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Das Bild zeigt eine Vortragende Person auf der 12. GEW-Konferenz Service aktuell

12. GEW-Wissenschaftsfkonferenz 2024: Die Alma Mater: Nicht zukunftsfähig

Nicht nur die Hochschule von morgen, sondern bereits die von heute wird den anstehenden Herausforderungen nicht gerecht. Darin waren sich rund 100 Teilnehmende aus Wissenschaft, Forschung, Studium und Gewerkschaften bei der 12. GEW-Wissenschaftskonferenz in Kooperation mit der Hans-Böckler-Stiftung einig.

[28.02.-02.03.2024]

Von Jeannette Goddar 

Eine Konferenz in Bremerhaven ist für Claudia Bogedan quasi ein Heimspiel. Sechs Jahre war sie Bildungssenatorin in Bremen, bevor sie 2021 die Geschäftsführung der Hans-Böckler-Stiftung übernahm. „Ich stand sozusagen auf der dunklen Seite der Macht“, scherzte sie bei der Eröffnung der 12. GEW-Wissenschaftskonferenz, die in diesem Jahr in Kooperation mit der Hans-Böckler-Stiftung stattfand. Um dann darauf hinzuweisen, dass ihre Anreise wie die vieler anderer holprig verlief. Ein Stahlgewölbe unter der A 27 ist so stark korrodiert, dass diese über Wochen voll gesperrt ist. Claudia Bogedan nahm den Umweg sportlich, den Ausfall der zentralen Zufahrt zu den Häfen in Bremerhaven und Cuxhaven indes als trauriges Symbol. „Nicht nur die Verkehrsinfrastruktur ist katastrophal vernachlässigt, erklärte sie. „Die Schwarze Null droht Deutschland auch in der Bildung abzuhängen.“ Drei zentrale Gründe: Die knappen Kassen könnten zum „Genickbrecher“ im Wettbewerb öffentlicher gegen profitorientierte private Hochschulen werden. Eine offene Gesellschaft benötige einen „starken Sozialstaat, der Teilhabe und Aufstieg durch Bildung ermöglicht.“ Und mit Blick auf den Konferenztitel „Hochschule 2030 – Alma Mater in der Transformation“: „Unterausgestattete Hochschulen können keine angemessene Antwort auf den Fachkräftemangel geben, auch nicht im Kampf gegen den Klimawandel.“ Der stellvertretende Vorsitzende und Hochschulexperte der GEW Andreas Keller ergänzte: „Transformation steht nicht nur für den Umbruch, auf dessen drängende Fragen Hochschulen Antworten geben müssen. Sie müssen sich selbst transformieren. So wie sie sind, sind sie nicht zukunftsfähig.“  

Wem das ein allzu harsches Urteil schien, der wurde bei der Konferenz über drei Tage eines Besseren belehrt. Ob Künstliche Intelligenz oder Klimawende, Demokratie oder Dekolonialisierung: In der gesamten Bandbreite wurde Deutschlands höchsten Bildungsstätten Rückständigkeit attestiert. Besonders erschütternd: Vom Investitionsstau über hierarchische Strukturen bis zu schlechten Studien- und prekären Arbeitsbedingungen stimmt schon das Fundament nicht. 

Geld wichtig – aber nicht alles 

Denn bereits bei der Finanzierung des Studiums verläuft die Entwicklung gegenläufig zum Bedarf. Während in den 1970er-Jahren knapp jede*r zweite Studierende Bafög bezog, das als Vollzuschuss daherkam, bekommt es heute kaum mehr als jede*r zehnte (11,7 Prozent) und die Hälfte muss zurückgezahlt werden. Dabei ist die Studienfinanzierung eine wesentliche Stellschraube, um junge Menschen an die Hochschulen zu locken: „Wir wissen, dass die Aufnahme von Darlehen ebenso wie Studiengebühren Kinder aus einkommensschwachen Schichten massiv abschrecken“, erklärte der Politikwissenschaftler Julian Garritzmann (Goethe-Universität Frankfurt a. M.), und: „Je mehr Stipendien, desto besser.“ Als nicht vorteilhaft wurde bei der Konferenz auch genannt, dass nicht alle Begabtenförderwerke bei der Auswahl ihrer Stipendiat*innen so stark auf sozialen Ausgleich achten wie die Hans-Böckler-Stiftung. 

Zugleich ist ohne Geld alles nichts, Geld aber nicht alles. Eine Hochschule für alle wäre eine, die sich mit ihren Studienbedingungen an Menschen jeder Herkunft und in allen Lebenslagen richtet. Auch die, war man sich einig, ist in weiter Ferne, wobei die Debatte darüber nicht einer gewissen Ironie entbehrte: Ausgerechnet die Pandemie, stellte die Sozialforscherin Hanna Haag in ihrer Expertise „Vulnerable Gruppen an Hochschulen“ vor, hatte es manchen Gruppen zwischenzeitlich leichter gemacht. Denn sowohl Studierende mit Kindern oder pflegebedürftigen Eltern wie solche mit Beeinträchtigungen können von digitalem, ortsunabhängigem Lernen durchaus profitieren. 

Die schlechte Nachricht: Was so mancher und manchem eher beiläufig mehr Flexibilität ermöglichte, wurde wieder zurückgeschraubt. „Alles findet wieder offline statt, nach dem Motto: ‚Wenn die Bahn mal wieder streikt, wissen wir ja, wie das geht.‘ Das riesige Potenzial der digitalen Lehre wurde null gesehen“, konstatierte Jonathan Schackert. Der Potsdamer Jura-Student vertrat auf einem Podium zur „krisenfesten und diversitätsgerechten Hochschule“ das Bundeskollektiv der Stipendiat*innen der HBS – und sparte nicht mit klaren Worten: Mit dem Festhalten an überkommenen Strukturen werde „qualifiziertes Personal links liegen“ gelassen: „Hochschulen sind doch keine Almosengeber. Wie kann man über Fachkräftemangel jammern und dort keine diskriminierungssensiblen Bedingungen schaffen?“ Katja Urbatsch, die vor 15 Jahren die Initiative arbeiterkind.de gründete, ergänzte: Wenn wenige Monate nach einer Pandemie erwogen werde, zwecks Energiesparen Bibliotheken zu schließen, habe man den Eindruck: „Das Bewusstsein für Bildungsungleichheit geht sogar zurück.“ 

Keine nachhaltigen Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft 

Die Lage sogenannter First-Generation-Students, die als erste in ihrer Familie eine Hochschule besuchen, stand bei der 12. GEW-Wissenschaftskonferenz oft im Fokus. Denn diese haben auch laut Studien stets das Gefühl, immer 120 Prozent geben zu müssen – was sie natürlich oft nicht schaffen. In der Folge nehmen sie seltener ein Studium auf, und brechen, wenn sie eins beginnen, dieses häufiger ab. Auf dem Weg zu einem möglichen Arbeitsplatz in der Wissenschaft gehen dann bis auf wenige Ausnahmen fast alle verloren: Bei Promotionen liegt das Verhältnis von Akademiker- zu Arbeiterkindern bei 10:1. „Als Erstakademikerkind fühlt man sich sehr fremd. Alle waren belesen, ich war es nicht“, erinnerte sich in Bremerhaven Derya Gür-Şeker. Als eine der wenigen überwand sie alle Hürden und hat heute eine Professur am Fachbereich Sozialpolitik der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg. Mit drei Kindern gelang ihr in der Corona-Pandemie die Habilitation. Geschafft habe sie das nicht zuletzt wegen der Förderung durch eine engagierte Professorin, die ihr zwei langjährige Verträge verschaffte, und jeweils auch den nächsten Schritt auf dem steinigen Karriereweg im Blick hatte. „Ohne sie würde ich hier nicht sitzen,“ bilanzierte Gür-Şeker. 

Denn nachhaltig im Sinne einer Bildung für die Welt von morgen sind auch die Arbeitsbedingungen in der Wissenschaft nicht. Die allermeisten, die die Lehre und weite Teile der Forschung stemmen, sind auf steter Jobsuche. „Auf jede Professur kommen acht wissenschaftliche Beschäftigte“ erklärte Freya Gassmann (TU Kaiserslautern-Landau); die Zahl der fast immer befristet Angestellten habe sich in den zurückliegenden 20 Jahren verdoppelt. In einer von der GEW-nahen Max-Traeger-Stiftung geförderten Expertise spürte die Soziologin Gründen für Befristungsniveaus nach. Dabei fand sie heraus: Hochschulen sind durchaus nicht machtlos, was das Schaffen besserer oder schlechterer Arbeitsverhältnisse angeht. Deutlich wird das unter anderem daran, dass in vielen Universitäten über 90, anderswo aber auch „nur“ gut 75 Prozent der Verträge befristet sind. Auch in manchen Bundesländern gibt es – über die Landeshochschulgesetze oder Kodizes für gute Arbeit – Bewegung in die richtige Richtung.  

Neuer WissZeitVG-Entwurf „zurück in die Montagehalle“ 

Zentral verantwortlich für die prekäre Arbeit bleibt indes das Wissenschaftszeitvertragsgesetz (WissZeitVG), ein Sonderbefristungsgesetz für die Wissenschaft inklusive Tarifsperre, die Gewerkschaften und Arbeitgebern andere Regelungen verbietet. Sollte das WissZeitVG nicht reformiert werden? Richtig – nach jahrelanger Verzögerung hatte das Bundesministerium für Bildung und Forschung 2023 einen Entwurf vorgelegt. Der jedoch stieß auf so vielen Seiten auf so großes Entsetzen, dass er, wie GEW-Hochschulexperte Keller nüchtern feststellte, „zurück in die Montagehalle geordert wurde“. Nach zwei Tagen wurde das Reformpapier zurückgezogen. Seither stockt das Verfahren wieder.  

Der Frust bei den sogenannten Nachwuchswissenschaftler*innen ist unendlich – doch sogar im Bundestag groß. Als „unendliche Geschichte“ bezeichnete Linken-Abgeordnete Petra Sitte in Bremerhaven das Verfahren. Für die SPD sprach sich Bundestagsabgeordnete Carolin Wagner für eine Reform aus: Sie habe „mit Leuten gesprochen, die wirklich gebrochen waren, nach dem Motto ‚Ich habe alles gemacht, warum kriege ich diese Stelle nicht?‘“. Mit Geraldine Rauch war eine der – nicht sehr vielen – Hochschulpräsidentinnen anwesend, die sich zu mehr dauerhafter Beschäftigung bekennen. „Eine Dauerstelle ist vielleicht 20 Prozent teurer als eine befristete“ rechnete die Präsidentin der TU Berlin vor, und dass mit einer eingesparten Professur 25 unbefristete WiMI-Stellen geschaffen werden könnten. Rauch: „Wir müssen zu einer Änderung kommen – sonst wird es sozial echt peinlich.“ Andreas Keller erinnerte daran, dass eine Alternative vorliegt: der Entwurf eines „Wissenschaftsentfristungsgesetzes“ (WissEntfristG), den die GEW 2022 präsentierte. Und er sagte etwas, was in den drei Tagen für vieles galt: „Ich hätte mir nicht vorstellen können, dass wir im Februar 2024 immer noch auf einem solchen Stand sind.“ 

Mehr Informationen auf den Seiten der GEW

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