Projektbeschreibung
Kontext
Starke Arbeitgeberverbände waren lange Zeit ein Garant für ein stabiles Tarifvertragssystem. Dieses Bild veränderte sich spätestens seit Anfang der 1990er Jahre. Damals setzte auch bei den Arbeitgeberverbänden eine Mitgliederkrise ein. Zahlreiche Verbände verabschiedeten sich zumindest partiell aus der Tarifpolitik und eröffneten ihren Mitgliedern die Möglichkeit zu Mitgliedschaftsformen ohne Tarifbindung ("OT-Mitgliedschaft"). Die Durchsetzungsmacht der Gewerkschaften genügt häufig nicht (mehr), tarifunwillige Arbeitgeber in Anschluss- oder Haustarifverträge zu zwingen.
Als Folge dieser abnehmenden Bindungsfähigkeit der Arbeitgeberverbände und der Bindungsunwilligkeit der Arbeitgeber sind immer weniger Arbeitsverhältnisse von einem Tarifvertrag erfasst und das System der Verbandstarifverträge als prägendes Wesensmerkmal der deutschen politischen Ökonomie gerät immer mehr unter Druck.
Fragestellung
Die Grundthese des Forschungsvorhabens besteht darin, dass der rechtliche Rahmen des deutschen Tarifvertragssystems, bestehend u.a. aus Art. 9 Abs. 3 GG, dem Tarifvertragsgesetz (TVG), der Rechtsprechung des BAG sowie internationalen und unionsrechtlichen Normen, Rückwirkungen auf die Bindungswilligkeit bzw. Bindungsfähigkeit der Arbeitgeber und ihrer Verbände hat. Grundlage der These ist der Befund, dass Arbeitgeberverbände äußeren Druck sowohl für ihre Formation wie auch für ihre Bindungswilligkeit und -fähigkeit benötigen.
Es stellt sich daher zentral die Frage, welche rechtlichen Normen konkret die Bindungswilligkeit bzw. Bindungsfähigkeit der Arbeitgeber und ihrer Verbände fördern. Auf Basis der Antwort auf diese Frage werden konkrete und praktisch verwertbare Lösungsstrategien erarbeitet, die das Potential für eine Stabilisierung des Tarifvertragssystems beinhalten.
Untersuchungsmethoden
Den Ausgangspunkt des Projektes bildet eine detaillierte Identifikation der Normen, die Einfluss auf die Bindungsfähigkeit und -willigkeit der Arbeitgeber haben. Darauf aufbauend wurden auf Basis eines sowohl fächerübergreifenden wie auch rechtsvergleichenden Ansatzes Regelungsoptionen entwickelt und evaluiert sowie auf ihre Umsetzbarkeit hin überprüft.
Als empirische Grundlage hierfür dienen Ergebnisse der wirtschafts-, sozial- und politikwissenschaftlichen Forschung, wobei eine enge Kooperation mit anderen Projekten erfolgt ist. Zudem wurden im Rahmen eines funktionalen Rechtsvergleichs ausländische Regelungsalternativen auf ihr Potential für die deutsche Rechtsordnung hin überprüft. Um eine möglichst praxisnahe Lösungsentwicklung zu ermöglichen, hat darüber hinaus eine Abstimmung mit Tarifpraktikern, Tarifjuristen in den Verbänden wie auch mit Richtern stattgefunden, insbesondere im Rahmen von Workshops.
Darstellung der Ergebnisse
Es hat sich gezeigt, dass Bindungswille und -fähigkeit der Arbeitgeberseite tatsächlich wesentlich für das Funktionieren der Tarifautonomie sind und die Rechtsordnung das Organisationsverhalten durch positive wie negative Anreize beeinflussen kann. Rechtspolitisch bietet sich daher eine Reihe an Stellschrauben, wobei weniger radikale Veränderungen als vielmehr systemimmanente Korrekturen geboten scheinen. Hierzu gehören u.a.:
- Verbesserung der Transparenz bei Verbandsaustritt und Wechsel in eine OT-Mitgliedschaft,
- Anreiz zur Tariftreue durch ein Mitbestimmungsrecht bei der Fremdvergabe,
- Möglichkeit zur Allgemeinverbindlicherklärung von Tarifverträgen über den räumlichen und fachlichen Geltungsbereich hinaus,
- Öffnung des § 12a TVG für weitere Personengruppen,
- Einschränkungen bei tarifdispositivem Recht.
Abseits der Rechtspolitik vermag auch die Rechtsprechung zum Tarifrecht nicht überall zu überzeugen, hat aber das Potential negativ auf das Organisationsverhalten zu wirken. Exemplarisch betrifft dies:
- Fehlende Möglichkeit zur tarifvertraglichen Regelung des Mitgliedschaftsstatus eines Arbeitgebers,
- Unzulässigkeit sogenannter Spannenklauseln (Differenzierungsklauseln).