Quelle: HBS
Service aktuellSystemrelevant Podcast: Neues aus dem europäischen Arbeits- und Sozialrecht
Das europäische Arbeits- und Sozialrecht hat eine wachsende Bedeutung für das deutsche Recht und somit auch die Arbeitsbedingungen in Deutschland. Ernesto Klengel und Amélie Sutterer-Kipping besprechen interessante Fälle aus der europäischen Rechtsprechung und ihre Auswirkungen auf deutsches Recht.
[11.08.2024]
Das Hugo-Sinzheimer-Institut der Hans-Böckler-Stiftung verfasst vierteljährlich einen Report zur Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) sowie zu aktuellen rechtspolitischen Entwicklungen. Ernesto Klengel, Direktor des HSI, und Amélie Sutterer-Kipping, Referatsleiterin für Arbeits- und Sozialrecht am HSI, besprechen in dieser Folge von Systemrelevant interessante Erkenntnisse aus dem Report.
Zunächst erklärt Ernesto Klengel, welche wichtige Rolle das europäische Arbeits- und Sozialrecht bei der Haushaltseinigung gespielt hat. So wird darin eine Eins-zu-Eins-Umsetzung des europäischen Rechts gefordert - also nur das umzusetzen, was europarechtlich zwingend ist und nichts darüber hinaus. Das macht allerdings laut Ernesto Klengel in vielen Bereichen keinen Sinn, da man man zum Beispiel im Befristungsrecht die gesamte bisherige Rechtsprechung aufgeben müsste und dadurch in der Auslegung eine Rechtsunsicherheit geschaffen werden würde.
Amélie Sutterer-Kipping beleuchtet einen weiteren Punkt aus der Haushaltseinigung, unter dem festgehalten wurde, dass künftig Überstundenzuschläge bei Vollzeitbeschäftigten steuer- und abgabenfrei sein sollen. Sutterer-Kipping sieht hier zwei zentrale Fragen: Sollen wirklich Anreize geschaffen werden, damit Menschen mehr arbeiten als vertraglich vereinbart? Denn lange Arbeitszeiten gehen mit Gesundheitsbeeinträchtigungen einher und gefährden außerdem die Vereinbarkeit von Beruf und Familie und die Gleichstellung, da die steuerlichen Begünstigungen vor allem vollzeitarbeitenden Männern zugute kommen würden. Und lässt sich das überhaupt gesetzlich umsetzen? Das bezweifelt Sutterer-Kipping, denn die in Deutschland geltenden Diskriminierungsverbote stehen im Kontrast zur Diskriminierung von Teilzeitbeschäftigten und damit größtenteils Frauen, die mir dieser Reform verbunden wären. Zudem werden laut Daten des Statistischen Bundesamts nur 18 Prozent der Beschäftigten, die Überstunden leisten, überhaupt dafür bezahlt. Sinnvoller wäre daher laut Sutterer-Kipping eine gesetzliche Pflicht zur Arbeitszeiterfassung.
Ernesto Klengel bespricht außerdem eine interessante Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Rechtsform Europäische Aktiengesellschaft SE. Diese Rechtsform wird von Unternehmen genutzt, um Mitbestimmung zu umgehen, indem zunächst eine SE ohne Mitarbeiter*innen gegründet wird und so bei der Gründung keine Beteiligungsverfahren zur Etablierung der Unternehmensmitbestimmung durchgeführt werden müssen. Das bleibt unverändert, wenn die SE schließlich wirtschaftlich aktiv wird und Mitarbeiter*innen hat. Der EuGH hat nun im konkreten Fall des Unternehmen Olympus entschieden, dass die Beteiligungsverfahren nicht nachgeholt werden müssen. Felix Gieseke und Helene Langbein fordern im HSI-Report, dass in Deutschland Beteiligungsverfahrungen in solchen Fällen der Mitbestimmungsvermeidung gesetzlich vorgeschrieben werden sollten. Alternativ könnte ein europäischer Betriebsrat gegründet werden, der die Mitbestimmung im Unternehmen ermöglicht.
Weitere in der Folge besprochene Fälle und Rechtslagen: eine Lehrerin, die in Russland aufgrund ihrer sexuellen Orientierung entlassen wurde; Tarifverhandlungen der Pilot*innen und Flugbegleiter*innen mit zwei verschiedenen Gewerkschaften bei der Fluggesellschaft Air Nostrum, das Europarecht zum Kündigungsschutz für Schwangere, medizinische Überwachung bei Nachtarbeit, die Pandemiemaßnahmen und Kündigung wegen Kirchenaustritt.
Moderation: Marco Herack
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In Systemrelevant analysieren führende Wissenschaftler:innen der Hans-Böckler-Stiftung gemeinsam mit Moderator Marco Herack, was Politik und Wirtschaft bewegt: makroökonomische Zusammenhänge, ökologische und soziale Herausforderungen und die Bedingungen einer gerechten und mitbestimmten Arbeitswelt – klar verständlich und immer am Puls der politischen Debatten.
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