Projektbeschreibung
Kontext
Vertrauensarbeitszeit ist ein Arbeitszeitmodell, das in den späten 90er Jahren im Kontext betrieblicher Strategien zur Arbeitszeitflexibilisierung entstanden ist. Es zeichnet sich im Kern dadurch aus, dass das betriebliche Management auf die Kontrolle der Arbeitszeiten der Beschäftigten verzichtet, was einer radikalen Wende in den bislang dominierenden unternehmerischen Kontrollstrategien entspricht. Trotz der positiven Perspektiven, die mit Vertrauensarbeitszeit theoretisch verbunden werden können - mehr Zeitsouveränität, verbesserte Möglichkeiten zur Selbstorganisation -, überwiegt bei den Interessenvertretungen gegenwärtig eher eine Haltung ablehnender Distanz: Man vermutet hinter der Abschaffung der Zeiterfassung das unternehmerische Interesse an einer weiteren Intensivierung der Arbeit, an einer Verlängerung von Arbeitszeiten im Rahmen indirekter Steuerungskonzepte und an einer Schwächung betrieblicher Mitbestimmung.
Fragestellung
Die Untersuchung setzt an diesen kontroversen Einschätzungen der Risiken und Potenziale von Vertrauensarbeitszeit für die Beschäftigten und ihre Interessenvertretungen an. Unter welchen Bedingungen hat Vertrauensarbeitszeit jeweils negative oder positive Auswirkungen auf die Arbeitszeitpraxis und die Arbeitszufriedenheit der Beschäftigten? Zur Beantwortung dieser Frage werden die Aushandlungs- und Einführungsprozesse von Vertrauensarbeitszeit sowie die aktuelle Praxis der Vertrauensarbeitszeit in ihren Auswirkungen auf die Arbeits- und Lebenssituation der Beschäftigten rekonstruiert. Schließlich wird der tarifliche und betriebliche Regulierungsbedarf sondiert.
Untersuchungsmethoden
Das Untersuchungsdesign umfasst acht intensive Betriebsfallstudien in Unternehmen der "alten" (Metall, Chemie, Textil) wie der "neuen" Ökonomie (IT, Medien). Hintergrundinformationen zur Feldsondierung boten Experteninterviews mit Arbeitszeitberatungsunternehmen und GewerkschaftsvertreterInnen. Neben der Dokumentenanalyse wurde das Datenmaterial für die Betriebsfallstudien aus themenzentrierten Leitfadeninterviews gewonnnen, die mit VertreterInnen des Betriebsrats und des Managements sowie mit Beschäftigten geführt wurden.
Die Leitfadenkonstruktion für die Beschäftigteninterviews zielte darauf, sowohl die betrieblichen Rahmenbedingungen für die Umsetzung autonomen Zeithandelns (Leistungs-, Kooperations- und Hierarchiebedingungen) zu erfassen, als auch den Zusammenhang zwischen Anforderungen aus dem privaten Bereich und dem betrieblichen Zeithandeln in den Blick zu nehmen.
Darstellung der Ergebnisse
Die Potenziale von Vertrauensarbeitszeit werden nur dort wirklich ausgelotet und realisiert, wo grundsätzlich die regulative Idee der individuellen Arbeitszeitfreiheit kulturell verankert ist und wo Vertrauensarbeitszeit als Projekt der Ausweitung vielfältigen Arbeitszeithandelns von sozial anerkannten und einflussreichen Promotoren in die Arbeitsprozesse hineingetragen wird.
Vertrauensarbeitszeit funktioniert als Positivmodell nur auf der Grundlage eines von Unternehmen wie Beschäftigten gemeinsam getragenen "nachhaltigen" Leistungskompromisses, so dass das neue Arbeitszeitmodell von den MitarbeiterInnen nicht schlicht als Arbeitsintensivierung wahrgenommen wird.
Vertrauensarbeitszeit ist nicht mit vollständiger Deregulierung betrieblicher Zeitgestaltung gleichzusetzen. Eine Regulierung von Vertrauensarbeitszeit ist wesentliche Voraussetzung von Zeitautonomie. Sie erfordert von Betriebsräten eine immer eine Verknüpfung "alter" und "neuer" Rollen und somit doppeltes Engagement.