Quelle: Andreas Kaemper
Service aktuellTransformation: Eine gute Industriepolitik braucht die europäische Dimension
Eine wirklich erfolgreiche Industriepolitik muss europäisch gestaltet werden – auch zum Wohle der deutschen Industrie, schreibt Sebastian Dullien.
[26.6.2023]
Industriepolitik ist wieder en vogue: Noch unmittelbar vor Ausbruch der Corona-Pandemie riskierte man schiefe Blicke, wenn man den Begriff „Industriepolitik“ öffentlich erwähnte. Heute, inmitten der gerne beschworenen „Zeitenwende“ wird nicht nur über Industriepolitik gesprochen, sondern auch massiv industriepolitisch gehandelt – etwa mit Milliarden-Subventionen für eine Chipfabrik.
Das Umdenken ist richtig. Gut gemachte Industriepolitik kann technologische Innovationen beschleunigen und so den Übergang für die Wirtschaft in ein post-fossiles Zeitalter erleichtern.
Außerdem haben auch die anderen großen Wirtschaftsblöcke der Welt, die USA und China, industriepolitisch aufgerüstet. Beide Staaten wollen strategisch wichtige Zukunftsindustrien bei sich im Land haben, und fördern diese Industrien, wo sie nur können – im Zweifel auch gegen internationale Handelsregeln.
Wenn aber die anderen großen Wirtschaftsblöcke industriepolitisch aktiv sind, Deutschland und die EU hingegen nicht, wächst das Risiko, dass Schlüsselbranchen bald nur noch in China und den USA ansässig sind. Für Europa und Deutschland würde das heißen: Weniger gute Jobs, geringere Einkommen und eine noch größere Abhängigkeit von den USA und China.
Aber man muss auch aufpassen, Industriepolitik richtig auszurichten. Erstaunlicherweise ist sie oft nur national gedacht. So ist den EU-Staaten mehr Spielraum gegeben worden, einzelne Industrien zu fördern. Ein umfassender europäischer Ansatz fehlt dagegen.
Dabei gibt es dreierlei Probleme bei nationaler Industriepolitik. Erstens besteht immer die Gefahr, dass nationale Standorte nicht nur im Wettbewerb mit Standorten in den USA oder China gefördert werden, sondern auch im Wettbewerb mit den nahen EU-Partnern.
Zweitens schafft ein Verlassen auf nationale Industriepolitiken in Europa eine Zweiklassen-Gesellschaft: Nur Staaten, die solide Staatsfinanzen haben, können sich Industriepolitik leisten.
Drittens droht damit ein rein nationaler Ansatz den Wettbewerb in Europa zu beschädigen. Dieser Wettbewerb ist aber wichtig, damit die geförderten Unternehmen nicht einfach die Subventionen einstecken, sich aber nicht mehr bei Innovationen, Kostensenkungen oder guten Arbeitsbedingungen anstrengen.
Das Vakuum bei Industriepolitik auf europäischer Ebene ist umso schädlicher, als dass viele Lösungen in der Transformation viel besser europäisch gefunden werden könnten. Eine Produktion von grünem Strom, Wasserstoff und einigen energieintensiven Grundprodukten auf der iberischen Halbinsel oder dem Balkan, mit entsprechendem Transmissionsnetzwerk quer durch die EU, könnte auch dauerhaft die Wettbewerbsfähigkeit der deutschen Industrie erhöhen und sichern, gleichzeitig aber in Südeuropa Arbeitsplätze und Einkommen schaffen.
Kurz: Eine wirklich erfolgreiche Industriepolitik muss europäisch gestaltet werden. Die deutsche Regierung sollte hier ihre Rolle als Bremser aufgeben und mit eigenen, guten Vorschlägen vorpreschen – auch zum Wohle der deutschen Industrie.
Prof. Dr. Sebastian Dullien ist Wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung (IMK) der Hans-Böckler-Stiftung.
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