Quelle: HBS
Service aktuellSystemrelevant Podcast: 75 Jahre Tarifvertragsgesetz
WSI-Direktorin Bettina Kohlrausch und Leiter des WSI-Tarifarchivs, Thorsten Schulten, führen durch die Geschichte des Tarifvertragsgesetz und erläutern, vor welchen Herausforderungen die Tarifbindung heute steht.
[23.04.2024]
In dieser Podcast-Folge widmen wir uns einem bedeutenden Meilenstein in der deutschen Arbeitsgeschichte: dem 75. Jubiläum des Tarifvertragsgesetzes. Seit seiner Einführung im Jahr 1949 hat dieses Gesetz maßgeblich dazu beigetragen, die Arbeitsbedingungen in Deutschland zu gestalten und den Schutz der Arbeitnehmer zu stärken. Es regelt die rechtlichen Grundlagen für Tarifverhandlungen und Tarifverträge in Deutschland. Das deutsche Modell der Arbeitsbeziehungen basiert auf zwei wesentlichen Säulen: Der Betriebsverfassung mit der Unternehmensmitbestimmung und dem Tarifvertragsgesetz, in dem Flächentarifverträge für ganze Branchen Arbeitsstandards und Lohnniveaus regeln.
Bereits in den 1920er Jahren war der Anspruch der Gewerkschaften klar: Die Wirtschaft demokratischer zu gestalten und auf Augenhöhe zu agieren. Thorsten Schulten erläutert: "Es geht darum, ein Machtungleichgewicht in der Marktwirtschaft durch Gewerkschaftszusammenschlüsse aufzuheben und Kollektivregelungen für den Verkauf ihrer Arbeitskraft zu definieren."
Zu einer Zeit, als die Arbeitsbedingungen oft prekär waren, setzten Gewerkschaften Streiks und wichtige Veränderungen durch. Heute gehen jedoch weniger Arbeitstage durch Streiks verloren als früher, was nicht bedeutet, dass ihre Bedeutung abgenommen hat. „Streiks haben eine demokratiefördernde Funktion, da sie vielen Menschen ermöglichen, sich für ihre Interessen und unmittelbaren Arbeits- und Lebensbedingungen zu engagieren und einzusetzen“, betont Thorsten Schulten. Die Androhung oder Aussicht auf Streiks allein kann bereits ausreichen, um Einigungen zu erzielen und Konflikte zu lösen.
Allerdings ist die Tarifbindung in Deutschland rückläufig. In den 1990er Jahren lag die Tarifbindung bei über 80% der Beschäftigten, heute sind es nur noch etwa die Hälfte. Dies hat zu einem der größten Niedriglohnsektoren in Europa geführt. Thorsten Schulten weist darauf hin, dass Arbeitnehmer in tarifgebundenen Unternehmen im Durchschnitt mehr verdienen und bessere Arbeitsbedingungen haben als in nicht tarifgebundenen Betrieben. "Ein Großteil der Verteilung von Vermögen erfolgt über den Arbeitsmarkt, daher ist eine starke Tarifbindung entscheidend für eine gerechte Verteilung", fügt Bettina Kohlrausch hinzu.
Die Stärkung der Tarifbindung ist daher nicht nur im Interesse der Arbeitnehmer, sondern auch im gesamtgesellschaftlichen Interesse. Die aktuellen Entwicklungen am rechten Rand könnten auch als Ausdruck dafür verstanden werden, dass diese Konfliktmoderation und -transparenz, die mit Tarifverhandlungen einhergehen, an Bedeutung verlieren. "Es ist sicherlich noch einiges zu tun, aber die bloße Idee dahinter oder diese Möglichkeit ist total zentral", betont sie. Es bedarf sowohl gewerkschaftlicher Initiativen auf betrieblicher Ebene als auch politischer Maßnahmen, um die Tarifbindung wieder zu stärken und damit den sozialen Zusammenhalt zu fördern.
Moderation: Marco Herack
Weitere Informationen zur Folge
Podcast „Geschichte wird gemacht“ – Gamechanger Tarifvertragsgesetz
75 Jahre Tarifvertragsgsetz: Erfolgsmodell vor großen Herausforderungen
Aktionsplan: Mehr Mut zum Tarif
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In Systemrelevant analysieren führende Wissenschaftler:innen der Hans-Böckler-Stiftung gemeinsam mit Moderator Marco Herack, was Politik und Wirtschaft bewegt: makroökonomische Zusammenhänge, ökologische und soziale Herausforderungen und die Bedingungen einer gerechten und mitbestimmten Arbeitswelt – klar verständlich und immer am Puls der politischen Debatten.
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