Projektbeschreibung
Kontext
Die Abnahme gewerkschaftlicher Machtressourcen und die Erosion der Tarifbindung haben seit 1990 zur verstärkten Adressierung des juridischen Felds als Entscheidungsinstanz der Industriellen Beziehungen geführt. Interessenkonflikte verlagern sich daher verstärkt ins Recht, was zu Veränderungen in der Auslegung des kollektiven Arbeitsrechts führte. Insbesondere kam es zu einer Bedeutungsverschiebung der Koalitionsfreiheit, die verstärkt als negatives Freiheitsrecht ausgelegt wird. Damit verbunden war eine rechtsdogmatische Neujustierung zwischen Individualwille und kollektiver Ordnung, was eine „freiheitliche“ Neuinterpretation von Arbeitskampf- und Tarifvertragsrecht nach sich zog (bspw. Kernbereichslehre, Delegationstheorie, Tarifeinheit, OT-Mitgliedschaft, Flash-Mob). Diese wirkt direkt auf das konfliktive Verhältnis der Tarifparteien, was ambivalente Folgen für die Handlungsfähigkeit der Gewerkschaften und die Stabilität des Tarifsystems insgesamt hat.
Fragestellung
Das Forschungsprojekt folgt der übergeordneten Fragestellung, wie und warum sich der Deutungswandel der Rechtsfigur der Koalitionsfreiheit im kollektiven Arbeitsrecht im Untersuchungszeitraum zwischen 1990 und 2023 vollzog und auf welche juridische(n) Strategie(n) und Diskurskoalition(en) er sich zurückführen lässt. Es wird untersucht, wie und warum juridische Strategien im kollektiven Arbeitsrecht erfolgreich sind, d.h. hegemonial werden und sich als herrschende Meinung in der Rechtsprechung niederschlagen. Zentrales Projektziel ist es, den juridischen Diskurs um die Rechtsfigur der Koalitionsfreiheit anhand der jüngeren Weichenstellungen seit 1990 zu rekonstruieren und damit verbundene juridische Diskurskoalitionen und Strategien herauszuarbeiten.
Untersuchungsmethoden
Empirischer Schwerpunkt des qualitativen Forschungsdesigns ist die Erhebung, Erschließung, Analyse und Interpretation eines Dokumentenkorpus juristischer Fachliteratur mithilfe der Forschungsheuristik der hegemonietheoretischen Rechtsdiskursanalyse und dem methodischen Vorgehen der interpretativen Analytik. Ergänzend werden qualitative, halb-standardisierte Experteninterviews durchgeführt. Durch analytische Rekonstruktion des Rechtsdiskurses werden juridische Strategien herausgearbeitet und Koalitionen und Netzwerkstrukturen identifiziert. Insofern basiert das Projekt auf einem halb offenen, qualitativen Forschungsdesign mit induktiv-deduktiver Kategorienbildung. Als Analyseeinheiten dienen konkurrierende juristische Argumentationsfiguren, die auf ihren strategischen Gehalt und ihre Situiertheit hin untersucht werden.