krisenmodus. Und mit der politisch gewollten Umstellung auf die Eisenreduktion mit Wasserstoff statt mit Kohle, was die CO2-Emissionen um 95 Prozent senken würde, steht gleichzeitig ein technischer Wandel an, der seinesgleichen sucht. Man will die modernsten Stahlwerke der Welt mit kluger Industriepolitik am Standort halten, auch wenn diese nach der reinen Marktlogik vielleicht kurzfristig nicht zu halten wären.  

  • Kerstin Maria Rippel hält einen Vortrag

Maximaler Veränderungsdruck 

Die Umstellung auf Wasserstoff, die „maximalen Veränderungsdruck“ bedeute, werde die Beschäftigtenzahlen tendenziell sinken lassen – erklärte der Personalvorstand und Arbeitsdirektor der Saarstahl AG und der Dillinger Hütte, Joerg Disteldorf. Die 90.000 Beschäftigten der Branche, von denen die meisten in Nordrhein-Westfalen arbeiten, sind eigentlich gut geschützt. Die starke Montanmitbestimmung stellt noch immer den Goldstandard für die Beschäftigten dar. Sie sorgt dafür, dass betriebsbedingte Kündigungen nur im äußersten Notfall ausgesprochen werden, und kommt den Ideen einer echten Demokratie in der Wirtschaft so nahe wie kein anderes Modell. Dennoch gibt es Sorgen: „Es herrscht eine hohe Unsicherheit in den Belegschaften. Sie haben Angst, dass das Modell ins Kippen kommt“ – so beschrieb Knut Giesler, Bezirksleiter der IG Metall NRW die Lage. 

Die Branche braucht Verlässlichkeit 

Die Unternehmen konstatieren, dass die Branche ohne eine dauerhafte Hilfe nicht überleben kann. Gunnar Groebler, Vorstandsvorsitzender der Salzgitter AG; die für etwa ein Prozent der deutschen CO2-Emissionen verantwortlich ist, erklärte zwar, das Ziel sei, „Stahl weiter wettbewerblich produzieren zu können“. Den Milliardenzuschüssen für die Wasserstofftechnik stünden immerhin auch Milliardeninvestionen gegenüber. Doch es bedürfe weiterer Hilfe – wie „Leitmärkte für grünen Stahl, in der öffentlichen Beschaffung oder in der Autoindustrie“. Kerstin Maria Rippel, Hauptgeschäftsführerin der Wirtschaftsvereinigung Stahl verstärkte diesen Punkt und forderte zugleich niedrigere Strompreise, einen Außenhandelsschutz heimischen Stahls und Investitionen in die Wasserstoff-Infrastruktur: „Die Energiekosten sind doppelt so hoch wie vor dem Ukraine-Krieg. Unsere Wettbewerbsfähigkeit steht massiv unter Druck.“ 

Die Arbeitsdirektor*innen stimmten Rippels Forderungen erwartungsgemäß zu. „Wir brauchen Verlässlichkeit. Wir brauchen Planungssicherheit über politische Legislaturperioden hinweg“, erklärte etwa Beatrice Fiege, Geschäftsführerin Personal und Arbeitsdirektorin bei der Ilsenburger Grobblech GmbH. 

Denn grüner Stahl ist teurer als konventioneller. Das könnte sich ändern, je nachdem, wie der regulatorische Rahmen ausgestaltet wird.  

Das Büro für Technikfolgen-Abschätzung beim Deutschen Bundestag (TAB) hat die Kosten für klimafreundliche Grundstoffe in einer Studie beziffert. Grüner Stahl wäre Ende dieses Jahrzehnts maximal 42 Prozent teurer als konventionell hergestellter. 2045 wäre er 28 Prozent günstiger als Stahl, der dann noch konventionell hergestellt würde.

  • Beatrice Fiege auf der Bühne

Demokratie in der Wirtschaft 

Seit mehr als einem halben Jahrhundert arbeiten die Arbeitsdirektor*innen und ihre Engeren Mitarbeiter*innen zusammen mit der Mitbestimmung an guten personalpolitischen Lösungen, deren Wirksamkeit der Titel der Konferenz „Wirtschaft – Demokratie – Gute Arbeit“ prägnant zusammenfasst. „Wir kümmern uns um das wichtigste Gut im Unternehmen“ sagte etwa David Schweda, Head of HR bei der Mannesmann Precision Tubes GmbH.  Eine längst nicht mehr selbstverständliche Herangehensweise, die es Wert wäre von der Politik neben den grünen Leitmärkten auch mit sozialen Leitmärkten unterstützt zu werden, schlägt Moderator Giertz in der Debatte vor.  

Gerade angesichts neuer totalitärer Bedrohungen, multipler Krisen und der Wahlerfolge der AfD sind wirtschaftsdemokratische Ansätze wichtiger denn je. Die Personen, in Hattingen zusammenkamen, sehen ihre Aufgabe nämlich auch darin, sich gesellschaftspolitisch zu engagieren. In den sechs Themencafés der Konferenz ging es vor allem um gesellschaftspolitische Projekte, um moderne Formen der politischen Bildung, um die Erinnerung an NS-Verbrechen, oder die zeitgemäße Ansprache von Azubis, die nicht mehr von selbst zu dem Stahlwerken kommen. Was in Hattingen vorgestellt wurde, zeugt von einem hohen Engagement – nicht nur für die Branche, sondern für die Demokratie insgesamt.  

Zugehörige Themen

Der Beitrag wurde zu Ihrerm Merkzettel hinzugefügt.

Merkzettel öffnen