Projektbeschreibung
Kontext
Die häusliche Pflege durch fast ausschließlich weibliche Live-Ins aus Mittel- und Osteuropa macht Schätzungen zufolge ein Viertel der bezahlten Pflegearbeit in Deutschland aus. Von Live-Ins wird oftmals erwartet, dass sie immer zur Verfügung stehen, sodass sie sich in quasi permanentem Bereitschaftsdienst befinden. Das zentrale Problem dieser Erwerbsarbeit bilden damit die umfangreichen Arbeitszeiten, wodurch die gesetzlich zulässige Höchstarbeitszeit überschritten wird.
Wenngleich ein Großteil der Arbeit in irregulärer Beschäftigung erfolgt, kommt den Vermittlungsagenturen auf dem Markt der Live-In-Pflege eine grundlegende Rolle zu. Einige Agenturen haben sich auf dem Markt besonders hervorgetan. Sie formulieren Kritik an der mangelnden Regulierung des Marktes und prägen diesen durch ihre Größe oder politische Lobbyarbeit. Das Forschungsprojekt hat diese „Pioniere“ und ihre freiwilligen Maßnahmen in Hinblick auf ihr Potenzial zur Reduktion der Arbeitszeit untersucht.
Fragestellung
Ziel des Projekts war eine Untersuchung der Organisation von Arbeitszeit in der Live-In-Pflege sowie die Entwicklung politischer Handlungsempfehlungen.
Hierzu wurden die folgenden Fragestellungen adressiert:
- Wie wird die Live-In-Pflege in den Arbeitsverträgen und durch Maßnahmen zur zeitlichen Entlastung von den Agenturen gestaltet?
- Welche Formen der Bedarfserhebung erfolgen vor Arbeitsantritt? Inwieweit gibt es eine Entlastung der Live-In durch einen Pflegemix? (Wie) reagieren die Agenturen bei Überschreitung der vertraglichen Arbeitszeit?
- Welches Potenzial bietet digitale Technologie zur Reduktion von Arbeitszeit?
- Welche Gestaltungsvorschläge zur Live-In-Pflege werden in sozialpolitischen und rechtswissenschaftlichen Fachdebatten diskutiert? Welche Prinzipien lassen sich aus Rechtsanalyse und -vergleichung entnehmen?
- Wie sind die bisherigen Maßnahmen und Rahmenbedingungen rechtlich und ethisch zu bewerten?
- Welche politischen Empfehlungen lassen sich formulieren?
Untersuchungsmethoden
In der Untersuchung wurden Maßnahmen zur Arbeitszeit von sechs „Pionieren“ der Vermittlungsagenturen analysiert. Wir untersuchten jeweils zwei Agenturen des Arbeitgeber,- des Entsende- und des Selbständigenmodells.
Das Projekt verfolgte eine interdisziplinäre Herangehensweise: Aus einer rechtswissenschaftlichen Perspektive wurden die Verträge und weitere Dokumente der Agenturen dahingehend analysiert, in welcher Form Arbeitszeit, Vergütung und soziale Absicherung in diesen geregelt werden. Die sozialwissenschaftliche Analyse umfasste sechs leitfadengestützte Expert:inneninterviews mit den Agenturen zu Maßnahmen und deren Potenzialen zur Reduktion von Arbeitszeit. Die Interviews wurden mit MAXQDA-Software mit der qualitativen Inhaltsanalyse ausgewertet.
Auch wurde die Thematik des Potenzials digitaler Technologien literaturgestützt untersucht.
Auf Basis der abschließenden juristischen und sozialethischen Bewertungen entstand ein Policy Paper mit Empfehlungen für Praxis und Politik.
Darstellung der Ergebnisse
Als wichtige Erkenntnis wurde sichtbar, dass es Maßnahmen der Agenturen gibt, die ein Potenzial zur Reduktion der Arbeitszeit aufweisen. Diese umfassen Formen der Bedarfserhebung und Sensibilisierung der Familien vor Arbeitsantritt, den Einbezug anderer Akteure in einem Pflegemix und Ansprechpartner:innen im Konfliktfall. Auch digitale Technologien können Arbeitszeit potenziell reduzieren.
Dennoch erweist sich das Potenzial der Maßnahmen als deutlich begrenzt. So sind die Verständnisse von Arbeitszeit der Agenturen widersprüchlich und uneindeutig. In den Arbeitsverträgen bestehen nur beim Arbeitgebermodell klare vertragliche Arbeitszeitvorgaben, die in der Praxis jedoch defizitär umgesetzt werden. Nur die Agenturen des Arbeitgebermodells intervenieren bei Überschreitung der vertraglichen Arbeitszeit.
Ein zentrales Ergebnis des Projekts ist somit, dass das Grundproblem der Live-In-Pflege, die Erwartung einer 24-Stunden-Betreuung, auch von den untersuchten Agenturen nicht gelöst wird. Demnach bietet unternehmerische Selbstregulierung allein keine grundlegende Verbesserung der Arbeitsbedingungen in der Live-In-Pflege. Es bedarf daher staatlicher Regulierungs- und Kontrollmechanismen.