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Die Autobobilindustrie in Deutschland während der Corona-Krise Service aktuell

Automobilzulieferer in der Krise: "Es geht ums pure Überleben"

Bei einer Online-Konferenz der Hans-Böckler-Stiftung in Kooperation mit der IG Metall diskutierten mehr als 300 Betriebsräte, Gewerkschafter und Manager über die Zukunft der Automobilzulieferer-Branche.

[22.10.2020]

Es ging um nicht weniger als die Zukunft der deutschen Zulieferer. Oder wie es Ariane Reinhart, Personalchefin beim Zulieferer Continental, ausdrückte: „Es geht ums pure Überleben, um die Zukunftsfähigkeit des Geschäftsmodells.“ Zu dem „perfekten Sturm“, wie Reinhart es nannte, tragen mehrere gleichzeitige Entwicklungen bei, die das Zeug haben, viele Zulieferer, vor allem mittelgroße und kleine, zu überfordern: weltweite Überkapazitäten infolge nachlassender Konjunktur, die Transformation zu umweltfreundlicher und klimaneutraler Mobilität, die Digitalisierung und Vernetzung von Produktion und Produkten – und das alles zusätzlich verschärft durch die Corona-Pandemie. „Wir müssen uns ein Stück weit neu erfinden“, so Frank Sell, GBR-Vorsitzen-der des Branchenführers Bosch.

Für viele sei dieser hohe Anspruch aber wohl kaum erfüllbar, meinte IG Metall-Chef Jörg Hofmann. „Es wird nicht wenige Betriebe geben, denen schlicht das Geld fehlt, um eine längere Durststrecke durchzuhalten und sich gleichzeitig durch Investitionen in neue Produkte und neue Prozesse zu transformieren.“ Selbst wenn es gelinge, im Jahr 2022 wieder das Vorkrisenniveau von 2019 zu erreichen, lägen dazwischen drei Jahre voller Dynamik mit Personalabbau und strukturellem Wandel. Für Hunderttausende von Beschäftigten bestehe ein hohes Risiko, so Hofmann.

Der Preisdruck ist "extremst brutal"

Und ganz besonders gilt das für die Zulieferer, die mit ihren Kunden, den Automobilherstellern (OEM), ein ambivalentes Verhältnis verbindet. Einerseits übten die OEM „extremst brutalen“ Preisdruck aus, der so noch nie dagewesen sei, berichtete Matthias Kratzsch, Technik-Geschäftsführer bei der Ingenieursgesellschaft IAV, deren gut 7.000 Beschäftigte Entwicklungsdienstleistungen für die Hersteller erbringen. Zudem würden die OEM versuchen, Wertschöpfung wieder zurückzuholen, um ihre eigenen Werke besser auszulasten, erzählte Markus Schmidt, Leiter bei ZF Getriebe Brandenburg. „Diesen Trend spüren wir sehr stark, und er wird Bestand haben.“ Andererseits, so stellten Teilnehmer fest, stelle sich die Frage nach der Notwendigkeit von „Mega-Allianzen“ zwischen Zulieferern und Herstellern, aber auch Universitäten, Gewerkschaften und der Politik, um auf Konkurrenten aus Asien und den USA deutsche oder europäische Antworten zu finden für den Wandel vom Verbrennungsmotor zu alternativen Antrieben, vom Maschinenbau zur Software, die im Fahrzeugbau der Zukunft immer wichtiger wird.

Martin Schwarz-Kocher, Leiter des IMU-Instituts in Stuttgart, redete den Autoherstellern ins Gewissen: „Die Zulieferer haben in der Vergangenheit große Teile der Innovationsleistung der Branche erbracht. Das war möglich, weil die Produktion einerseits und Forschung und Entwicklung andrerseits eng aneinander gekoppelt waren.“ Wenn Zulieferer jetzt unter dem Eindruck der multiplen Krisen ihre letzten deutschen Werke und selbst F&E-Abteilungen schließen und in Low-Cost-Länder verlagern, würden die erfolgreichen „Innovationsmuster“ endgültig auseinanderbrechen – „und das wäre eine nachhaltige Schädigung nicht nur der Zulieferer selbst, sondern der gesamten Branche“, warnte Schwarz-Kocher. „Es muss Aufgabe der OEM sein, bei der Preisgestaltung die Innovationsleistung ihrer Zulieferer zu berücksichtigen, so dass es weiterhin möglich ist, auch die Produktion von Großserien in Deutschland zu halten.“

Kompetenzen etablierter Werke anerkennen

Schwarz-Kocher will aber auch die Zulieferer nicht aus der Verantwortung entlassen: In ihren Umbaustrategien dürften nicht nur neue Standorte in Osteuropa eine Rolle spielen; die Kompetenzen etablierter Werke in Deutschland müssten unbedingt erkannt und berücksichtigt werden.

Für IG Metall-Chef Jörg Hofmann zeigt sich in den Überlegungen und den zum Teil schon realisierten Plänen mancher Zulieferer eine „neue Qualität“: Die Verlagerung von Produktionskapazitäten ins Ausland habe es schon immer gegeben; wenn Firmen nun aber auch ihre Forschungs- und Entwicklungsabteilungen hierzulande aufgeben, sei das skandalös und eine Kampfansage an den Industriestandort Deutschland, dessen Infrastruktur, Hochschullandschaft und gut qualifizierte Beschäftigte die Firmen gleichzeitig gerne nutzten. „Wer solche Standorte verlagert, kündigt den Grundkonsens auf“, so Hofmann. Dieser Konflikt lasse sich nur bedingt durch Standortvereinbarungen lösen. „Dieses Thema müssen wir politisch hochziehen.“

"Allein können wir es nicht richten"

Gelegenheit dazu bietet der nächste „Autogipfel“ im November, bei dem es auch um den Vorschlag der IG Metall für einen Transformationsfonds speziell für kleine und mittlere Zulieferer geht. Staatliches und privates Kapital, so die Idee, könnte die Unternehmen in die Lage versetzen, trotz der Umsatzeinbrüche durch die Corona-Krise in den Wandel in Richtung Digitalisierung und Dekarbonisierung zu investieren. Auch das zwei Milliarden Euro schwere Konjunkturprogramm der Bundesregierung biete einige Unterstützung für regionale Innovationscluster, die stark vom Verbrennungsmotor geprägt sind und neue Geschäftsfelder erschließen müssen, auch wenn eine Wirkung eher mittel- bis langfristig zu erwarten sei. Auch wenn die Skandale bei den Autoherstellern in den vergangenen Jahren das Renommee der ganzen Branche beschädigt hätten, so Jörg Hofmann, müsse man jetzt um Unterstützung durch die Politik kämpfen: „Allein können wir es nicht richten“, sagte Hofmann, der darin von Bosch-GBR-Vorsitzenden Frank Sell bestärkt wurde: „Es ist wichtig, jetzt Einfluss auf die Politik zu nehmen.“

Was nicht heißen solle, die Arbeitgeber aus ihrer Verantwortung zu entlassen, betonte Nektaria Christidou, GBR-Vize beim Stuttgarter Zulieferer Mahle: „Letztlich geht es um das Thema Solidarität, und das heißt: Flagge zeigen, auf den Hof gehen. Nur so kann man die Arbeitgeber überzeugen, dass sie Investitionen auf den Hof bringen.“

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