Forschungsprojekt: Beruflichkeit und übergreifende Kollaboration im Betrieb

Projektziel

Wird Beruflichkeit mit der Digitalisierung überflüssig? Im Gegenteil! Denn digitale Transformation verlangt vor allem fach- und qualifikationsübergreifende Kollaboration. Dafür wird nicht nur eine berufliche Ausbildung, sondern auch berufliche Erfahrung mit informell erworbenen Fähigkeiten dringend benötigt. Dies wurde im Projekt anhand empirischer Analysen alltäglicher Arbeitspraxis untersucht.

Veröffentlichungen

Neumer, Judith, Sarah Nies, Tobias Ritter und Sabine Pfeiffer, 2022. Beruflichkeit und Kollaboration in der digitalisierten Arbeitswelt. Wechselseitige Bedingungen und Wirkungsweisen, Working Paper Forschungsförderung 242, Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung, 64 Seiten.

Neumer, Judith, Tobias Ritter und Sabine Pfeiffer, 2022. FACHWISSEN BLEIBT UNVERZICHTBAR. Die Digitalisierung verändert die Arbeitswelt. Wird die traditionelle Berufsausbildung damit überflüssig? Nein, zeigt eine Studie, Böckler Impuls, 06, S. 7.

Nies, Sarah, Tobias Ritter und Sabine Pfeiffer, 2021. Anerkennung informeller Fähigkeiten in einer digitalisierten Arbeitswelt, DENK-doch-MAL.de, S. 1-6.

Weitere Informationen

soli aktuell, Infomagazin der DGB-Jugend 01/2023
http://file:///C:/Users/elisabeth-bernhardt/Downloads/Soli%20aktuell%201-2023%20(3).pdf

Projektbeschreibung

Kontext

Die Bedeutung von Beruflichkeit gerät in den Debatten um den aktuellen Wandel von Arbeit (New Work, Industrie 4.0) zunehmend aus dem Blick. Der Diskurs dreht sich vor dem Hintergrund einer fortschreitenden Digitalisierung um polarisierende Entwicklungen wie Akademisierung, Dequalifizierung, zunehmende Bedeutung von Residualtätigkeiten und die Relevanz von ‚soft skills‘. Das konkrete Arbeitshandeln im Betrieb spielt dabei kaum eine Rolle und so bleibt auch der Blick auf Beruflichkeit ein reduzierter Blick. Während in Debatten und betrieblicher Realität ein auf Spezialisierung fixiertes „Silodenken“ nach wie vor vorherrscht, wurde im Projekt untersucht, inwiefern der digitale Wandel von Arbeit zunehmend fach- und qualifikationsübergreifende Kooperation im Arbeitshandeln erfordert. Dies verlangt in besonderem Maße organisationales Arbeitsvermögen und erfahrungsbasiertes Kontextwissen. Beides steht in enger Verbindung mit Beruflichkeit, dies wurde jedoch bislang nicht ausreichend erfasst.

Fragestellung

Im Vorhaben wurde die Frage erörtert, ob und wie sich Beruflichkeit unter den Bedingungen des dynamischen Wandels digitalisierter und vernetzter, mithin agiler Arbeit bewährt, sowohl in den täglichen Arbeitsprozessen als auch für die Unternehmen insgesamt. Hierfür wurde

(a) das kooperative Arbeitshandeln über Fach- und Qualifikationsgrenzen hinweg in den Blick genommen,

(b) betriebliche Rahmungen dessen betrachtet und

(c) eine systematische Anreicherung des Konzepts Beruflichkeit geprüft.

‚Suchscheinwerfer‘ bildeten dabei die Konzepte des organisationalen Arbeitsvermögens und des erfahrungsbasierten Kontextwissens. Beide Konzepte stützen die Relevanz von Beruflichkeit und bieten gleichzeitig Erweiterungsmöglichkeiten in spezifischen Aspekten, so etwa eine breite fachliche Qualifikation, Handlungsfähigkeit auch in Bezug auf Ungewissheit, praktische Erfahrung und fachliche sowie erfahrungsgeleitete Kooperationsfähigkeit.

Untersuchungsmethoden

Die empirische Basis der Untersuchung legten insgesamt 55 qualitative Interviews (31 primär, 24 sekundär) aus sechs Unternehmen aus Produktion und IT. Die Primärerhebungen umfassten zwei Betriebsfallstudien kleiner- und mittelständischer Unternehmen im Produktionssektor. Der Interviewprozess zeichnete sich durch problemzentriert-narrative Fragetechniken aus. Die Sekundäranalysen bezogen sich auf qualitative Einzel- und Gruppeninterviews aus der Empirie von vier Forschungsprojekten mit Fokus auf Produktions- und IT-Unternehmen (KMU und Großunternehmen). Die Interviews wurden mittels qualitativer Inhaltsanalyse parallel zur Primärerhebung ausgewertet. Sie flossen als Abstoßpunkt und kontrastierende Fokussierung selektiv in die Erhebungen ein. In der Sekundäranalyse wurde in mehreren Auswertungsschritten auf relevante Interviews zurückgegriffen, mit denen Kollaborationskonstellationen in den Blick genommen und mit betrieblichen Fallkonstellationen kontextualisiert werden konnten.

Darstellung der Ergebnisse

Das Projekt stellte die Frage nach der Relevanz von Beruflichkeit für das Gelingen von fach- und qualifikationsübergreifender Kollaboration in der Arbeit. Es konnte gezeigt werden, dass im Zuge der digitalen Transformation Kollaborationsanforderungen steigen, sich neue Anforderungen an berufliche Kompetenzen stellen und sich die Praxis der Kollaboration mit gegenwärtigen Digitalisierungsstrategien verändert. Beschäftigte sind (auch unter Einbezug ihrer informellen Fähigkeiten) zunehmend gefordert, über einzelne Arbeitstätigkeiten und Arbeitsbereiche hinauszudenken und übergreifende Anforderungen und Bedarfe in den Blick zu nehmen. Ein verengter Blick auf berufliche Kompetenzen jedoch konterkariert die Bewältigung steigender Anforderungen an Kollaboration. Beruflichkeit stützt Kollaboration durch Erwartungssicherheit, beeinflusst Modus und Wirkungsweise von kollaborativer Selbstorganisation und dient als Legitimations-, Rechtfertigungs- und Anerkennungsquelle. Es wurde gezeigt, wie Unternehmen Beruflichkeit simulieren, um produktive Potenziale ohne entsprechende Entlohnung und Qualifizierung zu schöpfen, dies stößt jedoch schnell an Grenzen.

Projektleitung und -bearbeitung

Projektleitung

Prof. Dr. Sabine Pfeiffer
University of Labour Prof. für Sozialwiss., Arbeit und Digitalisierung

Bearbeitung

Judith Neumer
University of Labour Prof. für Sozialwiss., Arbeit und Digitalisierung

Tobias Ritter
ISF München

Dr. Sarah Nies
Georg-August-Universität Göttingen Institut für Soziologie

Kontakt

Dr. Michaela Kuhnhenne
Hans-Böckler-Stiftung
Forschungsförderung

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