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Neue Studie: Abstiegsängste bis weit in die Mittel- und Oberschicht verbreitet – Forscherin: Deutlich machen, dass Wandel der Arbeitswelt gestaltbar ist

23.02.2018

 Abstiegsängste sind in Deutschland bis weit hinein in die Mitte der Gesellschaft verbreitet. Menschen mit geringem Einkommen und Arbeitsplatzsorgen sind am stärksten belastet. Doch auch etliche Beschäftigte, die ihren Job für sicher halten, sorgen sich um ihren Lebensstandard oder die Alterssicherung und erleben zunehmenden Druck und Kontrolle bei der Arbeit. Zu diesen Ergebnissen kommt eine neue, von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie.

Nach dem starken Abschneiden der AfD bei der Bundestagswahl im vergangenen Jahr stellt sich die Frage: Wie lässt sich erklären, dass diese Partei so viele Stimmen gewinnen konnte? Eine Analyse der Soziologin Prof. Dr. Bettina Kohlrausch kommt zu dem Ergebnis: Die AfD profitiert von Verunsicherung in der Bevölkerung. Vor allem weit verbreitete Abstiegsängste spielen dabei eine wichtige Rolle. Sie reichen weit in die Mittelschicht bis hin zu Besserverdienern. Bei vielen Menschen kommt ein Gefühl des „Ausgeliefertseins“ hinzu, vor allem am Arbeitsplatz. Für ihre Untersuchung hat die Wissenschaftlerin der Universität Paderborn eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Umfrage ausgewertet, durchgeführt Anfang 2017 vom Meinungsforschungsinstitut Policy Matters. Dabei wurden knapp 5000 Personen ab 18 Jahren zu ihren politischen Einstellungen, Werten sowie Sichtweisen auf die Arbeitswelt befragt.

Viele Menschen in Deutschland fürchteten um ihren sozialen Status, konstatiert die Forscherin mit Blick auf die Ergebnisse der Umfrage. Knapp die Hälfte der Befragten stimmt beispielsweise der Aussage zu: „Ich befürchte, meinen Lebensstandard nicht dauerhaft halten zu können“. Ebenso groß ist der Anteil derer, die sich Sorgen um ihre finanzielle Situation im Alter machen. Nur etwa ein Viertel der Befragten macht sich jedoch Sorgen um den Arbeitsplatz. Das bedeutet, dass viele der Befragten um ihren sozialen Status fürchten, obwohl sie dauerhaft in den Arbeitsmarkt integriert sind.

Abstiegsängste sind der Analyse zufolge am stärksten ausgeprägt bei Menschen, die über ein geringes Einkommen verfügen und sich am unteren Rand der Gesellschaft verorten. Von ihnen sorgen sich 90 Prozent um ihre finanzielle Situation. Diese Ängste nehmen mit höherem sozialen Status zunächst ab, wobei sie auch noch bei Personen, die sich der unteren Mittelschicht zuordnen, weit verbreitet sind und dort immerhin gut die Hälfte der Befragten betreffen. Auffällig ist, dass finanzielle Sorgen am oberen Ende wieder stärker ausgeprägt sind. Fast die Hälfte derer, die sich „ganz oben“ in der Gesellschaft verorten, sind betroffen. Ein ähnliches Bild zeigt sich bei einer anderen Frage: Die Sorge, den eigenen Lebensstandard nicht langfristig halten zu können, treibt mehr als 80 Prozent der Geringverdiener um, aber auch knapp 40 Prozent der Top-Verdiener. Abstiegsängste sind demnach nicht nur unter jenen verbreitet, die wenig haben, sondern auch unter jenen, die viel zu verlieren haben.

Die Verunsicherung in den unteren sozialen Schichten lasse sich mit der schwierigen materiellen Situation erklären, in der die Menschen stecken. In der Mittelschicht und insbesondere bei den Besserverdienern hat die Forscherin aber noch andere Ursachen beobachtet: Häufig entstehe Unsicherheit aufgrund bestimmter Erfahrungen am Arbeitsplatz, zum Beispiel bei Menschen, die ständigem Druck und zunehmender Arbeitsverdichtung ausgesetzt sind. Die Auswirkungen der Digitalisierung beschäftigten viele Arbeitnehmer insbesondere in den mittleren Gehaltsgruppen. Gleichzeitig seien Abstiegsängste unter Personen, die der Aussage „Durch die Digitalisierung wird die Kontrolle und Überwachung an meinem Arbeitsplatz immer größer“ zustimmen, besonders ausgeprägt.

„Abstiegsängste speisen sich auch aus dem Gefühl, den gesellschaftlichen Veränderungen, die Digitalisierung oder Globalisierung mit sich bringen, ausgeliefert zu sein. Sie sind nicht zuletzt Ausdruck des Gefühls, die Kontrolle über die Gestaltung des eigenen Lebens verloren zu haben“, schreibt die Soziologin. Diese Angst ziehe sich durch alle Gehaltsgruppen – und sei damit ein Stück weit von der finanziellen Situation entkoppelt. Dennoch habe sie einen realen Bezug, schließlich beruhe sie auf konkreten Erfahrungen am Arbeitsplatz. Dieses Ergebnis deckt sich mit einer früheren Untersuchung, in der Kohlrausch und die Experten von Policy Matters nachgewiesen hatten, dass Unzufriedenheit mit der eigenen Lebenslage Menschen dazu bringt, rechte Parteien zu wählen – und nicht allein „kulturelle Faktoren“ wie etwa die Ablehnung von Zuwanderung.

Die AfD mache sich „das eher diffuse Gefühl einer allgemeinen sozialen Verunsicherung“ zunutze, erklärt Kohlrausch. „Eine Politik, die dem etwas entgegensetzen möchte, sollte daher einerseits Angebote zu einer besseren sozialen Absicherung machen. Andererseits geht es aber auch darum, besser zu vermitteln, dass die zentralen gesellschaftlichen Herausforderungen politisch gestaltbar sind.“

Weitere Informationen:

Bettina Kohlrausch: Abstiegsängste in Deutschland – Ausmaß und Ursachen in Zeiten des erstarkenden Rechtspopulismus (pdf), Working Paper der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung Nr. 58, Februar 2018.

Kontakt

Dr. Dorothea Voss
Leiterin Abteilung Forschungsförderung

Rainer Jung
Leiter Pressestelle

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