Forschungsprojekt: "Digitale Bohème" und Mitbestimmung

Informelles Digitalisierungswissen im Großunternehmen als zukünftige Gestaltungsressource für Betriebsräte

Projektziel

Kaum erforscht war bisher, wie die Digitalisierung von Arbeit das Verhältnis betrieblicher Formalität und Informalität beeinflusst. Untersucht wurde, wie neues informelles Wissen, daran angekoppelte Praxisformen und Machtressourcen einer betrieblichen digitalen Bohème sukzessive die traditionellen betrieblichen Strukturen überlagern sowie die sich an diese anlehnende institutionelle Mitbestimmung.

Veröffentlichungen

Simon, Hendrik, Heiner Heiland, Ulrich Brinkmann und Tanja Paulitz, 2022. Digitalisierung von unten?. Multiple Digitalisierungspfade in Großunternehmen, In: Corinna Onnen, Rita Stein-Redent, Birgit Blättel-Mink, Torsten Noack, Michael Opielka, Katrin Späte (Hrsg.), Organisationen in Zeiten der Digitalisierung. Organisationen in Zeiten der Digitalisierung, Wiesbaden: Springer Verlag, S. 83-100.

Simon, H, Heiner Heiland, U Brinkmann und Tanja Paulitz, 2021. Digitalisierung von unten? Multiple Digitalisierungspfade in Großunternehmen, In: Blättel-Mink, Birgit (Hrsg.), Organisation in Zeiten der Digitalisierung, Wiesbaden: Springer Verlag, S. 83-100.

Heiland, Heiner, 2021. Fragmentierte Plattformarbeit. Hürden und Möglichkeiten der Interessenvertretung in Plattformökonomien. In: Jahrbuch Gute Arbeit 2021. Demokratie in der Arbeit – eine vergessene Dimension der Arbeitspolitik?, Düsseldorf, 265-27 Seiten.

Simon, H, Carmen Ludwig und Alexander Wagner (Hrsg.), 2021. Entgrenzte Arbeit – (un-)begrenzte Solidarität?. Bedingungen und Strategien gewerkschaftlichen Handelns im flexiblen Kapitalismus, Münster: Westfälisches Dampfboot, 258 Seiten.

Behruzi, Daniel, Ulrich Brinkmann und Tanja Paulitz, 2021. Corona-Krise – Stresstest für die Mitbestimmung, WSI Mitteilungen, 74(4), S. 296-305.

Brendel, Sarah, Hendrik Simon, Ulrich Brinkmann und Tanja Paulitz, 2020. Digitalisierungswissen im Großunternehmen. Machtressource einer betrieblichen digitalen Bohème, Working Paper Forschungsförderung 181, Düsseldorf: Hans-Böckler-Stiftung, 31 Seiten.

Prietl, B und Tanja Paulitz, 2020. Gender in Design. Plädoyer für eine feministisch-partizipative und interdisziplinäre Gestaltungspraxis, In: Bieling, Tom (Hrsg.), Gender (&) Design: Positionen zur Vergeschlechtlichung in Gestaltungskulturen, Sesto San Giovanni, S. 131-146.

Heiland, Heiner und S Schaupp, 2020. Digitale Atomisierung oder neue Arbeitskämpfe Widerständige Solidaritätskulturen in der plattformvermittelten Kurierarbeit, In: Heiland, H (Hrsg.), Momentum quarterly 9(2), Düsseldorf, S. 50-67.

Heiland, Heiner und U Brinkmann, 2020. Liefern am Limit, Wie die Plattformökonomie die Arbeitsbeziehungen verändert. Industrielle Beziehungen Zeitschrift für Arbeit. Organisation und Management, Düsseldorf, 120-40 Seiten.

Heiland, Heiner, 2019. Reversed Solutionism. Technological and Organisational Control of Crowdwork, In: Heiland, H. (Hrsg.), PACO 12(3), Düsseldorf, S. 298-304.

Ludwig, Carmen, Hendrik Simon und Alexander Wagner (Hrsg.), 2019. Entgrenzte Arbeit, (un-)begrenzte Solidarität?. Bedingungen und Strategien gewerkschaftlichen Handelns im flexiblen Kapitalismus, Münster: Westfälisches Dampfboot, 257 Seiten.

Paulitz, Tanja und B Prietl, 2019. Feministische Innovationstheorien, In: Blättel-Mink, Birgit; Schulz-Schaeffer, Ingo; Windeler, Arnold (Hrsg.), Handbuch Innovationsforschung, Wiesbaden: Springer VS, S. 279-294.

Prietl, B, 2019. Big Data: Inequality by Design?, In: Weizenbaum Institute for the Networked Society (Hrsg.), Proceedings of the Weizenbaum Conference 2019 on Challenges of Digital Inequality, Berlin, S. 1-1000.

Prietl, B, 2019. Algorithmische Entscheidungssysteme revisited: Wie Maschinen gesellschaftliche Herrschaftsverhältnisse reproduzieren können, In: Anna-Lena Berscheid, Birgit Riegraf, Ilona Horwath (Hrsg.), , Düsseldorf, S. 303-319.

Brinkmann, U, 2018. Agil in den Abgrund? Kontrolle und Koordination von Arbeit in Zeiten von Agilität und Digitalisierung, Konfliktdynamik, 7(3), S. 205-215.

Houben, Daniel und Bianca Prietl (Hrsg.), 2018. Datengesellschaft. Einsichten in die Datafizierung des Sozialen, Bielefeld: transcript, 390 Seiten.

Heiland, Heiner, 2018. Algorithmus=Logik + Kontrolle. Algorithmisches Management und die Kontrolle der einfachen Arbeit, In: Houben, D. Prietl, B. (Hrsg.), Datengesellschaft. Einsichten in die Datafizierung des Sozialen. Datengesellschaft. Einsichten in die Datafizierung des Sozialen, Bielefeld, S. 233-252.

Projektbeschreibung

Kontext

Durch digitale Technologien gestützte Arbeit findet sich mittlerweile in praktisch allen Sektoren und Branchen, sodass sie keineswegs nur ein Randphänomen für eine kleine Avantgarde von freiberuflich oder in so genannten Start-Ups Tätigen ist. Ein Großteil des – wenngleich oftmals inkrementellen – digitalen Wandels und die Majorität der Betroffenen lässt sich vielmehr in Großunternehmen mit einer traditionell gewachsenen Mitbestimmungsstruktur finden. In den Großunternehmen manifestieren sich Inkompatibilitäten zwischen althergebrachten Normensystemen und digitalen Neuerungen sowie eine Sprachlosigkeit zwischen den jeweiligen Akteursgruppen. Wächst im Zuge von Digitalisierung der Abstand der Gruppe der technikaffinen, tendenziell individualistisch orientierten, jungen, weißen, hoch qualifizierten Männer, die wir in einem ersten Zugriff als Kerngruppe einer betrieblichen digitalen Bohème betrachten wollen, so läuft die Mitbestimmung Gefahr, als „outdated“ und technikavers zu gelten.

Fragestellung

Ausgehend von der Annahme, dass sich manche Gruppen von Beschäftigten funktions- oder interessenbedingt frühzeitiger als andere Digitalisierungstechnologien aneignen, haben wir nach deren informellem Wissen und der darauf aufbauenden Praxis gefragt. Diese betriebliche digitale Bohème – so vermuteten wir – verfügt zum einen über informelle Lösungsstrategien zum anderen auch über wichtige Problemwahrnehmungen hinsichtlich heutiger und zukünftiger Herausforderungen. Unser Ziel ist es, diese Wissens- und Praxisbestände innerhalb der neuen soziotechnischen Ungewissheitszone zu rekonstruieren und auf ihre Anschlussfähigkeit für die etablierte Mitbestimmungsarbeit und die darin aufgebauten Kenntnisse über organisationale Problemlagen zu befragen.

Untersuchungsmethoden

Das Design der sozialwissenschaftlichen empirischen Forschung umfasst eine explorative Phase mit einem Mix aus quantitativen (Sekundärauswertung des DGB-Index Gute Arbeit 2016) und qualitativen (Expert:innen-Interviews) Methoden, eine ethnografische Phase der Beforschung der betrieblichen digitalen Bohème in 4 Fallstudien und eine Transferphase.

Darstellung der Ergebnisse

Die Digitalisierung schafft neue Ungewissheitszonen in Großunternehmen: In dem Maße, in dem die bisherige innerbetriebliche Arbeitsorganisation durch den Einsatz digitaler Techniken aufgebrochen wird, muss sie neu verhandelt werden. Das geschieht vornehmlich in der informellen Umwertung von materiellen und symbolischen Ressourcen. Im Rahmen dieses betrieblichen Subjektivierungsprozesses konnte bestätigt werden, dass insbesondere digital versierte Beschäftigte (Digitale Bohème) von den neuen Ungewissheitszonen profitieren. Zugleich wurde herausgearbeitet, wie die informelle Neuaushandlung innerbetrieblicher Rollen im Digitalisierungsprozess die Mitbestimmung vor grundlegende Herausforderungen stellt: Denn Betriebsräte und Gewerkschaften spielen in der mikropolitischen Arena digitaler Implementierungsprozesse meist nur eine marginale Rolle. Gleichwohl ließen sich vereinzelt durchaus progressive Ansätze betrieblicher Mitbestimmung in der mikropolitischen Arena der Digitalisierung identifizieren. Sie zielen auf eine direktere Einbindung der Digitalen Bohème etwa in die Betriebsratsarbeit - und damit auf eine Kontrolle der digitalen Ungewissheitszonen im Sinne der Mitbestimmung - ab.

Projektleitung und -bearbeitung

Projektleitung

Prof. Dr. Tanja Paulitz
Technische Universität Darmstadt Institut für Soziologie

Prof. Dr. Ulrich Brinkmann
Technische Universität Darmstadt Institut für Soziologie

Bearbeitung

Sarah Brendel
Technische Universität Darmstadt Institut für Soziologie
Raum S4/22-311

Daniel Behruzi
Technische Universität Darmstadt Institut für Soziologie
Organisationssoziologie

Heiner Heiland
Technische Universität Darmstadt Institut für Soziologie

Dr. Hendrik Simon
Leibniz-Institut Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung

Kontakt

Dr. Stefan Lücking
Hans-Böckler-Stiftung
Forschungsförderung

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