Quelle: HBS
Service aktuellPodcast Systemrelevant: Ist das Arbeitszeitgesetz noch zeitgemäß?
Johanna Wenckebach und Marco Herack besprechen das Arbeitszeitgesetz und wie die Politik es dem Wandel der Zeit nach anpassen möchte.
Das Arbeitszeitgesetz regelt die Sicherheit und den Schutz der Gesundheit aller Arbeitnehmer:innen bei der Arbeitszeitgestaltung. Gleichzeitig soll es ausreichend Freizeit und die persönliche Entfaltung der Beschäftigten sicherstellen. Dazu gehört auch, dass Arbeitszeit transparent erfasst werden muss. Die gesetzlichen Leitlinien dafür sind nicht nur in der deutschen Rechtsprechung, sondern EU-weit durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs festgelegt. Warum es dafür sehr gute Gründe gibt - und wieso das Gesetz trotzdem weder zeitgemäß noch umfassend genug ist, erklärt HSI-Leiterin Johanna Wenckebach in der neuen Folge von Systemrelevant.
Dass eine Entgrenzung der Arbeitszeit nicht nur seelische, sondern auch körperliche Gesundheitsschäden bei den Beschäftigten bewirken kann, hat erst vor kurzem eine OECD-Studie wieder offengelegt. Besonders im Rahmen der zunehmenden mobilen Arbeit ist die Regulierung von Arbeitszeit sowie deren Dokumentation daher äußerst wichtig – und bräuchte an einigen Stellen wesentlich konkretere Vorgaben, erklärt Wenckebach. Sie selbst war erst im Januar als Sachverständige im Bundestagsausschuss zu dem Thema geladen und kennt sowohl die Realitäten in den Unternehmen als auch die rechtliche und politische Lage im Detail.
Während konservative und liberale Parteien mehr Flexibilität für Unternehmen erwirken wollen, verweist die Juristin einerseits auf die zahlreichen bestehenden Ausnahmeregelungen – 12-Stunden Schichten in der Pflege sind hier nur ein Extrembeispiel - und bekräftigt andererseits die wachsende betriebliche und politische Forderung nach einer Zeitsouveränität, welche die Interessen und Ideen der Beschäftigten verwirklicht.
Von der so oft herbeizitierten „Rückkehr zur Stechuhr“ oder einem „starren System“, das Unternehmen keine Spielräume erlaubt, kann also laut ihr keineswegs gesprochen werden. Vielmehr seien es Innovationen, die Arbeitnehmer:innen ins Spiel bringen, welche bislang noch zu wenig Berücksichtigung fanden - darunter beispielsweise die Wahlarbeitszeit, der Ausbau der Brückenteilzeit oder ein Anspruch auf mobile Arbeit. Gerade diese Formen der Flexibilisierung würden die Vereinbarkeit von Beruf und Familie tatsächlich verbessern. Eine Aufhebung der Ruhe- und Höchstarbeitszeiten hingegen führe perspektivisch zu Entgrenzung und Überlastung, so Wenckebach.
Gerade im Kontext von Automation, Künstlicher Intelligenz und ortsungebundener Beschäftigung wird die Arbeitszeitgestaltung ein zentrales Thema in allen Betrieben bleiben. Dafür braucht es einen zukunftsweisenden und präzisen rechtlichen Rahmen, der nicht zuletzt die Gleichberechtigung der Geschlechter ermöglicht. Eine hohe Verantwortung sieht die HSI-Leiterin aber auch bei den Gewerkschaften. Geht es zum Beispiel um Arbeitszeitverkürzungen, die potenziell durch den Einsatz von KI möglich werden, sind sie es, die eine sozialverträgliche Transformation durchsetzen können.
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"Dienstreisen sind Arbeit" Impuls Beitrag zum HSI-Gutachten
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In Systemrelevant analysieren führende Wissenschaftler:innen der Hans-Böckler-Stiftung gemeinsam mit Moderator Marco Herack, was Politik und Wirtschaft bewegt: makroökonomische Zusammenhänge, ökologische und soziale Herausforderungen und die Bedingungen einer gerechten und mitbestimmten Arbeitswelt – klar verständlich und immer am Puls der politischen Debatten.
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