Projektbeschreibung
Kontext
Mit den Wahlerfolgen der Republikaner Ende der 1990er Jahre setzte eine intensive Beschäftigung mit dem neuen Rechtsextremismus in Gewerkschaften und Sozialwissenschaften ein. Es wurden zwar einige Thesen über die Ursachen des Erfolgs von rechtsextremen Parteien in der Arbeitnehmerschaft formuliert. Auf die Frage, warum Gewerkschaftsmitglieder mittlerweile genau so anfällig für Rechtsextremismus geworden sind wie die Bevölkerung insgesamt, hatten weder Gewerkschaften noch Sozialforschung eine Antwort. Eher wurde diese Entwicklung als zwangsläufige Begleiterscheinung der These hingenommen, dass die Kerngruppen der alten Industriegesellschaft besonders stark durch die sozio-ökonomischen Veränderungen, durch die Globalisierung der Märkte und die Internationalisierung von Politik bedroht sind. Denn die Gewerkschaften gelten schließlich weithin als Interessenvertretung dieser Kerngruppen. Und daher interessierten vor allem die Motive dieser Gruppen für die Wahl rechtsextremer Parteien.
Fragestellung
Aus der Forschung zum Rechtsextremismus in Deutschland geht hervor, dass Gewerkschaften ein besonderes Objekt der Rechtsextremismusforschung darstellen, d.h., dass sich Gewerkschaftsmitglieder hinsichtlich ihrer politischen Einstellungen und Wertorientierungen teilweise erheblich von denen der Nicht-Mitglieder unterscheiden. Folgt man dieser These, dann stellen sich für die Analyse drei grundlegende Fragen:
- Existiert tatsächlich ein spezielles gewerkschaftliches Bewusstsein ("belief system") und worin bestehen seine besonderen Merkmale und gegebenenfalls seine besonderen sozialstrukturellen Existenzbedingungen?
- Inwieweit wehrt dieses gewerkschaftliche "belief system" Rechtsextremismus ab, inwieweit leistet es ihm Vorschub und wie sind Immunität bzw. Anfälligkeit sozioökonomisch vermittelt?
- Bewirkt dieses gewerkschaftliche "belief system" ein spezielles rechtsextremes Einstellungsmuster und welche Merkmale weist es im Unterschied zu Nicht-Mitgliedern auf?
Untersuchungsmethoden
Die Ergebnisse beruhen auf vier disproportional geschichteten Stichproben (je rund 1000 Gewerkschaftsmitglieder in Westdeutschland und Ostdeutschland sowie je rund 1000 Nicht-Mitglieder in beiden Landesteilen). Befragt wurden insgesamt 4008 Personen. Ergänzend wurde im Frühjahr 2004 eine qualitative Studie in Form von 10 Gruppendiskussionen mit 58 Funktionsträger/innen von DGB-Gewerkschaften durchgeführt.
Darstellung der Ergebnisse
Unsere Untersuchung zeigt, dass gravierende Unterschiede zwischen Organisierten und Unorganisierten bestehen. Gewerkschaftsmitglieder unterscheiden sich von den Nicht-Mitgliedern vor allem darin, dass bei ihnen die Mittelschicht überproportional rechtsextrem orientiert ist. Bei der Mittelschicht handelt es sich zumeist um Facharbeiter und qualifizierte Angestellte, die über ein relativ gutes Einkommen und über eine vergleichsweise gute Bildung verfügen.
Was unsere Ergebnisse und Schlussfolgerungen für die Gewerkschaften bedeuten, lässt sich wie folgt zusammenfassen: Gewerkschaften können dann gegen Rechtsextremismus wirksam sein, wenn sie sich deutlich als Wertegemeinschaft verstehen, Eigenaktivität und eine partizipatorische Orientierung fördern, das Thema "Anfälligkeit für Rechtsextremismus" offensiv in den "mainstream" der gewerkschaftspolitischen Analysen, Bildungs- und Handlungsansätze stellen und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit stärken.