Quelle: HBS
Service aktuellSystemrelevant Podcast: Verteilungsungerechtigkeit in Corona-Zeiten - Mit Bettina Kohlrausch
Die Corona-Pandemie führt zu einer Verschärfung der sozialen Ungleichheit. WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch erläutert im Podcast, wie es dazu kommt und was dagegen getan werden sollte.
[24.11.2020]
Wie (un)gleich ist Deutschland? Diese Frage stellt sich das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut der Hans-Böckler-Stiftung (WSI) jedes Jahr in seinem Verteilungsbericht. Im Gespräch mit Marco Herack stellt WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch fest, dass sich die Einkommensungleichheit im Zuge der Corona-Pandemie verschärft haben dürfte. Darauf deuten die Daten der hauseigenen Erwerbspersonenbefragung hin, die zur Beurteilung der jüngsten Entwicklung in Ergänzung zu den Daten des Sozio-ökonomischen Panels (SOEP) genutzt wurden.
Von 2010 bis 2017 war die Ungleichheit laut Kohlrausch gemessen am so genannten Gini-Koeffizienten gesunken, was auf gute Lohnentwicklungen in den mittleren Einkommen zurückzuführen war. Die niedrigen Einkommensgruppen konnten jedoch nicht profitieren und sind darüber hinaus in der Corona-Krise diejenigen mit den prozentual höchsten Einbußen.
"Wenn die Distanz zwischen dem, was man selbst hat und dem was andere haben zu groß wird, kann man irgendwann nicht mehr mithalten. Wenn man eine wachsende Gruppe hat, die von sozialer Teilhabe ausgeschlossen ist, haben wir ein Problem", kommentiert Kohlrausch diese Entwicklung. Sie warnt davor, dass man langfristig das Vertrauen und die Stabilität demokratischer Gesellschaften verspiele, wenn die Gefahr des sozialen Abstiegs in der Gesellschaft präsent ist.
Eine besondere Bedeutung hat in diesem Zusammenhang das Hartz-IV-System, das durch seine viel zu niedrigen Regelsätze in erster Linie für die Betroffenen die Möglichkeit sozialer Teilhabe stark beschränkt und durch seinen Fokus auf Sanktionen zur Verfestigung von Armut führe. Darüber hinaus sorge es aber auch bei den Menschen an den unnteren Rändern für Angst, in dieses System abzurtuschen. Das nehme den Menschen die Sicherheit, die gerade jetzt in einer Phase gesellschaftlicher Transformationen im Bereich der Digitalisierung und der Klimawende so wichtig sei.
Wie sollte man also umgehen mit der wachsenden Verteilungsungerechtigkeit?
Kurzfristig gehe es laut Kohlrausch darum, in der Corona-Pandemie die wirtschaftliche Entwicklungs zu stabilisieren und die Verschärfung der Ungleichheit zu verhindern, Die Einführung eines Mindestkurzarbeitergeldes von 1200€ würde zum Beispiel die Sicherung für die unterrren Einkommensgruppen erhöhen und hätte auch positive konjunkturelle Effekte. Darüber hinaus sollte dringend die institutionelle Kinderbetreuung in der Pandemie so lange wie möglich gewährt bleiben.
Langfristig sollte über eine deutliche Erhöhung des Mindestlohns intensiver nachgedacht werden. Außerdem sollte die Tarifbindung zu gestärkt werden, um mit guten Tarifabschlüssen die Mitte der Gesellschaft über eine stabile Lohnentwicklung zu stärken. Sie schlägt zudem vor, den Sozialstaat so umzubauen, dass er als Signal an die Menschen Schutz biete und sie in Phasen der Neuorientietung mit Zeit und Geld bei der Qualifizierung für neue Aufgaben unterstütze.
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In Systemrelevant analysieren führende Wissenschaftler:innen der Hans-Böckler-Stiftung gemeinsam mit Moderator Marco Herack, was Politik und Wirtschaft bewegt: makroökonomische Zusammenhänge, ökologische und soziale Herausforderungen und die Bedingungen einer gerechten und mitbestimmten Arbeitswelt – klar verständlich und immer am Puls der politischen Debatten.
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