Quelle: Frank Rumpenhorst
Service aktuellEin Jahr Lieferkettengesetz: Soziale Mindeststandards für die globalisierte Wirtschaft
Gewerkschaften und soziale Bewegungen fordern schon lange, dass große Unternehmen Risiken für Menschenrechte in ihren Lieferketten verringern. Inwiefern dabei das Lieferkettengesetz seit einem Jahr hilft, erläutert Ernesto Klengel.
[22.01.2024]
Vor gut einem Jahr ist das Lieferkettengesetz in Kraft getreten, seit dem 1.1.2024 gilt es für eine nochmals größere Zahl an Unternehmen. Das Gesetz ist Ausdruck eines Paradigmenwechsels: Große Unternehmen haben nun eine gesteigerte Verantwortung dafür, Risiken für Menschenrechte und umweltbezogene Rechte in ihren Lieferketten zu verringern. Es soll dabei helfen, soziale Mindeststandards für die globalisierte Wirtschaft zu setzen – etwas, das von Gewerkschaften und sozialen Bewegungen schon lange eingefordert wird.
Seit langem verlagern Unternehmen Teile der Wertschöpfung ins Ausland, oft auf dem Rücken der Kolleg*innen vor Ort. Die Folgen spüren auch die Belegschaften in Deutschland, denen unter Verweis auf die Standortkonkurrenz Sparprogramme abgetrotzt werden. Aber auch in Deutschland geht es um Menschenrechte: Als sich im Sommer 2023 an der Autobahn-Raststätte Gräfenhausen LKW-Fahrer aus Usbekistan und Georgien versammelten, um gegen ihre unwürdigen Arbeitsbedingungen zu protestieren, hat Bundesarbeitsminister Heil reagiert und die Großkunden der Spedition aufgefordert, ihrer Verantwortung gerecht zu werden. „Gegen schwarze Schafe gehen wir mit dem Lieferkettengesetz vor“, sagte der Minister damals.
Nun haben sich die EU-Institutionen darauf geeinigt, die Lieferkettenverantwortung auf eine breitere Grundlage zu stellen. Die Gesetzgebung fällt damit in eine Zeit, in der sich die Vorzeichen im Welthandel ohnehin verändern. Ein Grund zur Freude ist das freilich nicht, wie die neuen Lieferengpässe in Folge der Auseinandersetzungen im Nahen Osten nur beispielhaft zeigen. Der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ließ nun verlautbaren, dass die geplante Regulierung die „Wettbewerbsfähigkeit, Versorgungssicherheit und Diversifizierung der europäischen Wirtschaft bedrohen“ würde. Zahlreiche Unternehmen sehen das viel pragmatischer und verstehen das Gesetz als Chance, langfristigere, nachhaltigere und resilientere Beziehungen zu ihren Lieferanten aufzubauen. Einer repräsentativen Umfrage des Handelsblatt Research Institute zufolge lehnen es nur sieben Prozent der Betriebe ab, auf die Einhaltung sozialer und ökologischer Standards in der Lieferkette zu achten.
Der von den Verbänden lautstark beklagten Belastung durch Bürokratie können vor allem die Unternehmen selbst entgegentreten. Der Präsident des zuständigen Bundesamts für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle, Torsten Safarik, appellierte auf der Lieferkettentagung der Hans-Böckler-Stiftung und der Stiftung Arbeit und Umwelt im November 2023, darauf zu achten, das Gesetz nicht der Papierform nach, sondern seinem Geiste nach umzusetzen. Hier liegt einer der Ansatzpunkte für die Interessenvertretungen der Beschäftigten.
Das Lieferkettengesetz selbst denkt Mitbestimmung zwar überraschend wenig mit. Wie eine Studie von Prof. Dr. Reingard Zimmer im Auftrag des Hugo Sinzheimer Instituts jedoch zeigt, bestehen durchaus Hebel für die Gremien. Viele Unternehmen beauftragen derzeit teure Beratungsunternehmen, die ein Eigeninteresse an einer bürokratischen Umsetzung des Gesetzes nach Aktenlage haben, lassen die Mitbestimmungsgremien aber links liegen. Das dürfte sich als Fehler herausstellen. Denn letztlich müssen für eine wirkungsvolle Umsetzung diejenigen einbezogen werden, um die es im Gesetz geht, die sich Tag für Tag für Menschenrechte am Arbeitsplatz einsetzen und ein eigenes Interesse an der Umsetzung haben: Die Beschäftigten und ihre Interessenvertretungen.
Dr. Ernesto Klengel ist der Wissenschaftliche Direktor (kommissarisch) des Hugo Sinzheimer Instituts für Arbeits- und Sozialrecht der Hans-Böckler-Stiftung.
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