Quelle: HBS
Service aktuellSystemrelevant Podcast: Was kostet uns das Energieembargo?
IMK-Direktor Sebastian Dullien erklärt die Grenzen ökonomischer Modelle und damit verbundene Risiken bei der Entscheidung über ein sofortiges Energieembargo gegenüber Russland.
[25.03.2022]
Nach dem Erlass zahlreicher Sanktionen gegenüber russischen Banken, Eliten und Unternehmen wird aktuell auch die Maßnahme eines Stopps von Energieimporten diskutiert. In Deutschland gehen die Meinungen zu den Folgewirkungen eines solchen Embargos sowohl für Putins Krieg als auch für die Bundesrepublik weit auseinander. Welche tatsächlichen Effekte ein Ausbleiben russischer Öl- und Gaslieferungen haben könnte und ob ökonomische Modelle in dieser Fragestellung überhaupt verlässliche Orientierung bieten, erklärt IMK-Direktor Sebastian Dullien in der neuen Folge von Systemrelevant.
Tausende mathematische Formeln fließen mitunter in die Rechenwege ökonomischer Mehr-Länder-Modelle ein. Und doch bleiben diese letztlich nur eine Vereinfachung der Wirklichkeit. Besonders hohe Unsicherheiten ergeben sich, wenn den Modellen kaum Datenpunkte aus der Vergangenheit zur Verfügung stehen, anhand derer bestimmte Zukunftsereignisse analysiert werden könnten. Genau dies ist bei den Berechnungen zu den Folgen eines Embargos gegenüber Russland der Fall, so Sebastian Dullien.
Datensätze für Schocks und große Umbrüche gebe es praktisch keine. Zudem habe sich die Struktur von Lieferketten für Energiebezüge innerhalb der letzten Jahrzehnte massiv verändert. So können auch zwei Ölpreiskrisen der jüngeren Vergangenheit wenig Aufschluss über die Folgewirkungen eines sofortigen Energieembargos unter Kriegsbedingungen geben. In der aktuellen Situation gelte laut Dullien daher: Egal wer das Rechenmodell aufbaut, „die Unsicherheit bleibt riesig“.
Auch deshalb sei die öffentliche Kommunikation von Modellrechnungen – beispielsweise die medienwirksame Prognose eines Rückgangs des BIP um 0, 5 bis 3 Prozent – nicht ungefährlich. Oftmals lägen schon in den Grundannahmen hinter den Modellen Fallstricke. So würden einige Modelle wichtige Faktoren wie Anpassungsprozesse, Kaskaden- und Nachfrageeffekte, Inflationsfolgen oder die Reaktionen auf den Finanzmärkten nicht ausreichend berücksichtigen.
Den Vorwurf, seine Argumente gegenüber dem aktuell prominentesten Modell wären ohne ein besseres nicht wirksam, weist der IMK-Direktor somit zurück. Ein solches Vorgehen sei in der Academia sinnvoll – für die Politik aber nicht. „Ein falsches Modell, dessen Ergebnisse an die Öffentlichkeit gebracht werden, kann schlimmer sein, als keines zu haben.“ Welche Rolle dabei auch die Erwartungen an die Wirksamkeit der Sanktionen spielt und wie aktuell an einer Unabhängigkeit von fossilen Energien aus Russland gearbeitet wird, erklärt der Ökonom außerdem in der neuen Folge.
Weitere Informationen zur Folge
Impulsbeitrag: "Ökonomen warnen vor Wirtschaftskrise"
Sebastian Dullien im HANS-Newsletter: "Mittel gegen den Energiepreisschock"
Systemrelevant Folge 94: "Wie wirkt sich der Krieg in der Ukraine auf die Wirtschaft aus?"
Hier das Transkript zur Folge 96 als PDF herunterladen!
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In Systemrelevant analysieren führende Wissenschaftler:innen der Hans-Böckler-Stiftung gemeinsam mit Moderator Marco Herack, was Politik und Wirtschaft bewegt: makroökonomische Zusammenhänge, ökologische und soziale Herausforderungen und die Bedingungen einer gerechten und mitbestimmten Arbeitswelt – klar verständlich und immer am Puls der politischen Debatten.
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