Projektbeschreibung
Kontext
Die Spezialisierung in einzelnen Segmenten der Wertschöpfungskette erfolgt zusätzlich zu sektoralen Spezialisierungen. Und im Gegensatz zur beobachteten Konvergenz der Industriestrukturen innerhalb der EU, haben sich starke funktionale Divergenzen herauskristallisiert: die westlichen EU-Länder besetzen wissensintensive Segmente der Wertschöpfungskette (z.B. F&E), während in den mittel- und osteuropäischen EU-Ländern (EU-MOEL) vorrangig die eigentliche Produktion erfolgt. Diesen komplementären FS-Mustern liegen technologische Asymmetrien zu Grunde. Empirische Ergebnisse deuten darauf hin, dass die eigentliche Produktion mit verhältnismäßig geringer Wertschöpfung und Wachstumspotential verbunden sind. Angewandt auf die EU bedeutet dies, dass bei Fortbestehen der gegenwärtigen funktionalen Spezialisierungen bestehende Konvergenzprozesse – und damit das Kohäsionsziel der EU – gefährdet sein könnten - mit negativen Rückwirkungen auf die gesamte EU.
Fragestellung
Die Entstehung globaler Wertschöpfungsketten (GVCs) hat die Wirtschaft der EU radikal verändert. Insbesondere ergab sich durch die immer feinkörnigere internationale Arbeitsteilung für Länder die Möglichkeit, sich in einzelnen Unternehmensfunktionen der Wertschöpfungskette zu spezialisieren. Diese „funktionale“ Spezialisierung (FS) in Wertschöpfungssegmenten, z.B. F&E oder der eigentlichen Produktion, implizieren eine starke technologische Asymmetrie zwischen Headquarter-Ökonomien, die die Produktionsnetzwerke organisieren, und verlängerten Werkbänken (factory economies), die vorrangig den Faktor Arbeit in GVCs einbringen. Damit hängt das Potential hohe Wertschöpfung zu erwirtschaften neben der Industriespezialisierung auch von den Unternehmensfunktionen ab, die Länder innerhalb der Wertschöpfungskette erfüllen. Darauf aufbauend werden die Auswirkungen der identifizierten Spezialisierungsmuster auf den Arbeitsmarkt identifiziert.
Untersuchungsmethoden
Dieses Projekt vereint zwei bestehende Methoden zur Analyse von funktionalen Spezialisierungen (FS). Timmer et al. (2019) berechnen die FS im internationalen Handel anhand von berufsspezifischen Beschäftigungsdaten, die in Kombination mit Input-Output-Methoden als Unternehmensfunktionen interpretiert werden. Stöllinger (2019) verwendet Daten zu grenzüberschreitenden Investitionsprojekten, um die FS zu ermitteln. Clusteranalysen werden eingesetzt um die EU-Länder "funktionalen Clubs" zuzuordnen und geografische und sektorale Muster von FS zu identifizieren. Die Auswirkungen von FS auf die Beschäftigungsqualität und Löhne werden mit panelökonometrischen Methoden abgeschätzt. Schließlich werden unter Berücksichtigung der Heterogenität der EU-Länder und der Industrien die Determinanten von FS-Mustern mit binären Auswahlmodellen (z.B. Probit-Modelle) identifiziert.
Darstellung der Ergebnisse
Die Einteilung von Ländern nach ihrer Rolle in internationalen Wertschöpfungsketten – verlängerte Werkbank und Headquarter-Ökonomien – ist innerhalb der EU über den Untersuchungszeitraum (2000-2019) hinweg deutlich auszumachen.
Diese Einteilung deckt sich mit der Unterscheidung zwischen mittel- und osteuropäische EU-Mitgliedstaaten (EU MOEL) und den westlichen EU-Staaten.
Funktionale Spezialisierungen der Länder sind träge und verändern sich im Zeitablauf langsam. Nur in einzelnen Industrien, etwa der Pharmaindustrie, konnten einige EU MOEL in höherwertige Wertschöpfungssegmente vordringen.
In Hinblick auf die Bestimmungsfaktoren der beschriebenen funktionalen Spezialisierungsmuster konnte gezeigt werden, dass höhere Löhne eine funktionale Spezialisierung in F&E (also als HQ-Ökonomie) begünstigen, während relativ niedrigere Löhnen mit einer Spezialisierung in der Fabrikation (also als verlängerte Werkbank) einhergeht. Umgekehrt führt eine Spezialisierung in der Fabrikation innerhalb von Wertschöpfungsketten, zu einer moderateren Lohnentwicklung.