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Dorothee Spannagel HANS Verteilungsbericht Service aktuell

Neuer WSI-Verteilungsbericht: Was hilft gegen verfestigte Armut?

Daten aus dem neuen WSI-Verteilungsbericht zeigen, dass Armut in Deutschland bereits in der vergangenen Dekade deutlich zugenommen hat. Dorothee Spannagel beschreibt wirksame Mittel dagegen.

[28.11.2022]

Wenn Nahrung, Energie und Mobilität in Zeiten von Rekordinflation immer teurer werden, trifft das arme Menschen besonders. Doch es wäre falsch, Armut als kurzfristiges Krisenphänomen zu begreifen. Im Gegenteil: Daten aus dem neuen WSI-Verteilungsbericht von Aline Zucco und mir zeigen, dass Armut in Deutschland bereits in der vergangenen Dekade deutlich zugenommen hat – obwohl es für die Wirtschaft in dieser Zeit insgesamt bergauf ging. Der finanzielle Rückstand von Haushalten unter der Armutsgrenze gegenüber Durchschnittsverdienenden ist zwischen 2010 und 2019 um ein Drittel gewachsen. Auch die Ungleichheit der Einkommen hat, gemessen am Gini-Koeffizienten, schon vor Beginn der Coronakrise einen neuen Höchststand erreicht.

Armut an sich ist für die Betroffenen bereits problematisch – richtig kritisch wird es aber dann, wenn sich Armut verfestigt. Wenn die Personen also über Jahre hinweg von Armut betroffen sind. Unsere Studie zeigt, wie stark dauerhafte Armut in Deutschland die gesellschaftliche Teilhabe einschränkt: Arme müssen deutlich häufiger auf Güter des alltäglichen Lebens verzichten, sie haben weniger Geld zum Heizen, leben in kleineren Wohnungen. Sie sind weniger gesund, haben geringere Bildungschancen und sind mit ihrem Leben insgesamt unzufriedener. Das nährt bei vielen Betroffenen Zweifel am politischen System: Lediglich rund zwei Drittel der Menschen, die unter der Armutsgrenze leben, halten die Demokratie für die beste Staatsform.

Das politische Ziel muss es daher sein, dauerhafte Armut zu bekämpfen. Ein erster Schritt kann hierbei das Bürgergeld sein, bei dem die Regelsätze so weit erhöht werden, dass sie Einkommensarmut verhindert und soziale Teilhabe ermöglicht werden kann. Auf diese Weise kann es gelingen, dass Arbeitslose langfristig in den Arbeitsmarkt integriert werden. 

Auch vor dem Hintergrund des Lohnabstandsniveau gilt es, Löhne und Arbeitsbedingungen von Geringverdienenden zu verbessern. Dazu zählt insbesondere gute Arbeit zu fördern, Tarifbindung stärken und den Mindestlohn an relativen Größen wie etwa 60 Prozent des Medianlohns zu orientieren.

Ein weiterer wichtiger Baustein bei der Bekämpfung von dauerhafter Armut ist der Faktor Wohnen. Denn wegen der steigenden Mieten besteht einerseits ein großer Bedarf an Förderung von bezahlbarem Wohnraum. Andererseits muss auch bei der Gestaltung von Wohnquartieren darauf geachtet werden, dass heterogene Sozialstrukturen gefördert werden, sodass auch auf diesem Wege der sozialen Spaltung der Gesellschaft entgegengewirkt wird.

Dr. Dorothee Spannagel leitet das Referat „Verteilungsanalyse und Verteilungspolitik“ im Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Institut (WSI) der Hans-Böckler-Stiftung.

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HANS. 23/2022

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