Corona-Krise: Soziale Ungleichheit deutlicher in den Fokus nehmen
Die Menschen müssen die Corona-Maßnahmen als gerecht und angemessen empfinden, damit sie diese weiterhin unterstützen. Das ist jetzt die große Aufgabe. Von Andreas Hövermann
[30.11.2020]
In unserem jüngst veröffentlichten Verteilungsbericht zur Einkommensentwicklung in Deutschland wurde die problematische Entwicklung der Einkommen von Niedrigverdienenden deutlich. Sie waren zum einen die einzige Gruppe, deren Einkommen zwischen 2010 und 2017 nicht wuchs, während hohe, aber auch mittlere Einkommen teils deutlich zulegten. Zum anderen zeigen aktuelle Daten unserer Erwerbspersonenbefragung, dass diejenigen mit ohnehin niedrigen Einkünften in der Corona-Krise besonders häufig Einkommenseinbußen erlitten haben. Diese Entwicklung deutet darauf hin, dass sich die soziale Ungleichheit erneut verschärfen wird.
Insgesamt gaben in der Befragung bis Ende Juni knapp ein Drittel der Interviewten an, Einbußen bei ihrem Haushaltseinkommen hingenommen zu haben. Verluste sind also weit verbreitet. Das gilt in der Corona-Krise auch wieder stärker in der Einkommensmitte als bei den höheren Einkommen, sodass der zuletzt aufgetretene Aufholprozess vermutlich gestoppt wird. Neben den Niedrigverdienenden verzeichnen zudem die besonders durch die spezifische Ausrichtung der Lockdowns betroffenen Gruppen hohe Einbußen: Beschäftigte im Gastgewerbe, Freiberufler:innen und Selbstständige, Eltern (aufgrund notwendiger Arbeitszeitreduktionen), aber auch Beschäftigte in kleineren Betrieben.
Ein weiterer Befund zeigt, welch großes gesellschaftliches Konfliktpotenzial in den momentan ohnehin hochgradig unsicheren Pandemiezeiten liegt: Befragte mit Einbußen beurteilten die aktuelle soziale und politische Situation nicht nur deutlich pessimistischer, sie waren auch häufiger empfänglich für Verschwörungsmythen und unterstützten öfter die Proteste gegen die Schutzmaßnahmen. Das Gefühl der ungerechten Verteilung der Krisenlast kann bei Menschen mit ohnehin nur noch wenig Vertrauen in politische Institutionen als Katalysator der weiteren Entfremdung vom demokratischen Diskurs wirken.
Die dritte Erhebungswelle der Befragung kann uns bald Hinweise darauf geben, wie sich die wirtschaftliche Erholung der letzten Monate auf die Einkommensverteilung ausgewirkt hat – und ob es angesichts von zweiter Infektionswelle und erneuten Kontaktbeschränkungen zu einer weiteren gesellschaftlichen Polarisierung hinsichtlich der Zufriedenheit mit der Corona-Strategie der Bundesregierung kommt.
Es wird die große Aufgabe der kommenden Wochen und Monate sein, ein Gefühl der Gerechtigkeit und der Angemessenheit bei den Schutz- und Hilfsmaßnahmen zu vermitteln, sodass weiterhin breite Zustimmung und Unterstützung in der Bevölkerung vorherrschen und das Virus eingedämmt werden kann. Unbedingt sollte hierbei der Aspekt der sozialen Ungleichheit deutlicher in den Fokus genommen und Geringverdienende stärker unterstützt werden, damit sich die Schere zwischen Arm und Reich nicht weiter vergrößert und politisches Vertrauen bei vielen Menschen nicht verspielt wird.
Dr. Andreas Hövermann ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Forschungsförderung der Hans-Böckler-Stiftung, Referat "Projekt zu Sozialen Lebenslagen, Transformation und demokratischer Integration"
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