Forschungsprojekt: Emotionsregimes und Solidarität in der Interaktionsarbeit

Projektziel

Das Forschungsprojekt untersuchte in der Pflege- und der Weiterbildungsbranche das Verhältnis von emotionalem Druck und diversen Solidaritätshaltungen. Der Fokus lag auf organisationsintern und -extern gegebenen (sozialstaatlich induzierten) Unsicherheiten sowie ihrer subjektiven Verarbeitung im Management und bei Beschäftigten, auch im Rahmen der Interaktion mit Nutzergruppen.

Veröffentlichungen

Betzelt, Sigrid, Ingo Bode und Sarina Parschick, 2024. Corrosion beneath the surface?. The emotional navigation of managerialist regulation in German welfare organizations, The International journal of sociology and social policy, 2024(13/14), S. 1.

Betzelt, Sigrid, Ingo Bode und Sarina Parschick, 2023. Die Prekarität der arbeitsmarktpolitischen Infrastruktur und die Rolle von Emotionsregimes. Das Beispiel der geförderten beruflichen Weiterbildung, In: Roland Atzmüller, Fabienne Décieux, Benjamin Ferschli (Hrsg.), Ambivalenzen in der Transformation von Sozialpolitik und Wohlfahrtsstaat: Soziale Arbeit, Care, Rechtspopulismus und Migration. Ambivalenzen in der Transformation von Sozialpolitik und Wohlfahrtsstaat: Soziale Arbeit, Care, Rechtspopulismus und Migration, Weinheim/Basel: Beltz Juventa, S. 70-87.

Betzelt, Sigrid, Ingo Bode, Sarina Parschick und Andreas Albert (Hrsg.), 2023. Organisierte Zerrissenheit. Emotionsregimes und Interaktionsarbeit in Pflege und Weiterbildung, Arbeit und Organisation, Bielefeld: transcript, 262 Seiten.

Betzelt, Sigrid, Ingo Bode und Sarina Parschick, 2023. Umsteuern ist angesagt:. Die „Weiterbildungsrepublik“ braucht verlässliche Strukturen und Luft zum Atmen, Soziale Sicherheit, 72(6), S. 233-239.

Betzelt, Sigrid und Ingo Bode, 2022. Emotional regimes in the political economy of the ‘welfare service state’. The case of continuing education and active inclusion in Germany, IPE Working Paper 178, Berlin: Hochschule für Wirtschaft und Recht, 32 Seiten.

Albert, Andreas, Sigrid Betzelt und Sarina Parschick, 2022. Soziale Dienstleistungen unter Druck:. Ökonomisierungsgetriebene Handlungsdilemmata und ihre emotionalen Implikationen, In: S. Betzelt, T. Fehmel (Hrsg.), Deformation oder Transformation? Analysen zum wohlfahrtsstaatlichen Wandel im 21. Jahrhundert. Deformation oder Transformation? Analysen zum wohlfahrtsstaatlichen Wandel im 21. Jahrhundert, Wiesbaden: Springer Fachmedien, S. 225-250.

Albert, Andreas, Ingo Bode und Sarina Parschick, 2022. Corona, Pflege und Gesellschaft:. Soziologische Perspektiven auf zugespitzte Krisenzustände und den Umgang mit ihnen, In: Verena Breitenbach, Herrmann Brandenburg (Hrsg.), Corona und die Pflege. Corona und die Pflege, Wiesbaden: Springer Verlag, S. 35-55.

Albert, Andreas, Sigrid Betzelt, Ingo Bode und Sarina Parschick, 2022. Die Macht der Gefühle. Emotionsregimes und Solidaritätshorizonte in der Pflegekrise, WSI Mitteilungen, 75(5), S. 363-370.

Albert, Andreas, Sigrid Betzelt, Ingo Bode und Sarina Parschick, 2021. Management mit Angst?. Führungskräfte im Sozialwesen zwischen Kontrolldruck und Rettungsambitionen, ARBEIT, 30, S. 193-214.

Projektbeschreibung

Kontext

Den Rahmen für das Forschungsvorhaben bildeten Dynamiken der zeitgenössischen Arbeitsgesellschaft (z.B. Prekarisierung, Ökonomisierung, Erwartungen an „gute Arbeit“) sowie Debatten um einen schwindenden sozialen Zusammenhalt. Ausgangspunkt war die Annahme, dass in Arbeitsorganisationen heute verstärkt mit emotionalem Druck umgegangen werden muss – nicht zuletzt dort, wo es um wohlfahrtsstaatlich regulierte personenbezogene Dienste geht. Ein hoher Wettbewerbs- und Qualitäts(bewertungs)druck sowie neue Formen managerieller Steuerung stiften objektiv Unsicherheit; deren subjektive Verarbeitung auf der Organisationsebene ist spannungsgeladen (z.B. Burnout bei Beschäftigten, Misstrauen bei Klient:innen) und mit diversen emotionalen Irritationen verbunden (Angst- und/oder Frustrationsgefühle), welche auch Prozesse der Ent- und Resolidarisierung beeinflussen.

Fragestellung

Beforscht wurden zwei Branchen der Interaktionsarbeit (Pflege; Weiterbildung) basierend auf der Annahme, dass in den Regulierungen der Branchen angelegte Verunsicherungspotenziale für das Verhältnis zwischen Organisation und Umwelt sowie zwischen Management und Beschäftigten folgenreich sind. Gefragt wurde danach, inwiefern bestehende Unsicherheiten und ihre subjektive Verarbeitung emotional moderiert werden und wie dies mit Solidaritätshaltungen zusammenhängt, die Beschäftigte im Hinblick auf Nutzer:innen, Kolleg:innen und das Gemeinwesen allgemein entwickeln. Die Arbeitshypothese lautete, dass Angst- und/oder Frustrationsgefühle die genannten Arbeitskontexte durchdringen und das Denken über Solidarität bzw. solidarische Praxis (unterschiedlich) beeinflussen können – wobei in Frage stand, ob solche Gefühle Gemeinsinn strapazieren oder neue Solidaritätspotenziale befördern. Angestrebt wurden zudem Erkenntnisgewinne zu Möglichkeiten, emotionale Belastungen am Arbeitsplatz zu verringern.

Untersuchungsmethoden

Das qualitativ ausgerichtete Projekt basierte v.a. auf Organisationsfallstudien in der stationären und ambulanten Altenpflege und der geförderten Weiterbildung. Beide Sektoren stehen für dienstleistungsbasierte, wohlfahrtsstaatlich regulierte Daseinsvorsorge und damit für wichtige Zukunftsagenden. Betrachtet wurden durch Pflegeversicherung und Sozialhilfe (ko-)finanzierte Standardeinrichtungen mit typischer Nutzer:innen-Struktur sowie Träger der öffentlich geförderten beruflichen Weiterbildung bzw. Jugendberufshilfe, welche einen Mix von Fördermaßnahmen anbieten. Im Rahmen von 'embedded case studies' mit insgesamt vier Organisationen in zwei Großstädten wurden verschiedene Datenquellen genutzt (Dokumente, halbstrukturierte Interviews, Fokusgruppendiskussionen), ergänzt durch Gespräche mit Expert:innen aus überbetrieblichen Arbeitszusammenhängen. Die Auswertungen waren hermeneutisch orientiert, auch mit Blick auf Möglichkeiten zur theoretischen Generalisierung der Befunde.

Darstellung der Ergebnisse

Die Studienergebnisse zeigen, dass in den beobachteten Arbeitskontexten drei Einflussfaktoren ineinandergreifen (sozialpolitische Rahmensetzung, organisationale Steuerung und individuelle Bewältigung von Spannungszuständen) und sich so je spezifische „Emotionsregimes“ bilden. Diese Regimes halten die Akteure, die sich zwischen ‚Markt und Mission‘ sowie Berufsethos und Fremdbestimmung bewegen, im Dauerstress. Die Mechanismen dieser Regimes erklären einerseits, warum und wie die analysierten Arbeitsfelder trotz innerer Zerrissenheit und Prekarität funktionieren. Andererseits führen sie zu Reibungsverlusten, die letztlich auf Kosten aller Beteiligter (Beschäftigte, Nutzer:innen, Organisationen, Gesellschaft) gehen und die Atmosphäre in den Belegschaften sowie das Verhältnis zum Gemeinwesen beschädigen. Nachhaltige Entlastungen, die ein weniger strapaziöses Arbeiten ermöglichen und neue Solidaritätshorizonte eröffnen würden, sind wohl nur erreichbar, wenn die bestehende wohlfahrtsstaatliche Regulierung der Sektoren überdacht wird. Die Befunde liefern auch Praxishinweise für Gewerkschaften, die an den vorgefundenen Spannungen ansetzend neue Organisationsansätze entwickeln könnten.

Projektleitung und -bearbeitung

Projektleitung

Prof. Dr. Sigrid Betzelt
Hochschule für Wirtschaft und Recht FB 1 Wirtschaftswissenschaften

Prof. Dr. Ingo Bode
Universität Kassel
Institut für Sozialwesen/ Abt. 2 Sozialpolitik

Bearbeitung

Andreas Albert
Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin School of Economics and Law

Sarina Parschick
Universität Kassel

Kontakt

Dr. Eike Windscheid-Profeta
Hans-Böckler-Stiftung
Forschungsförderung

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