Crowdwork: Expertise für gute Arbeit in der Plattformökonomie
Crowdworker:innen konnten zuletzt einige Erfolge vor Gericht erzielen. Doch für die kommende Bundesregierung bleibt viel zu tun, um die neue Prekarität zu bekämpfen. Das HSI wird dazu Vorschläge machen, schreibt Johanna Wenckebach.
[29.11.2021]
Die Geschäftsmodelle der Plattformökonomie gehören zu den Gewinnern der Corona-Krise: Laut einer Studie des Instituts für Handelsforschung (IFH) ist der Umsatz im Onlinehandel mit Lebensmitteln in Deutschland im vergangenen Jahr um 58 Prozent auf 4,5 Milliarden Euro gestiegen. Für 2025 wird sogar ein Umsatz von mehr als 13 Milliarden Euro prognostiziert. Das DAX-Unternehmen Delivery Hero hat kürzlich 235 Millionen Dollar in das Berliner StartUp Gorillas gesteckt.
Genau dort erheben sich derweil die Beschäftigten gegen miese Arbeitsbedingungen, auch mit Streiks. Auf die ließ der Arbeitgeber Kündigungen folgen. Nicht nur diese beschäftigen nun zu Recht die Arbeitsgerichte, sondern auch die Union-Busting-Taktiken des Unternehmens, das u.a. versuchte, mithilfe einer Franchising-Strategie die von Beschäftigten initiierte Wahl eines Betriebsrats zu verhindern.
All das hört sich leider gar nicht nach „schöner neuer Arbeitswelt“ an. Und das trifft auch auf die Situation vieler anderer Plattformbeschäftigter zu. Daher stellen diese neuen Formen digitaler Arbeit drängende rechtliche Fragen.
So ergingen zuletzt bereits wichtige Grundsatzurteile des Bundesarbeitsgerichts, die mithilfe des gewerkschaftlichen Rechtsschutzes erstritten wurden: Einem von der NGG unterstützten Lieferando-„Rider“ wurde zugesprochen, dass er mit den nötigen Arbeitsmitteln ausgestattet werden muss – Fahrrad und Handy – oder angemessen für deren Verschleiß zu entschädigen ist. Ein von der IG Metall unterstützter Crowdworker hat das Bundesarbeitsgericht zudem dazu veranlasst, auch sogenannte Microtasks, die per App vergeben werden, als Arbeitsverhältnis einzustufen.
Das sind wichtige Erfolge, aber noch keine Lösung für die neue, digitale Prekarität, die auch viele Soloselbstständige betrifft.
Und die neue Bundesregierung? Sie nimmt sich im Koalitionsvertrag nun vor, einen Dialog zur Plattformarbeit zu führen und die europäischen Regulierungsvorhaben für bessere Arbeit „konstruktiv zu begleiten“. Den politischen und gewerkschaftlichen Akteur:innen dafür Ideen und Expertise zu geben, verstehen wir im HSI als unsere Aufgabe. Wir werden eine Vielzahl an arbeitsrechtlichen Expertisen veröffentlichen, die der neuen Bundesregierung als Handlungshilfe dienen sollen - für gute Arbeit in der Plattformökonomie.
Und es gibt bereits jetzt ausgezeichnete Vorschläge seitens der Arbeitsrechtswissenschaft, die eine Förderung der Hans-Böckler-Stiftung verdienen. Mit Freude haben wir deshalb den diesjährigen Hugo Sinzheimer Preis für ausgezeichnete Dissertationen im Arbeitsrecht an Dr. Jan Armin Gärtner verliehen. Seine Arbeit trägt den Titel „Koalitionsfreiheit und Crowdwork – Zur Kollektivierung der Beschäftigteninteressen soloselbstständiger Crowdworker“. In seiner Laudatio sagte Prof. Dr. Martin Gruber-Risak, Mitglied der Jury des Sinzheimer-Preises, die Arbeit verfolge den Ansatz, im letzten Jahrhundert erkämpfte kollektive Freiheitsrechte zu übertragen auf das digitale Proletariat des 21. Jahrhunderts.
Also ein Streikrecht für die Crowd? Das kann und muss es geben!
Dr. Johanna Wenckebach ist Wissenschaftliche Direktorin des Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeits- und Sozialrecht (HSI) der Hans-Böckler-Stiftung.
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