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PressemitteilungenWarnung vor weiteren Leitzinserhöhungen: Neue IMK-Prognose: Deutsche Wirtschaft stagniert in diesem Jahr, 2024 Wachstum um 1,2 Prozent
30.03.2023
Die deutsche Wirtschaft ist 2023 schwach gestartet und dürfte auch im weiteren Jahresverlauf wenig Dynamik entfalten. Immerhin bleibt der Bundesrepublik eine tiefere Rezession erspart, was unter anderem der Anti-Krisenpolitik der Regierung und der Entspannung auf den Energiemärkten zu verdanken ist. Unter dem Strich dürfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) in diesem Jahr stagnieren (0,0 Prozent Veränderung im Jahresdurchschnitt) und im kommenden Jahr um durchschnittlich 1,2 Prozent zulegen. Das ergibt die neue Konjunkturprognose des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Die Lage am Arbeitsmarkt bleibt trotz einer leichten Rezession im Winterhalbjahr 2022/2023, von der das IMK ausgeht, und der eher schwachen wirtschaftlichen Entwicklung bis Ende 2024 stabil: Sowohl 2023 als auch 2024 nimmt die Zahl der Erwerbstätigen etwas zu. Die Arbeitslosenquote steigt im Durchschnitt dieses Jahres geringfügig auf 5,4 Prozent, 2024 geht sie wieder auf 5,3 Prozent zurück. Die Inflationsrate wird im Jahresdurchschnitt 2023 hohe 5,3 Prozent betragen, im Jahresverlauf verringert sich der Preisauftrieb aber. 2024 dürfte die Teuerungsrate mit 2,4 Prozent wieder deutlich näher am Inflationsziel der Europäischen Zentralbank (EZB) liegen.
Gegenüber seiner vorherigen Prognose hebt das IMK seine Erwartung für 2023 leicht an: Im Dezember hatten die Forschenden noch einen BIP-Rückgang um 0,3 Prozent veranschlagt. Für 2024 geben sie zum ersten Mal eine Wachstumserwartung ab.
Zwar sei die Unsicherheit angesichts des Krieges in der Ukraine, der zunehmenden Spannungen zwischen den USA und China sowie der Finanzmarktturbulenzen nach dem Zusammenbruch der Silicon Valley Bank und der Krise der Credit Suisse sehr groß, skizzieren die Fachleute des IMK das aktuelle Konjunkturbild. Gleichzeitig hätten sich die Aussichten aber seit Ende letzten Jahres deutlich aufgehellt. Eine sich, wenn auch verhalten, erholende Weltwirtschaft, die hohen Auftragsbestände in der Industrie – hier sticht unter anderem die Rüstungsbranche hervor – sowie der langsam anlaufende Umbau zu einer CO2-neutralen Wirtschaft stützten die deutsche Wirtschaft.
Im Rahmen der Prognose haben die Forschenden auch die aktuellen Entwicklungen im Bankensektor analysiert. Sie kommen zu dem Ergebnis, dass aktuell wenig dafür spricht, dass sich daraus größere wirtschaftliche Verwerfungen ergeben werden. Die Notenbanken seien in der Lage, die Probleme unter Kontrolle zu halten, wenn sie ihre Geldpolitik entsprechend umsichtig gestalten, so die Analyse (mehr im Abschnitt „Weitere Zinserhöhungen aktuell unnötig…“).
Die Rezession im Winterhalbjahr 2022/2023 sei trotz massiver Preisschocks bei Energie und Nahrungsmitteln vergleichsweise mild ausgefallen, weil die Bundesregierung mit der Energiepreisbremse und anderen Maßnahmen sowohl Bürgerinnen und Bürger als auch Unternehmen entlastet hat. Zudem hätten der milde Winter, gut gefüllte Gasspeicher und die Lieferung großer Mengen von Flüssiggas dazu beigetragen, dass die Energiepreise seit Jahresbeginn deutlich gesunken sind. Damit seien auch die Produktions- und Transportkosten gefallen. Auch die Lieferengpässe bei wichtigen Vorprodukten hätten an Bedeutung verloren. Die hohen Auftragsbestände würden nun sukzessive abgearbeitet.
Den größten Beitrag zum Wirtschaftswachstum leisten in diesem Jahr die Exporte. Sie dürften im Jahresdurchschnitt um 3,8 Prozent steigen. Für das kommende Jahr rechnet das IMK mit einem Exportwachstum von 2,0 Prozent. Die Ausrüstungsinvestitionen nehmen moderat zu. Der private Konsum, der im vergangenen Jahr trotz der starken Teuerung zunächst kräftig zugelegt hatte, dürfte dagegen 2023 um 1,0 Prozent zurückgehen – inflationsbedingte Kaufkraftverluste machen vielen Haushalten zu schaffen. Für das kommende Jahr rechnen die Ökonominnen und Ökonomen dann mit einer gewissen Entspannung und einem Anstieg des privaten Konsums um 1,4 Prozent. Deutliche Einbußen in beiden Jahren verzeichnen die Bauinvestitionen.
Weitere Zinserhöhungen aktuell unnötig und potenziell schädlich
Das IMK empfiehlt eine „Geld- und Fiskalpolitik mit Augenmaß“ als zentralen Beitrag, den EZB und Bundesregierung für eine wirtschaftliche Erholung leisten können. Der Notenbank attestieren sie einen „überfälligen Kurswechsel“, weil sie als Reaktion auf die Finanzmarktturbulenzen in den USA und der Schweiz zunächst keine weiteren Leitzinserhöhungen mehr angekündigt hat. Mit Verweis auf ihre Prognose eines nachlassenden Preisdrucks – den auch die EZB selber erwartet –, sehen die Forschenden aktuell keinerlei Bedarf für weitere geldpolitische Straffungen. Im Gegenteil: „Die Wirtschaft weiter zu dämpfen, um das Inflationsziel ein halbes Jahr früher zu erreichen, wäre angesichts der Risiken für die Konjunktur, die Finanzmarktstabilität und die klimapolitisch erforderlichen Investitionen nicht zu rechtfertigen“, warnen sie. Die Bundesregierung könne und solle in dieser Situation, in der die Preisschocks abklingen, die sozial-ökologische Transformation, Klimaschutz und die Vermeidung sozialer Härten in den Vordergrund ihrer Fiskalpolitik stellen.
Kerndaten der Prognose für 2023 und 2024
Arbeitsmarkt
Die geringe konjunkturelle Dynamik bremst die Entwicklung der Erwerbstätigkeit, die gleichwohl positiv bleibt. Die Zahl der Erwerbstätigen legt 2023 jahresdurchschnittlich um 0,7 Prozent und 2024 um 0,6 Prozent zu. Bei den Arbeitslosenzahlen prognostiziert das IMK im Jahresdurchschnitt 2023 einen Anstieg um knapp 100.000 Personen, so dass im Jahresmittel knapp 2,52 Millionen Menschen arbeitslos sein werden. Das entspricht einer Quote von 5,4 Prozent, ein Anstieg um 0,1 Prozentpunkte gegenüber 2022. Für 2024 veranschlagen die Forschenden dann wieder einen geringfügigen Rückgang der Arbeitslosigkeit auf rund 2,49 Millionen Arbeitslose. Das entspricht einer Quote von 5,3 Prozent.
Weltwirtschaft und Außenhandel
Die Weltwirtschaft wächst verhalten, aber mit insgesamt leicht positiver Tendenz. Von wichtigen Handelspartnern kommen zwar eher schwache Impulse, die deutsche Exportwirtschaft legt aber vergleichsweise stark zu, weil sie erstens ihren hohen Auftragsbestand abarbeiten kann und zweitens Rückenwind von den Exportpreisen bekommt: Diese geben bei rückläufigen Kosten für Energie merklich nach. 2023 legen die Ausfuhren um 3,8 Prozent im Jahresmittel zu, 2024 um 2,0 Prozent. Die Importe wachsen 2023 jahresdurchschnittlich um 2,5 Prozent und um 2,2 Prozent 2024 Dabei spielt unter anderem eine erhebliche Rolle, dass Urlaubsreisende aus Deutschland wieder mehr für Auslandsreisen ausgeben. Der Überschuss in der deutschen Leistungsbilanz steigt nach der IMK-Prognose wieder deutlich an und wird in beiden Jahren bei etwa sechs Prozent liegen.
Investitionen
Die Ausrüstungsinvestitionen entwickeln sich laut IMK-Prognose recht robust: 2023 steigen sie um 1,4 Prozent im Jahresmittel, 2024 um 2,6 Prozent. Dabei schlagen sowohl Ausgaben von Unternehmen für den klimafreundlichen Umbau ihrer Produktion zu Buche als auch die steigenden staatlichen Ausgaben für Verteidigung. Die lange Zeit kräftigen Bauinvestitionen brechen hingegen wegen erhöhter Kosten und Zinsen weiter ein. Nach einem drastischen Rückgang um 5,7 Prozent im Jahresdurchschnitt 2023 fallen sie 2024 um jahresdurchschnittlich 2,0 Prozent zurück.
Privater Konsum
Die starke Teuerung drückt in diesem Jahr deutlich auf die realen Einkommen. Für 2024 erwartet das IMK dann wieder eine Erholung, weil bei sinkender Inflation Löhne und Beschäftigung zunehmen. Die privaten Konsumausgaben sinken dementsprechend im Jahresmittel 2023 real deutlich um 1,0 Prozent. Der Rückgang wird etwas dadurch gemildert, dass auch die Sparquote spürbar reduziert wird. 2024 wachsen die realen privaten Konsumausgaben bei weiter sinkender Sparquote wieder um 1,4 Prozent.
Inflation und öffentliche Finanzen
Nach 6,9 Prozent Inflation im Vorjahr prognostiziert das IMK für 2023 eine Teuerungsrate, die mit 5,3 Prozent rückläufig ist, aber erneut weit über dem Inflationsziel der EZB liegt. 2024 beruhigt sich das Inflationsgeschehen dann stärker, im Jahresdurchschnitt beträgt die Teuerungsrate 2,4 Prozent.
Die Steuereinnahmen entwickeln sich 2023 etwas schwächer, nicht zuletzt als Folge verschiedener steuerlicher Entlastungen. Zugleich setzt der Staat zur Krisenbekämpfung viel Geld ein, unter anderem für die Strom- und Gaspreisbremse, für höhere Verteidigungsausgaben sowie zur Flüchtlingsaufnahme. Zudem steigen Transferzahlungen wie das Kinder- und das Wohngeld. Das trägt zur Stabilisierung der Konjunktur bei, führt aber auch dazu, dass das öffentliche Budget 2023 ein Defizit von 2,9 Prozent aufweisen wird. Für das kommende Jahr geht das IMK davon aus, dass „die öffentlichen Finanzen durch den Ausstieg aus dem Krisenmodus geprägt“ sein werden. Das gilt vor allem für die Ausgaben, beispielsweise, weil bei niedrigeren Strom- und Gaspreisen die staatlich subventionierten Verbilligungen für Privathaushalte und Unternehmen weniger in Anspruch genommen werden. Daher prognostiziert das IMK für 2024 einen Rückgang des Defizits auf 2,0 Prozent.
Weitere Informationen:
Sebastian Dullien, Alexander Herzog-Stein, Peter Hohlfeld, Katja Rietzler, Sabine Stephan, Thomas Theobald, Silke Tober, Sebastian Watzka: Schwache Dynamik nach Energiepreisschocks und Zinserhöhungen. Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung 2023/2024. IMK Report Nr. 180, März 2023.
Kernergebnisse der Prognose im Audio-Statement von IMK-Konjunkturforscher Peter Hohlfeld
Die Pressemitteilung mit Grafik
Kontakt:
Prof. Dr. Sebastian Dullien
Wissenschaftlicher Direktor IMK
Peter Hohlfeld
IMK-Konjunkturexperte
Rainer Jung
Leiter Pressestelle