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Flagen von Kanada und der EU mit dem Schriftzug CETA Pressemitteilungen

Neue Analyse des IMK: CETA-Ratifizierung: Für intensiven Handel mit Kanada unnötig, für staatliche Handlungsfähigkeit und Klimapolitik riskant

12.10.2022

Die Bundesregierung forciert die Ratifizierung des umfassenden Handels- und Wirtschaftsabkommens zwischen Kanada und der EU (CETA). Heute findet dazu eine wichtige Anhörung im Wirtschaftsausschuss des Bundestages statt. Dabei wird CETA seit September 2017 bereits in allen Teilen, die den Handel betreffen, vorläufig angewendet. Ausgenommen ist bislang lediglich der Investitionsschutz. Dieser ist höchst umstritten, weil er es ausländischen Investoren ermöglicht, das Gastland vor einem privaten Schiedsgericht zu verklagen, wenn sie der Meinung sind, dass der Ertrag ihrer Investition durch Gesetze oder Regulierungsmaßnahmen beeinträchtigt wird. In diesem „Privileg“ liegt in der Tat ein großes und wachsendes Risiko, ergibt eine neue Analyse des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler Stiftung. „Denn in Zukunft werden immer mehr Länder immer drastischere Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels ergreifen müssen, und es besteht die Gefahr, dass diese Maßnahmen von internationalen Konzernen angegriffen, verzögert und gegebenenfalls sogar verhindert werden“, schreibt IMK-Außenhandelsexpertin Dr. Sabine Stephan. Die Bundesregierung versuche deshalb, den CETA-Investitionsschutz durch eine Interpretationserklärung zu beschränken. Es blieben aber große Zweifel, dass das eine rechtlich tragfähige Lösung ist, warnt Stephan. Daher sollte CETA nicht ratifiziert werden.

Die Bundesregierung hatte im Sommer dieses Jahres angekündigt, CETA im Herbst zu ratifizieren. Hintergrund der Initiative ist das engere Zusammenrücken des Westens angesichts von enormen geopolitischen Spannungen wie dem russischen Angriff auf die Ukraine und von brüchigen Lieferketten. Um die europäische Wirtschaft widerstandsfähiger gegen externe Schocks zu machen, ist man in der EU bestrebt, Handelsbeziehungen mit befreundeten Staaten zu intensivieren. In der politischen Debatte werde nun der Eindruck erweckt als würde die Ratifizierung von CETA dazu einen wichtigen Beitrag leisten, analysiert die IMK-Expertin. Doch das treffe nicht zu, weil alle den Handel betreffenden Vereinbarungen längst in Kraft sind.

Nachdem der Rat der EU und das Europäische Parlament CETA 2016/2017 zugestimmt hatten, wird das Abkommen in weiten Teilen bereits seit September 2017 vorläufig angewendet. In Kraft sind alle Vertragsbestandteile, die den Handel betreffen, weil für den Bereich der Handelspolitik die Zuständigkeit und damit auch die Kompetenz für den Vertragsschluss bei der EU liegt. Dementsprechend gelten in CETA vereinbarte Handelserleichterungen wie beispielsweise die Senkung von Zöllen oder der verbesserte Marktzugang bereits seit fünf Jahren, so Stephan.

Abbau von Zöllen und verbesserte Marktzugänge sind seit mehr als fünf Jahren in Kraft, und zwar unbefristet

Eine Ratifizierung von CETA durch den Bundestag ist hingegen notwendig, um die Vereinbarungen zum Investitionsschutz in Kraft zu setzen. Dieser sowie einzelne Regelungen zu Finanzdienstleistungen (sogenannte Portfolioinvestitionen) fallen in die Zuständigkeit der EU-Mitgliedstaaten. Daher sind die entsprechenden Bestimmungen von der vorläufigen Anwendung ausgenommen, bis ihnen alle nationalen Parlamente zugestimmt haben. Bislang haben erst 16 der 27 EU-Mitgliedstaaten CETA ratifiziert. Solange dieser Prozess nicht abgeschlossen ist, läuft die vorläufige Anwendung in Handelsfragen unbefristet weiter. In dieser Beziehung besteht also kein Zeitdruck, so das IMK.
 
Zu den EU-Mitgliedern, die bislang keine Ratifizierung vorgenommen haben, zählen neben Deutschland auch Frankreich und Italien. Die in CETA enthaltenen Bestimmungen zum Investitionsschutz sind seit vielen Jahren umstritten. Sie sehen die Schaffung eines sogenannten Investment Court Systems (ICS) vor. Beim ICS handele es sich im Kern um das bekannte Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren (ISDS), an dem lediglich (wenige) prozedurale Verbesserungen vorgenommen wurden, konstatiert die Ökonomin. Die Fortschritte betreffen die Einrichtung einer Berufungsinstanz und eines Pools von 15 Schiedsrichtern, aus dem im Streitfall das dreiköpfige Schiedsgericht zusammengestellt wird.

„Die strukturellen und grundlegenden Probleme des Investitionsschutzes wurden jedoch nicht behoben“, warnt Stephan. Mit dem Investitionsschutz werde ausländischen Investoren – in der Regel internationale Konzerne -- das Privileg eingeräumt, das Gastland vor einem privaten Schiedsgericht auf Zahlung einer Entschädigung zu verklagen, wenn sie der Meinung sind, dass der Ertrag ihrer Investition durch Gesetze oder staatliche Regulierungsmaßnahmen geschmälert wird. Der Investitionsschutz führe „zu einer ungerechtfertigten Bevorzugung ausländischer Investoren, weil er diesen Sonderrechte einräumt, die Inländer nicht haben“. Die wichtigsten:

  • Ausländische Investoren müssen nicht den Rechtsweg im jeweiligen Gastland beschreiten, sondern können ihre Klage in einem parallelen Rechtssystem vor einem privaten Schiedsgericht vorbringen.
  • Sie genießen einen umfangreicheren Schutz, wie den vor indirekter Enteignung, den das deutsche Recht nicht kennt.
  • Das Klagerecht ist einseitig, das heißt, dass ausländische Investoren den Staat vor einem Schiedsgericht verklagen können, nicht aber umgekehrt.

Fachleute beobachten in Sachen ISDS eine stetig wachsende Klagewelle und enorme Entschädigungsforderungen. So wurden nach Zählung der UN-Welthandelskonferenz UNCTAD in den elf Jahren zwischen 2000 und 2010 gut 360 Investor-Staat-Streitbeilegungsverfahren eingeleitet, in den 11 Jahren zwischen 2011 und 2021 gut 780. Dadurch sind Staaten laut IMK einem großen finanziellen Risiko ausgesetzt, wenn sie Regulierungsmaßnahmen durchführen und Gesetze erlassen, etwa zum Schutz von Klima, Umwelt, Gesundheit, Verbrauchern, die von ausländischen Investoren angegriffen werden können. „Mit der Ratifizierung von CETA würde dieses Problem noch weiter verschärft, weil es den Kreis der Anspruchsberechtigten drastisch vergrößert, da nicht nur kanadische beziehungsweise europäische Investoren klageberechtigt wären, sondern zum Beispiel auch US-Konzerne mit Tochtergesellschaften in Kanada und in Europa“, schreibt Außenhandelsexpertin Stephan. Zudem sei absehbar, „dass in den kommenden Jahren die Bekämpfung des Klimawandels zu massiven Konflikten zwischen dem Gemeinwohl und privaten Profitinteressen führen wird. Immer mehr Länder werden immer drastischere Maßnahmen ergreifen müssen, wenn sie überhaupt noch eine Chance haben wollen, ihre Klimaziele auch nur annähernd zu erreichen. Und je mehr Staaten dies tun, desto häufiger werden internationale Konzerne vor ein Schiedsgericht ziehen, um eine Entschädigung für entgangene erwartete Gewinne zu fordern.“
 
Der Bundesregierung sei dieses Problem durchaus bewusst, betont Stephan. Deshalb bemühe sie sich aktuell um eine Interpretationserklärung des Gemeinsamen CETA-Ausschusses, die den Investitionsschutz auf direkte Enteignungen und Diskriminierungen konzentrieren und damit eine missbräuchliche Anwendung verhindern soll. Auf diese Weise solle sichergestellt werden, dass Klagen gegen Klimaschutzmaßnahmen nicht mehr möglich sind. Ob dies mit solch einer Erklärung tatsächlich gelingt, müsse aber bezweifelt werden. Mehrere Juristische Gutachten kommen zu der Einschätzung, dass eine Interpretationserklärung zur wirksamen Beschränkung des Investitionsschutzes unzureichend ist und es dazu vielmehr einer Vertragsänderung bedarf.  

Fazit der Forscherin: „In einer Zeit, in der die Bekämpfung des Klimawandels oberste Priorität haben muss und uns die aktuellen Krisen täglich vor Augen führen, wie wichtig ein handlungsfähiger Staat ist, ist die Ratifizierung eines Abkommens, das beides massiv behindern kann, brandgefährlich. Der sicherste Weg, diese Gefahr abzuwenden, besteht darin, CETA nicht zu ratifizieren.“

Weitere Informationen:

Sabine Stephan: Ratifizierung von CETA ist unnötig und brandgefährlich, IMK Kommentar Nr. 8, Oktober 2022.

Kontakt:

Dr. Sabine Stephan
IMK-Außenhandelsexpertin

Rainer Jung
Leiter Pressestelle

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