Systemrelevant Podcast: Warum die betriebliche Mitbestimmung ein Update braucht
Das Arbeitsministerium will mit dem Betriebsrätestärkungsgesetz die Rechte der Beschäftigten in der Transformation der Arbeitswelt stärken. Reicht das? HSI-Direktorin Johanna Wenckebach bewertet den Entwurf.
[29.01.2021]
Bestehende Betriebsräte und Initiator:innen von Betriebsratswahlen brauchen besseren Schutz – gerade in Zeiten großer Veränderungen der Arbeitswelt durch die digitale und ökologische Transformation. Die Große Koalition hat sich daher 2017 im Koalitionsvertrag darauf verständigt, die Rechte der betrieblichen Mitbestimmung an die neuen Anforderungen anzupassen. Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) hat hierzu Ende 2020 einen Gesetzesentwurf vorgelegt.
„Das ist ein wichtiger und dringender Schritt in die richtige Richtung“, meint die Direktorin des Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeits- und Sozialrecht der Hans-Böckler-Stiftung (HSI). Sie verweist auf zahlreiche Studien, die zeigen, dass viele Betriebsräte und potenzielle Gründer:innen unter Druck gesetzt und durch Union Busting schikaniert werden. Die jüngeren Ereignisse beim Finanzunternehmen N26 seien hierfür ein prominentes Beispiel und eines der wenigen, das öffentlich wird.
Auch die Zahlen legen den Handlungsbedarf nahe: Nur noch 9 Prozent der betriebsratsfähigen Unternehmen haben auch ein solches Gremium. Nur etwa 40 Prozent der Beschäftigten werden von einem Betriebsrat vertreten. Für Wenckebach steht fest: Das Betriebsverfassungsgesetz braucht ein Update, damit es seiner Funktion als Grundprinzip der Machtbalance zwischen Arbeitnehmer:innen und Unternehmensführungen in der sozialen Marktwirtschaft weiter gerecht wird.
Es gehe in der zunehmend technisierten Arbeitswelt darum, dass Betriebsräte mehr Zugriff auf Sachverstand und die zeitlichen Ressourcen haben, um die Veränderungen im Betrieb angemessen beurteilen zu können. Auch die Unterrichtungspflichten des Arbeitgebers müssten strenger werden. Hier liefere der Entwurf einige Verbesserungen, von denen zu hoffen sei, dass sie im Gesetzgebungsverfahren nicht verwässert würden.
Besonders zu begrüßen sind im Entwurf die Bemühungen, Betriebsratsgründungen zu vereinfachen. Allerdings führten die Schutzmechanismen nicht weit genug. Zum Beispiel greife der Kündigungsschutz zu spät im Gründungsverfahren. „Ich kenne viele Berichte von Leuten, die krass unter Druck gesetzt wurden, deswegen ist ein umfassenderer Schutz wichtig“, sagt Wenckebach.
Eine über den Gesetzesentwurf hinausgehende Absicherung brauche es in den Bereichen Qualifizierung, Weiterbildung und Personalplanung. „Wenn es um Beschäftigungssicherung, geht, haben Betriebsräte bislang nur beratende Funktion“, sagt Wenckebach. Es stehe zwar im Entwurf hier die Mitbestimmungsrechte zu stärken. Leider wird aber für Betriebsräte keine Erzwingungsmöglichkeit vorgesehen, Konflikte vor Einigungsstelle zu klären. Auch bei der Mitbestimmung bei mobiler Arbeit und Homeoffice, dem Wahlrecht für Minderjährige, der Stärkung der Unternehmensmitbestimmung in Aufsichtsräten und der Gleichstellung führe der Entwurf nicht weit genug und verweist auf eine Reihe von Verbesserungsvorschlägen, die am HSI publiziert wurden.
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In Systemrelevant analysieren führende Wissenschaftler:innen der Hans-Böckler-Stiftung gemeinsam mit Moderator Marco Herack, was Politik und Wirtschaft bewegt: makroökonomische Zusammenhänge, ökologische und soziale Herausforderungen und die Bedingungen einer gerechten und mitbestimmten Arbeitswelt – klar verständlich und immer am Puls der politischen Debatten.
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