Quelle: HBS
Service aktuellVorteile für organisierte Beschäftigte: So lassen sich Tarifbindung und Gewerkschaften stärken
Mehr allgemeinverbindliche Tarifverträge sorgen für bessere Löhne und Arbeitsbedingungen - und sind durchaus vereinbar mit dem Ziel, auch die Gewerkschaften zu stärken, schreibt Amélie Sutterer-Kipping.
[05.02.2024]
Tarifverträge sollen dazu beitragen, Ordnung und Frieden im Arbeits- und Wirtschaftsleben zu gewährleisten. Dazu müssen sie durch ihre Verbreitung eine prägende Bedeutung für die Gestaltung der Beschäftigungsverhältnisse haben. Seit Jahren sinkt die Zahl der tarifgebundenen Arbeitgeber*innen in Deutschland allerdings kontinuierlich. Nur noch rund die Hälfte der Beschäftigten konnte 2022 von einem Tarifvertrag profitieren.
Die 2022 verabschiedete Mindestlohnrichtlinie der Europäischen Union sieht für Mitgliedstaaten mit einer tariflichen Abdeckung von weniger als 80 Prozent die Verpflichtung vor, Maßnahmen zu deren Erhöhung zu ergreifen. Dies trifft auch auf Deutschland zu: Noch bis November hat die Bundesregierung Zeit, die Richtlinie umzusetzen.
Eine Möglichkeit: Zur Stärkung der Tarifbindung rückt eine Wiederbelebung und Reform der Allgemeinverbindlicherklärung wieder vermehrt in den Fokus. Diese ist ein wichtiges Instrument, um die Tarifwirkung auch auf solche Arbeitgeber*innen zu erstrecken, die keinem Arbeitgeberverband angehören. Gleichzeitig kommen auf Arbeitnehmer*innenseite auch gewerkschaftlich nichtorganisierte Beschäftigte auf diese Weise automatisch und mühelos in den Genuss tariflicher Leistungen.
Was nach einer Win-Win-Lösung klingt, hat jedoch auch einen Nachteil: Die Allgemeinverbindlicherklärung setzt auf Arbeitnehmer*innenseite keine wirtschaftlichen Anreize, einer Gewerkschaft beizutreten, denn die Ergebnisse der Tarifverhandlungen gelten dann ohnehin für alle. Doch die gewerkschaftliche Organisation der Beschäftigten ist natürlich eine Grundvoraussetzung dafür, dass unser System der Tarifautonomie funktionieren kann. Es sind die Gewerkschaftsmitglieder, die mit ihrem Engagement und ihren Beiträgen Tarifabschlüsse erst möglich machen.
Das Prinzip der Allgemeinverbindlichkeit und exklusive Vorteile für organisierte Beschäftigte lassen sich allerdings durchaus miteinander verbinden. Das zeigt ein neues Gutachten von Prof. Dr. Olaf Deinert, das er für das HSI verfasst hat. Er schlägt darin eine „Konditionierung“ der Allgemeinverbindlicherklärung zur Stützung des Tarifsystems vor: Der Tarifvertrag bleibt für alle Arbeitgeber*innen innerhalb seines Geltungsbereichs unabhängig von der Verbandsmitgliedschaft weiterhin bindend, allerdings lässt er auch Spielräume, den gewerkschaftlich organisierten Beschäftigten Bonusleistungen zu sichern.
Das Gutachten zeigt zudem, dass solche Tarifverträge auch ohne Gesetzesänderung nach geltendem Recht möglich sind. So ist eine uneingeschränkte Allgemeinverbindlicherklärung des Tarifvertrages denkbar, der Differenzierungen nach der Gewerkschaftszugehörigkeit enthält. Die exklusiven Vorteile für organisierte Arbeitnehmer*innen ließen sich dann mittels sogennanter „Spannenklauseln“, also durch Aufstockung der Leistungen für Mitglieder in der Gewerkschaft sichern. So wären Arbeitgeber*innen weiterhin vor „Schmutzkonkurrenz“ geschützt und auf Arbeitnehmer*innenseite bliebe ein Anreiz für die Mitgliedschaft in der Gewerkschaft.
Dr. Amélie Sutterer-Kipping ist Referentin für Arbeitsrecht im Hugo Sinzheimer Institut für Arbeits- und Sozialrecht (HSI) der Hans-Böckler-Stiftung.
Weitere Informationen
Gutachten zur Stärkung der Tarifautonomie: Allgemeinverbindlichkeit und Bonusleistungen vereinbar
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