Rückblick: Festakt 100 Jahre ILO in Berlin
Standards für gute und menschenwürdige Arbeit festlegen, nicht nur für die entwickelten Ländern, sondern weltweit: Das ist seit nun 100 Jahren das Ziel der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Beim Festakt in Berlin wurde Deutschland als Vorbild gelobt.
Von Kay Meiners
Die Gründung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO)als Bestandteil des Friedensvertrages von Versailles vor 100 Jahren war ein kühnes Unterfangen. In einer frühen Phase der Globalisierung, nach dem Ende des Ersten Weltkrieges, als ganze Weltgegenden noch gar nicht in den Nexus weltweiter Produktion eingebunden waren, schickten sich Politiker und Sozialpartner an, Standards für gute und menschenwürdige Arbeit festzulegen – nicht nur für die entwickelten Ländern, sondern weltweit. An dieses „unerhört fortschrittliche“ Projekt des Multilateralismus erinnerte Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei einem Festakt am 12. März in Berlin.
Auch ILO-Generaldirektor Guy Ryder, der DGB-Vorsitzende Reiner Hoffmann, Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) waren gekommen. Die Debatte kreiste stark um die deutschen Verhältnisse und Deutschlands Vorbildfunktion in der Welt. Demokratie, Bildung und Rechtssicherheit seien in allen Staaten unabdingbar, um die ILO-Ziele zu erreichen. Ingo Kramer lobte die deutschen Arbeitsbeziehungen und erklärte, Unternehmen mit Betriebsräten könnten froh sein über einen kompetenten Ansprechpartner, der „für die Belegschaft sprechen könne.“
Rainer Hoffmann sagte, das Gründungsdokument der ILO sei bis heute der „ehrgeizigste soziale Vertrag, den wir kennen.“ Deutschland wachse eine besondere Verantwortung für die globale Entwicklung zu – etwa bei der Kontrolle globaler Lieferketten oder neuartiger, plattformbasierter Geschäftsmodelle. Zu diesen Themen gab es eine umfangreiche Diskussionsrunde mit jungen Menschen, darunter Jugendvertretern der Gewerkschaften und Unternehmensgründern. ILO-Generaldirektor Guy Ryder hatte ein besonderes Kompliment mit nach Berlin gebracht: „Was wir in der ILO versuchen, ist – ganz vereinfacht gesagt – es auf der Welt ein bisschen so zu machen, wie es in Deutschland läuft.“
Das war charmant gegenüber den Gastgebern, kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es in vielen Teilen der Welt dramatisch anders aussieht als in Deutschland und dass die ILO mit diesen Widersprüchen lebt. Der ILO gehören immerhin 187 Staaten an. In der weltweiten Normensetzung ist die ILO stets mächtiger gewesen als in der Normendurchsetzung. Noch immer sind massive Verstöße gegen elementare Rechte in weiten Teilen der Welt an der Tagesordnung. Große Teile der Welt wie Afrika oder Südamerika sind wirtschaftlich abgehängt.
Die Gremien der Organisation, die die älteste Sonderorganisation der Vereinten Nationen überhaupt ist, sind zur Hälfte mit staatlichen Vertretern und je zu einem Viertel mit Vertretern der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer besetzt. Mit einem Budget von mehr als einer Million Euro am Tag soll sie Arbeit überall auf der Welt menschenwürdig machen. Sie soll gegen Kinder- und Zwangsarbeit kämpfen, auf die Einhaltung von Gewerkschaftsrechten pochen und die Chancengleichheit von Männern und Frauen fördern.
Bundespräsident Steinmeier sagte auf dem Festakt, die Ziele der ILO seien wichtiger denn je. Er appellierte daran, den Multilateralismus gegen Kritiker zu verteidigen: „Wenn internationale Kooperation die Freiheit einschränkt, dann die Freiheit, autoritäre Regime zu errichten.“ Wie mühsam das Tagesgeschäft ist, zeigt indessen ein Appell auf der Website der ILO. Zum 100. Geburtstag fordert sie ihre 187 Mitgliedstaaten daher auf, im Jahr 2019 mindestens ein zusätzliches ILO-Übereinkommen oder -Protokoll zu ratifizieren.