Quelle: dpa
PressemitteilungenErholung beschleunigt sich, verläuft aber uneinheitlich: IMK prognostiziert BIP-Rückgang um 5,2 Prozent 2020 und Wachstum von 4,9 Prozent 2021
30.09.2020
Die Corona-Pandemie setzt der Konjunktur weltweit weiter zu. Die deutsche Wirtschaft wird noch bis Ende 2021 brauchen, um wieder ihr Vorkrisen-Niveau zu erreichen. Damit verläuft die Erholung hierzulande aber gleichzeitig etwas dynamischer als in anderen großen Euro-Ländern und den USA – und etwas schneller als noch vor kurzem erwartet. Das ergibt die neue Konjunkturprognose des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung. Gegenüber ihrer letzten Vorhersage von Juni setzen die Ökonominnen und Okonomen ihre wirtschaftlichen Erwartungen herauf, auch wenn sie nach einem starken dritten Quartal 2020 mit einer Abschwächung des Aufholprozesses rechnen. Unter dem Strich wird laut der neuen Prognose das deutsche Bruttoinlandsprodukt (BIP) in diesem Jahr um 5,2 Prozent schrumpfen (Juni-Prognose: -6,2 Prozent). Für 2021 rechnet das IMK nun mit einem Wirtschaftswachstum von 4,9 Prozent – 1,1 Prozentpunkte mehr als im Juni erwartet.
Auch die Folgen auf dem Arbeitsmarkt fallen nach der neuen Prognose etwas weniger gravierend aus als im Sommer angenommen: Die Zahl der Arbeitslosen steigt im Jahresdurchschnitt 2020 um rund 450.000 Personen, 2021 dürfte sie wieder geringfügig sinken. Allerdings erfasst die Erholung längst nicht alle Branchen und Wirtschaftsbereiche gleichermaßen: Die Ausrüstungsinvestitionen bleiben laut IMK national wie international auf absehbare Zeit die Schwachstelle der wirtschaftlichen Entwicklung. Allein in Deutschland werden die Investitionen auch Ende 2021 noch gut zehn Prozent niedriger liegen als zwei Jahre zuvor. Die geringe Nachfrage im In- und Ausland belastet die auf Investitionsgüter spezialisierten Branchen der deutschen Industrie stark. Die Bundesregierung sollte vorbereitet sein, bei Bedarf mit zusätzlichen Investitionen rasch gegenzusteuern, empfehlen die Ökonomen. Finanzieller Spielraum ist nach der Prognose weiterhin vorhanden: Die Schuldenstandsquote des Staates wird 2020 unter 70 Prozent des BIP bleiben und schon 2021 wieder leicht sinken.
Dass die wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen des Corona-bedingten wirtschaftlichen Einbruchs bislang bei allen Härten beherrschbar geblieben sind, rechnen die Wissenschaftler des IMK in ihrer Analyse „zu einem erheblichen Umfang der entschlossenen Krisenpolitik“ der Bundesregierung zu. Die Maßnahmen zur Stützung von Konjunktur, Unternehmen und Einkommen, insbesondere durch das Kurzarbeitergeld, haben sich nach Analyse der Ökonomen bislang bewährt. Auch den Anti-Krisen-Maßnahmen der Europäischen Zentralbank und der EU attestieren die Wissenschaftler eine positive Wirkung. Dabei heben sie besonders den europäischen Recovery Plan mit einem Volumen von 750 Milliarden und einer gemeinsamen Kreditaufnahme der EU-Länder hervor, „da er wichtige und neue fiskalische Elemente für eine Stabilisierung aller Euroländer und den anstehenden Transformationsprozess beinhaltet.“
Allerdings sieht das IMK erhebliche Risiken, die das wahrscheinlichste Szenario einer kontinuierlichen Erholung in Frage stellen können. Dazu zählen neben einer erneuten großflächigen Infektionswelle der Kurs der USA nach den Präsidentschaftswahlen, ein ungeordneter Brexit sowie die Frage, ob die exportabhängigen Bereiche der deutschen Industrie und vor allem die Automobilindustrie aus der Rezession herausfinden, die für sie zum Teil schon vor der Pandemie begonnen hatte.
Für den Fall, dass die weit verbreitete Unsicherheit zu einer hartnäckigen Investitionszurückhaltung führt, sollte die Bundesregierung „bereits zum jetzigen Zeitpunkt weitere Maßnahmen planen, mit denen sie gegebenenfalls zügig nachfragesteigend wirken kann.“ Dabei empfiehlt das IMK einen Schwerpunkt bei Investitionen, die ohnehin dringend notwendig seien: „Zur Begrenzung des Klimawandels sind immense private und öffentliche Investitionen erforderlich. Je schneller diese begonnen werden, desto stabiler wird die Erholung ausfallen und desto wahrscheinlicher ist es, dass die deutsche Industrie auch in Zukunft eine wichtige Rolle bei der Entwicklung und Produktion innovativer Produkte spielt“, schreiben die Wissenschaftler. Zudem regen sie eine an Nachhaltigkeitszielen orientierte öffentliche Vergabe und Beschaffung an sowie eine auf zukunftsfähige Berufe gerichtete Förderung von Aus- und Weiterbildung bei der Anpassung an die Veränderungen in der Arbeitswelt.
Kerndaten der Prognose für 2020 und 2021
Arbeitsmarkt
Der außerordentlich massive wirtschaftliche Einbruch wird durch den Einsatz von Kurzarbeit in diesem und im kommenden Jahr soweit abgefedert, dass die Schäden auf dem Arbeitsmarkt im Verhältnis weitaus geringer ausfallen. Der von der Großen Koalition erleichterte Zugang zur Kurzarbeit und die zeitweilige Übernahme der Sozialversicherungsbeiträge habe die Voraussetzung dafür geschaffen, „dass Kurzarbeit in nie dagewesenem Umfang genutzt und Beschäftigung gesichert wurde“, schreiben die Experten des IMK. Trotzdem trifft die Krise viele Arbeitsplätze. Im Jahresdurchschnitt 2020 wird die Zahl der Erwerbstätigen nach Erwartung des IMK deutlich um gut 380.000 Personen oder 0,8 Prozent sinken. Im kommenden Jahr steigt die Erwerbstätigkeit wieder, allerdings um lediglich knapp 100.000 Personen oder 0,2 Prozent.
Die Zahl der Arbeitslosen steigt 2020 um etwa 450.000 Personen, so dass im Jahresmittel rund 2,71 Millionen Menschen ohne Job sein werden. Das entspricht einer Arbeitslosenquote von 5,9 Prozent. Für 2021 erwartet das IMK dann einen minimalen Rückgang der Zahl der Arbeitslosen um gut 20.000 Personen im Jahresdurchschnitt. Die Quote bleibt konstant bei 5,9 Prozent.
Im Jahresdurchschnitt 2020 rechnet das IMK mit gut 3,35 Millionen Kurzarbeitenden, 2021 mit knapp 680.000 im Jahresmittel.
Außenhandel
Auch die meisten wichtigen Handelspartner durchlaufen 2020 durch die Corona-Pandemie eine tiefe Rezession, an die sich laut IMK-Prognose 2021 eine gewisse Erholung anschließt, die aber, mit Ausnahme von China, die Verluste nicht wettmacht. So sinkt das BIP in der gesamten EU in diesem Jahr um 7,6 Prozent, im kommenden Jahr steigt es um 5,5 Prozent. Die Wirtschaft in den übrigen großen Euro-Ländern Frankreich, Italien und Spanien leidet 2020 noch deutlich stärker als in Deutschland, ihr BIP wird um 8,6 bis 10,9 Prozent einbrechen. Für 2021 prognostiziert das IMK dann für Frankreich ein Wachstum von 6,5 Prozent und für Italien von fünf Prozent, das spanische BIP wird um gut sieben Prozent zunehmen. In den USA schrumpft die Wirtschaft 2020 um 4,2 Prozent, 2021 wächst sie um 3,1 Prozent. Die chinesische Wirtschaft wird nach der IMK-Prognose in diesem Jahr um 2,2 Prozent wachsen, 2021 dann um 8,2 Prozent zulegen.
Die weltwirtschaftliche Krise trifft die deutschen Ausfuhren in diesem Jahr schwer. Das IMK rechnet mit einem Rückgang der Exporte um 11,1 Prozent. Die Importe brechen ebenfalls ein und nehmen um 8,2 Prozent ab. Im kommenden Jahr erholt sich der Außenhandel dann, die Verluste können aber zunächst nicht aufgeholt werden: Die Exporte nehmen im Jahresmittel 2021 um 9,9 Prozent zu, die Importe um 7,9 Prozent.
Investitionen
Die Ausrüstungsinvestitionen der Unternehmen brachen im ersten Halbjahr infolge des Corona-Schocks besonders drastisch ein und sinken 2020 im Jahresdurchschnitt um 18,5 Prozent. 2021 nehmen sie dann lediglich um 6,6 Prozent zu. Die Bauinvestitionen bleiben in der Krise relativ robust, wobei Wohnungsbau und öffentliche Vorhaben zulegen, während der Wirtschaftsbau in diesem Jahr lahmt und erst 2021 wieder etwas an Fahrt aufnimmt. Unter dem Strich nehmen die Bauinvestitionen 2020 um jahresdurchschnittlich 3,7 Prozent und 2021 um 2,2 Prozent zu.
Einkommen und Konsum
Die verfügbaren Einkommen gehen im Jahresdurchschnitt 2020 real um 2,4 Prozent zurück. 2021 nehmen sie real um drei Prozent zu. Die realen privaten Konsumausgaben brechen laut IMK in diesem Jahr sogar um durchschnittlich 5,4 Prozent ein, weil neben den Einkommensrückgängen die zeitweilige Schließung von Gastronomie, Geschäften und Dienstleistungseinrichtungen durchschlägt. Infolge mangelnder Konsummöglichkeiten sparten die privaten Haushalte in erheblichem Maße. Die Sparquote steigt in diesem Jahr im Durchschnitt stark um 2,7 Prozentpunkte auf 13,6 Prozent und sinkt 2021 wieder auf 11,6 Prozent. Für das kommende Jahr prognostiziert das IMK bei den privaten Konsumausgaben dann eine reale Zunahme um fünf Prozent.
Inflation und öffentliche Finanzen
Die Verbraucherpreise steigen im Jahresmittel 2020 um nur geringe 0,5 Prozent, wozu auch die zeitweilige Mehrwertsteuersenkung beiträgt. 2021 liegt die Inflationsrate dann wieder bei 1,3 Prozent im Jahresdurchschnitt, bleibt aber auch damit deutlich hinter der Zielinflation der EZB zurück.
Da der Staat zur Krisenbekämpfung sehr viel Geld einsetzt und 2020 gleichzeitig auch die Steuereinnahmen um gut neun Prozent zurückgehen, ergibt sich nach acht Jahren mit Überschüssen ein gesamtstaatliches Budgetdefizit von 4,9 Prozent des BIP. Im kommenden Jahr wird sich die erwartete konjunkturelle Belebung positiv auf die öffentlichen Haushalte auswirken. Die Steuereinnahmen steigen nach der IMK-Prognose deutlich, obwohl der Solidaritätszuschlag teilweise wegfällt. Die Staatsausgaben stagnieren. Das gesamtstaatliche Defizit beträgt 2021 daher 2,6 des nominalen BIP. Die gesamtstaatliche Schuldenquote wird als Folge der Krise steigen, aber 2020 unter 70 Prozent bleiben und 2021 wieder leicht sinken.
Weitere Informationen:
Sebastian Dullien, Alexander Herzog-Stein, Peter Hohlfeld, Katja Rietzler, Sabine Stephan, Thomas Theobald, Silke Tober, Sebastian Watzka: Rasche, aber unvollständige Erholung nach historischem Einbruch. Prognose der wirtschaftlichen Entwicklung 2020/2021 (pdf). IMK Report Nr. 161, September 2020.
Kernergebnisse der Prognose im Audio-Statement von IMK-Konjunkturforscher Peter Hohlfeld
Mehr zu den wirtschaftlichen Perspektiven erfahren Sie von IMK-Direktor Sebastian Dullien in SYSTEMRELEVANT, unserem Wirtschafts-Podcast zur Corona-Krise
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Kontakt:
Prof. Dr. Sebastian Dullien
Wissenschaftlicher Direktor IMK
Peter Hohlfeld
IMK-Konjunkturexperte
Rainer Jung
Leiter Pressestelle